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Marietta Slomka, Hauptredaktion Aktuelles, Moderatorin des »heute-journals«

Nachrichten aus der Hölle – Die Sicht der Moderatorin

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Marietta Slomka
Marietta Slomka



Marietta Slomka und Heinz Wolf im neuen Studio
Marietta Slomka und Heinz Wolf im neuen Studio
 »Er war jemand, dem wir vertrauen konnten, dass er uns durch die schwierigsten Themen des Tages bringt – eine Stimme der Sicherheit in einer unsicheren Welt« (Barack Obama 2009 über Walter Cronkite).

Wir »heute-journal«-Moderatoren sind natürlich keine lebenden Legenden wie der in diesem Jahr verstorbene US-Nachrichtenanchor Walter Cronkite eine war, und wir werden das in diesem multimedialen Leben auch nicht mehr werden. Was niemand bedauern muss, denn unterhalb dieser Fallhöhe lebt und arbeitet es sich aufs angenehmste. Allerdings: Zwischen Ikone und Bildschirm-Icon liegt ein weites Feld, und Icons möchten wir dann doch nicht sein, sondern – ikonografisch – die Anchor bleiben, die wir sind. Und als solche wollen auch wir »Stimmen der Sicherheit in einer unsicheren Welt« sein. Reale Menschen also, die eine real existierende Welt zeigen, erklären, einordnen. Vertraute Gesichter in einer Welt des Wandels. Moderatorinnen und Moderatoren, die nicht nur präsentieren, sondern genuin politische Journalisten, die vom Korrespondentenplatz vor die Kamera gewechselt sind – das war und ist Selbstverständnis und Tradition dieser Sendung und ihrer »Anchor«.

Als das »heute-journal« zum ersten Mal auf Sendung ging, 1978, lümmelten da auf geradezu provozierende Weise zwei Journalisten an ihrem Tisch, die mit ihrer ganzen Körperhaltung ausdrückten, dass dies keine vorgelesenen Nachrichten à la »Tagesschau« sein sollten und die Moderatoren sich auch »anmaßen« konnten, persönlich zu werden. Das war die Grundidee des »heute-journals«. Und ich glaube, dass das – wenn auch in anderem Stil – heute noch zeitgemäß ist. Persönliche Ansprache sucht selbst die vielbeschriebene Internetgeneration, und sie sucht danach ja sogar gerade auch im Internet. Anders lassen sich die vielen Social Networks so wenig erklären wie der Starstatus mancher Blogger oder der Erfolg der YouTube-Plattform, auf der sich weltweit Menschen ansehen, was andere Menschen so treiben. Der Mensch ist und bleibt also auf der Suche nach Menschen – nur, dass sich Medium und »Look« verändern. Da gibt es für mich durchaus ein Kontinuum von den Rauchzeichen der Indianer bis zur »grünen Hölle« des virtuellen ZDF-Studios.

Unsere Aufgabe wird es nun also sein, die Rauchzeichen des Informationsfernsehens einmal mehr zu revolutionieren. Jedoch revolutionieren wir damit nicht zugleich die Bedürfnisse unserer Zuschauer. Wir versuchen nur, sie anders, besser, moderner zu befriedigen. Das muss uns gelingen, darin liegt unsere Herausforderung. Die 3D-Grafiken, von denen so viel die Rede ist, sind dabei kein Selbstzweck. Auf den Inhalt kommt es an, auch in Zukunft. Und die Leute, vor allem die begehrten »jungen Leute«, werden weiterhin wegzappen, wenn das Thema selbst sie nicht bewegt. Das werden wir auch mit neuem Design nicht immer verhindern können. Wir können unsere Nachrichten verständlicher, moderner, anziehender gestalten, aber am Ende des Tages ist eine Nachricht eine Nachricht und kein Songcontest. Allerdings gibt uns das neue Studio neue Möglichkeiten, in einem visuellen Medium Eyecatcher zu setzen. Ein Thema attraktiver, zeitgemäßer zu präsentieren, einen komplexen Zusammenhang anschaulicher zu erklären. Das eröffnet auch uns Moderatoren neue Möglichkeiten und Spielräume, im wahrsten Sinne des Wortes (auch, wenn einem beim Bespielen des grünen Raumes gelegentlich die Frage durch den Kopf zucken mag, ob ein Walter Cronkite dazu wohl auch Lust gehabt hätte …).

Womit wir wieder bei der Frage wären, inwieweit sich die Rolle der Moderatoren im neuen Studio ändert. Ja, sie ändert sich. Nein, sie ändert sich nicht. Sie ändert sich nicht nur weil wir mit mehr Körpereinsatz unterwegs sind, sondern, weil wir unsere Aufgaben erweitern, womit wir Filmautoren übrigens auch entlasten können. Wenn ich im virtuellen Studio die verschiedenen Pfeiler der Macht im politischen System Irans erläutert habe, kann sich der Reporter danach befreiter darauf konzentrieren, das Verhalten des Ajatollah Chamenei gegenüber Präsident Ahmadinedschad zu beschreiben und muss den Fluss seiner Reportage nicht durch erklärende Grafiken unterbrechen. Doch auch im virtuellen Erklärraum bleibt die Aufgabe des Moderators die alte: Nähe herzustellen, Glaubwürdigkeit auszustrahlen und mit dem Zuschauer zu kommunizieren, der in seiner Welt vor dem Fernseher und dabei mutmaßlich nicht auf einem Designersofa sitzt. Also sollte der Moderator auch in dieser Hinsicht eine Brücke sein: zwischen den virtuellen »modern times« des neuen Studios und der real existierenden Normalität bundesdeutscher Wohnzimmer.

Dazu gehört für mich auch, dass der Moderator nicht ferngesteuert wirkt, sondern authentisch bleiben darf. Eine Herausforderung für die technische Crew, die uns Moderatoren sozusagen die Bühne bestallt. Und das gehört mit zu den schönsten Erfahrungen, die ich in diesem Jahr im neuen Studio gemacht habe: wieviel enger die Mannschaften aus Redaktion und Technik zusammengerückt sind. Wieviel Solidarität, Engagement und Hilfsbereitschaft ich von den Kollegen in der Regie und im Studio erfahren habe. Zu unserem Intendanten habe ich kürzlich mal gesagt: »Mit den Frauen und Männern da unten in der neuen N können Sie Kriege gewinnen.« Das ist so. Da wurden in diesem Jahr wahre Schlachten geschlagen, um unter den Bedingungen gänzlich neuer Technik Livesendungen zu produzieren, die den Erfordernissen des aktuellen Nachrichtengeschehens gerecht werden. Nachrichten machen heißt ja, flexibel sein, sich ständig auf Neues einrichten. Die Welt da draußen nimmt keine Rücksicht auf die Rechenleistung unserer Grafik-PCs. Genauso wie ich mir kein Schild um den Hals hängen kann »Achtung, Anfänger«, wenn ich mich durch virtuelle Räume taste oder Politiker interviewe, die ich nunmehr nur noch als schemenhafte Wiedergänger auf einer weit entfernten grünen Wand projiziert sehe.

Ich kann die Zuschauer nicht damit belästigen, dass ich mich an dies oder jenes erst noch gewöhnen muss und manchmal nicht weiß, wohin mit meinen Händen, weil die plötzlich freischwebend im grünen Raum hängen. Ich kann den Zuschauern nicht erklären, dass unsere Regie so komplex geworden ist wie das Cockpit eines Raumschiffes und sie bitte nicht böse mit uns sein sollen, wenn irgendetwas nicht auf Anhieb klappt. Ich kann den Zuschauern auch nicht erklären, dass wir für unsere Grafikanimationen gänzlich neue Berufsbilder entwickeln, die nicht schon seit Jahren erprobt worden sind. Alles ist neu, jeden Tag aufs Neue. Wie gut wir das im kollegialen Kollektiv schon hinkriegen, das macht mich oft richtig stolz. Und auch, wenn ich an der ein oder anderen grünen Stellschraube gern noch drehen würde: In die Laubsäge-Kulissen der winzigen alten N möchte ich ganz sicher nicht mehr zurück. Wir haben neue Zeiten eingeläutet im ZDF, vielleicht sind wir mit manchem unserer Zeit und uns selbst auch ein Stück voraus. Solange wir aber unsere Zuschauer mitnehmen und unsere alten Stärken nicht aus dem (Kamera-)Auge verlieren, ist dagegen nichts zu haben. Die Zuschauer werden vielleicht noch ein bisschen Geduld mit uns haben – auch wenn die nicht unendlich sein mag.
 
 
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