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Bettina Schausten, Leiterin der Hauptredaktion Innen-, Gesellschafts- und Bildungspolitik

Wahl intensiv

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Bettina Schausten
Bettina Schausten
 Das Superwahljahr 2009 beginnt am Neujahrstag mit einem Skiunfall. Dieter Althaus, CDU-Ministerpräsident in Thüringen, wird bei einem durch ihn verursachten Zusammenprall mit einer Skifahrerin schwer verletzt. Die Frau, Mutter eines kleinen Kindes, wird getötet. Es ist eine Tragödie – für die Familie der getöteten Mutter und für Dieter Althaus selbst, den Ehemann, Christen, Politiker. In einem politischen Superjahr, das ganz im Zeichen von Kampagnen und Strategien steht, von Machtoptionen in einer sich wandelnden parteipolitischen Landschaft, von wachsendem Misstrauen in politische Versprechen und zunehmender Ernüchterung der Bürger hinsichtlich der Fähigkeit, was Politik überhaupt zu leisten imstande ist –, in einem solchen Superwahljahr offenbart der Fall Althaus die dunkle Seite von Politik. Fixierung auf politische Macht – ob selbst empfunden oder eingeredet – führt zum Verlust von Realität. Maß, Menschlichkeit und Mitgefühl bleiben auf der Strecke. Wer Dieter Althaus am Wahlabend in Thüringen Ende August erlebt hat, musste das so empfinden. Am Ende war es nicht das Votum der Wähler, das Althaus akzeptieren ließ, die Macht abzugeben, sondern die Fakten, die seine Parteifreundinnen schufen, indem sie ihm die Nachfolgerin präsentierten – die Kehrseite von Politik.

Ein Schatten wurde sichtbar, der über die Person Dieter Althaus hinausragt, auf eine Gesellschaft, die sich in diesem Wahl- und Krisenjahr 2009 selbst verunsichert präsentierte. Was hält uns zusammen in Deutschland? Wie gerecht, wie menschlich kann es zugehen in Zeiten, in denen der Staat mit Milliarden Steuergeldern Banken rettet? Die Bürger suchen nach Antworten, die ihnen die Politik – beschäftigt mit dem eigenen Machterhalt – offenkundig schuldig bleibt. Bei der Bundestagswahl am 27. September sinkt die Wahlbeteiligung auf knapp 71 Prozent. Nie lag sie tiefer in den letzten 60 Jahren.

Es ist ein Kennzeichen dieses Wahljahrs 2009, dass es ein Innen und ein Außen gibt. Verschiedene Wahrnehmungen von Spannung und Bedeutung. Die Innensicht führt ein hoch spannendes und ereignisreiches Wahljahr vor Augen mit sechs Landtagswahlen, der Europawahl, der Bundespräsidentenwahl und der Bundestagswahl. Dies flankiert von den politisch-historisch bedeutsamen Jubiläen »60 Jahre Grundgesetz« und »20 Jahre Mauerfall«. Mehr geht nicht. Für Politiker nicht und nicht für Journalisten, die über all das zu berichten haben. Die Jubiläen boten Gelegenheit zur gesellschaftlichen Selbstvergewisserung – wo stehen wir, was haben wir erreicht? – und gaben den Wahlterminen sozusagen ihren größeren Demokratierahmen. In diesem vollzog sich im Jahr 2009 darüber hinaus eine parteipolitische Neuordnung, die noch zu keinem Abschluss gekommen ist, aber viele neue Impulse gebracht hat – am besten zusammengefasst unter der Überschrift »Bunte Republik«. Ein Fünf-Parteien-System ist 2009 der Normalfall geworden und damit die Auffächerung der Möglichkeiten: schwarz-gelb (Bund, Hessen, Sachsen, Schleswig-Holstein), schwarz-gelb-grün (Saarland), schwarz-rot (Thüringen), rot-rot (Brandenburg): Das ist die bunte Vielfalt, die dieses Wahljahr 2009 hervorgebracht hat. Es tut sich was, politische Prozesse vollziehen sich 2009 wie unter dem Brennglas.

Das soll nicht spannend sein? Ist es für viele, für viele aber auch nicht. Die andere Sicht auf die Dinge offenbart die Probleme. Fünf-Parteien-System, das heißt für die Wähler: Der Wahlakt, so hat es als Erster der ZDF-Experte Professor Karl-Rudolf Korte formuliert, wird zu einem »Lotteriespiel«. Ich gebe meine Stimme ab und weiß nicht, was ich bekomme. Neue Bündnisvarianten lassen vieles zu. Wer rot wählt, landet womöglich in einer schwarz-geführten Koalition, wer grün wählt, bekommt einen CDU-Ministerpräsidenten, und wer rot-schwarz will, verhilft vielleicht den Dunkelroten an die Macht. Es wird nicht leichter für die Wähler. Nie wurde mehr über taktisches Wählen debattiert als kurz vor der Bundestagswahl, und den Parteien dämmerte nach und nach, dass »Ausschließeritis« nicht das Allheilmittel ist, dem Wähler Sicherheit zu geben. Der nämlich vertraut ohnehin nur in Maßen auf die Zusicherungen der Politiker und wendet sich, wo es seiner Meinung nach nur noch um parteipolitische Machtspiele geht, einfach ab. Der Zweifel gegenüber den Parteien und ihren Protagonisten ist ausgeprägt – erst recht in Wahlkampfzeiten, wo schöne Versprechungen zwar zur Kenntnis genommen, aber von einem großen Teil längst nicht mehr geglaubt werden. Die »Politbarometer«-Umfragen haben das im Wahljahr 2009 gezeigt.

Die Diskrepanz zwischen Innen und Außen zeigte sich auch und gerade im Bundestagswahlkampf. Ein Indiz waren die insgesamt deutlich niedrigeren Einschaltquoten für politische Programme, insbesondere, was die auffälligen Angebote wie das TV-Duell oder die Sondersendungen am Wahl- abend selbst angeht. Die Entscheidung dieses Wahlkampfes war für die Wähler offenbar weit weniger von Bedeutung als im Jahr 2005, als es um die Zuspitzung Schröder–Merkel ging. Nun kämpfte die Kanzlerin, versehen mit großen Zustimmungswerten und dem Spitznamen »Mutti«, gegen ihren Stellvertreter Frank-Walter Steinmeier, der nur begrenztes Charisma als SPD-Kanzlerkandidat entwickelte und die Sozialdemokratie zu einem desaströsen Wahlergebnis führte, mit dem sie noch lange beschäftigt sein wird. Die Regierung führe ein Selbstgespräch, kritisierte die Opposition das TV-Duell der beiden, was so nicht stimmt, da es immerhin die einzige Möglichkeit bot, die beiden Protagonisten im direkten Schlagabtausch zu erleben. Nichtsdestotrotz wäre es umso wünschenswerter gewesen, die beiden Spitzenkandidaten hätten sich der Einladung des ZDF zur »Berliner Runde« vor der Wahl nicht entzogen, um sie in der Diskussion mit den Oppositionsparteien zu erleben. Erst da hätte sich der Zuschauer in der Tat das ganze Bild machen können.

Je größer die Diskrepanz zwischen Innen und Außen, umso größer die Bedeutung, die den Medien zukommt. Den Menschen die nötigen Informationen für ihre Wahl mitzugeben, das ist der Auftrag und der bedeutet nicht – nur, damit es noch einmal gesagt ist –, Politikern Sendezeit zur freien Verfügung zu spendieren, sondern das Informationsbedürfnis der Menschen zu treffen. Die Bemühungen insbesondere auch des Fernsehens, die Wähler teilhaben zu lassen an politischen Programmen, ihre Fragen zu vermitteln, sich eben nach ihren Informationsbedürfnissen zu richten, haben lange Tradition und sind nichts Neues. In diesem Wahljahr aber standen diese Bemühungen noch stärker im Mittelpunkt der Berichterstattung und bekamen zudem neue Qualität. Sendungen wie der politische Talk »Maybrit Illner«, sein Wahlkampf-Ableger »Illner intensiv«, drei große ZDF-Wahlforen – ein Format, das 2009 zu unserer großen Freude mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde –, all das waren Sendungen, die konsequent Bürgermeinungen und -fragen mit einbezogen, in allen Formen von der Faxzuschrift bis zum YouTube-Video. In enger Zusammenarbeit mit den Onlinekollegen des Hauses gab es darüber hinaus wirkliche crossmediale Sendeprojekte auf der Schnittstelle von Online und TV, von denen »Erst fragen, dann wählen« (von den Usern schnell EFDW getauft) sicherlich das innovativste war und nach einer Neuauflage auch außerhalb eines Wahljahres schreit (siehe den Beitrag von Dr. Eckart Gaddum).

Online wurden auch die Kandidaten des politischen Talentwettbewerbs »Ich kann Kanzler!« gesucht. Ein Novum im deutschen Fernsehen, ein TV-Experiment, das große Aufmerksamkeit erzielte und mit dem Vorurteil aufräumte, junge Menschen in diesem Land wollten vor allem entweder Popstar oder Supermodel werden, wollten sich vor allem für sich selbst, aber nicht für andere engagieren (siehe auch den Beitrag von Roman Beuler).

Fazit: Das ZDF-Paket der politischen Berichterstattung im Superwahljahr 2009 war eines, das sich durch Vielfalt und Innovation auszeichnete. Es mischte klassische mit neuen, jungen Formaten, es suchte die Möglichkeiten des Internets, um neue Wege als Vermittler zwischen Politik und Wählerschaft zu gehen, um die Bürger, Wähler, Zuschauer teilnehmen zu lassen am direkten Diskurs mit den Politikern. Dabei stellt 2009 ein Brückenjahr dar: Politische Berichterstattung sucht und findet neue Formen, vieles ist bereits deutlich weiter als 2005. Bis 2013 werden wiederum neue Formen dazukommen und alte ablösen. Ein Prozess der medialen Transformation, der spannend ist und Chancen bietet, und sich im Übrigen auch auf der Seite der Politik vollzieht. Nein, eine durch die Dynamik des Internets beschleunigte »Obamania« hat es nicht gegeben, auch deshalb nicht, weil es weit und breit keinen Obama gab in diesem bundesdeutschen Wahljahr. Aber die Bemühungen der Parteien, auf dem Online-Weg in Kontakt zum Bürger zu treten, waren erkennbar und werden zunehmen. Damit wächst allerdings auch die Notwendigkeit zu unabhängiger Sortierung. Sicher ist: Guter Journalismus wird weiter gebraucht, umso mehr, je größer die Flut im weltweiten Web wird. Wo immer mehr Meinung ist, werden Fakten, wird seriöse und unabhängige Information umso wertvoller. Orientierung zu geben, dem fühlen wir uns verpflichtet – nicht nur in Superwahljahren.
 
 
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