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Ruprecht Polenz, Vorsitzender des Fernsehrats des ZDF

Nur die Befriedung von Querulanten? – Das Beschwerdemanagement des Fernsehrats

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Ruprecht Polenz
Ruprecht Polenz
 
 Der Drei-Stufen-Test als Auswirkung des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags auf die Gremienarbeit stand letztes Jahr an dieser Stelle im Fokus. Inzwischen sind die ersten Genehmigungsverfahren, in denen der Fernsehrat den Bestand der Telemedienangebote von ZDF, 3sat und PHOENIX zu bewerten hat, angelaufen. Über die Ausgestaltung des Tests ist viel geschrieben worden. Wissenschaftler und Lobbyisten debattieren mal mehr, mal weniger hilfreich über die letztlich von den Gremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu leistende Kontrollaufgabe. Die sonstige Arbeit des Fernsehrats hat dabei nicht immer die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdient. Als ein Beispiel für seine kontinuierlich wahrzunehmenden Aufgaben möchte ich daher dieses Jahr über das Programmbeschwerdemanagement des Fernsehrats und sein Selbstverständnis als »Anwalt der Zuschauer« berichten.

Das ZDF verfügt mit seiner Zuschauerredaktion über eine gut funktionierende Einheit zur Beantwortung von Kritik, Lob und Fragen der Zuschauer. Jedes Jahr werden dort rund 500 000 Zuschau­eranfragen schriftlich oder direkt am Telefon beantwortet. Diese direkte Kommunikation mit dem Zuschauer hat zu Recht viel Anerkennung erhalten. Der Zuschauerservice des ZDF liegt in Bewertungen von Fachzeitschriften meist ganz vorn (zuletzt: Sat und Kabel, Juni 2009, Quotenmeter, August 2009).

Neben diesem Dialog mit dem Haus fordern die Zuschauer des ZDF aber zu Recht auch den Kontakt mit der Kontrollinstanz ein. Vom Fernsehrat wird dabei ein strenger Blick auf das Programm aus der Sicht einer neutralen Aufsicht verlangt, die die Kritik des Rezipienten aufnimmt und gegenüber dem Intendanten vertritt. Wie der Fernsehrat haben auch die Gremien anderer Medienunternehmen – öffentlich-rechtlich oder privat, national oder international – für diese Bedürfnisse und Rechte der Zuschauer Beschwerdeportale eingerichtet. Vorbildlich sticht dabei das »Complaints Management« der BBC beziehungsweise des BBC Trust hervor. In einem mehrstufigen Prüfverfahren zu den Programmbeschwerden ist zunächst eine Bearbeitung der Kritik durch die zuständige BBC-(Zuschauer-)Redaktion vorgesehen, dann wird eine unabhängige Einschätzung der so genannten »Editorial Complaints Unit« des Senders eröffnet und schließlich die Möglichkeit geboten, das hierfür eingerichtete Komitee des BBC Trust Managements anzurufen. Die dort bewerteten Vorgänge werden auf der Website des BBC Trust veröffentlicht. Zudem trifft sich ein »BBC Complaints Management Board of senior Executives« einmal monatlich, um sich zu versichern, dass »das aus den Beschwerden Gelernte« in die Redaktions- und Managementprozesse der BBC einfließt. Dieser offensive, aber auch aufwändige Umgang mit den Beschwerden der BBC-Zuschauer ist nur mit dem Einsatz großer Mitarbeiterressourcen im Sender wie in seinem hauptamtlich tätigen Gremium zu bewältigen. Das Erweiterte Präsidium des Fernsehrats hatte sich bei der BBC eingehend informiert, um für die eigene Arbeit zu lernen.

Allerdings stehen dem ZDF-Fernsehrat vergleichbare Ressourcen wie bei der BBC nicht zur Verfügung. Dennoch ist es gelungen, ein effektives und transparentes Beschwerdeverfahren zu etablieren. Die Möglichkeit der Programmbeschwerde beim ZDF-Fernsehrat besteht seit der Gründung des Senders. Das in Paragraf 15 des ZDF-Staatsvertrags verankerte Recht des Zuschauers ist in der in Paragraf 21 der ZDF-Satzung ausgeführten Beschwerdeordnung geregelt. In seiner heutigen Ausgestaltung besteht dieses Verfahren seit 2005, nachdem einige Anregungen – auch mit Blick auf das vorgenannte Verfahren der BBC zur Optimierung von Nachvollziehbarkeit und Kontrolle – in das Beschwerdeverfahren eingearbeitet wurden. So wurde zum einen die Funktion der Programmausschüsse als Beschwerdeausschüsse definiert, ein Anspruch auf eine rasche Antwort des Hauses verankert sowie ein Beschwerdebericht eingeführt, mit dem das Plenum des Fernsehrats durch den Vorsitzenden in jeder Sitzung über Anzahl und Inhalt von Programmbeschwerden sowie sonstiger Eingaben mit Programmbezug unterrichtet wird.

Im Einzelnen gestaltet sich das Beschwerdeverfahren des ZDF-Fernsehrats wie folgt: Behauptet eine Programmbeschwerde die Verletzung von Programmgrundsätzen, ist sie vom Intendanten innerhalb angemessener Zeit schriftlich zu beantworten. Eine so definierte qualitative Beschwerde, die eine Verletzung der Programmgrundsätze zum Gegenstand hat, unterscheidet sich von allgemeinen Beschwerden, deren Beantwortung in die Verantwortung der Zuschauerredaktion fällt. Die Verletzung der im Staatsvertrag niedergelegten und in den Richtlinien für die Sendungen des ZDF, für den Jugendschutz sowie für Werbung und Sponsoring konkretisierten Grundsätze muss dabei nicht ausdrücklich und unter Nennung der betroffenen Vorschrift gerügt werden. Es genügt, wenn ein vermuteter Rechtsverstoß aus dem Inhalt der Kritik des Beschwerdeführers hervorgeht. Zudem bietet der Fernsehrat den Zuschauern an, sich in diesen Fällen direkt an das Gremium zu wenden. Nach Prüfung der formalen Voraussetzungen durch das Gremiensekretariat wird sodann ein förmliches Beschwerdeverfahren eingeleitet und die Eingaben dem Intendanten zur Stellungnahme gegenüber dem Beschwerdeführer übermittelt. Damit ist die Programmverantwortlichkeit des Intendanten klar- und sichergestellt. Der Petent wird über die Einleitung des Verfahrens und die Weiterleitung an den Intendanten informiert. Die Beantwortung der Programmbeschwerde durch den Intendanten erfolgt möglichst innerhalb eines Monats. Über den Inhalt des Antwortschreibens werde ich vom Intendanten informiert. Dessen Stellungnahmen sind in der Regel sehr ausführlich und durchaus selbstkritisch, wenn dazu Anlass besteht. In den meisten Fällen meldet sich der Beschwerdeführer nach erfolgter Stellungnahme des Hauses daher nicht wieder, und es ist davon auszugehen, dass seine Bedenken ausgeräumt oder ihm zumindest die Hintergründe redaktioneller Entscheidungen hinreichend nähergebracht wurden.

Ist der Beschwerdeführer mit der Antwort des Intendanten jedoch nicht zufrieden, hat er die Möglichkeit, eine Behandlung seiner Beschwerde im Fernsehrat zu fordern. In dieser zweiten Stufe des Verfahrens wird dann der zuständige Programmausschuss des Fernsehrats als Beschwerdeausschuss eingeschaltet und mit der Prüfung der ­Beschwerde befasst. Die Mitglieder des Beschwerdeausschusses erhalten den gesamten Schriftwechsel sowie einen Mitschnitt des gerügten Programmbeitrags. Der Beschwerdeausschuss legt das Ergebnis seiner Beratung dem Fernsehrat in Form einer Beschlussempfehlung für dessen nächste Sitzung vor. Hier wird in einer dritten Stufe der Vorgang noch einmal von allen Mitgliedern des Fernsehrats beraten und ein abschließendes Votum abgegeben, das die Beschwerde entweder zurückweist oder ihr inhaltlich zustimmt. Der Beschwerdeführer wird über den Ausgang des Verfahrens schriftlich unterrichtet.

Bei Rechtsverstößen kann der Fernsehrat vom Intendanten verlangen, dass er Beanstandungen des Fernsehrats im Programm veröffentlicht (Paragraf 19a Rundfunkstaatsvertrag). Ansonsten ist bewusst keine bestimmte Sanktion in der Beschwerdeordnung festgelegt. Ein Automatismus von Sanktionen würde dem komplexen Thema »Programm« nicht gerecht werden. Über geeignete Maßnahmen wird daher im Einzelfall entschieden. In der Zeit meiner Verantwortung im Gremium hat der Fernsehrat noch nicht erst in der quasi »letzten Instanz« tätig werden müssen. Eventuelle Unstimmigkeiten wurden entweder vom Haus sogleich nach der Einlegung einer Beschwerde erkannt, eingestanden und gegebenenfalls behoben, oder eine Kritik war zwar nachvollziehbar, erreichte aber nicht das Maß einer Verletzung der Programmgrundsätze.

Mehr als auf das bloße Abarbeiten des notwendigen Vorschriftenrasters kommt es bei dem Verfahren darauf an, die Qualität des Programms zu sichern und die Redaktionen zu sensibilisieren. Die Redakteure werden über den Intendanten direkt mit der Kritik des Zuschauers konfrontiert und damit ihr Sinn für die Belange des Publikums geschärft. Bis dahin nicht berücksichtigte Befindlichkeiten und redaktionelle Schwächen können so aufgezeigt und angegangen werden. Die Zuschauer honorieren dieses Angebot des Fernsehrats mit einer steigenden Zahl von Anfragen. Im Jahr 2008 waren es 42, im laufenden Jahr gab es bislang 99 förmliche Programmbeschwerden, mit denen sich das Gremium zu befassen hatte. Acht Beschwerdevorgänge durchliefen dieses Jahr das gesamte Verfahren bis zum Plenum.

Zur verstärkten Kritikfreudigkeit der Zuschauer hat dabei weniger das Programm beigetragen als die seit 2008 optimierte Internetpräsenz des Fernsehrats. Auf der Internetseite www.fernsehrat.zdf.de haben die Zuschauer des TV-Programms und die User des Onlineangebots die Möglichkeit, sich in einem Beschwerdeportal über das Verfahren zu informieren und sich mittels eines Klicks über ein eigens eingerichtetes Formular an den Fernsehrat zu wenden. Spötter könnten nun behaupten, dies sei nur ein weiteres »Einfallstor für Querulanten«. Dem möchte ich jedoch entgegentreten. Zwar liegt es in der Natur des Beschwerde-, Ombuds- und Petitionswesens, dass vornehmlich kritische Anmerkungen zurückgespielt werden. Die meisten der Eingaben sind dabei sehr wohl differenziert und zeigen oftmals eine besondere persönliche Betroffenheit. Ein intaktes und transparentes Beschwerdewesen ist zudem ein demokratisches Element, das der Gebührenzahler von einem öffentlich-rechtlichen Sender und auch seinem Aufsichtsgremium verlangen kann.

Sicher darf das Beschwerdemanagement nicht zum reinen Selbstzweck verkommen. Es ist auch kein bloßes Alibi für das ZDF und keine überflüssige Arbeitsbelastung für die Redaktionen. Ziel ist ein ehrlicher Dialog mit dem Zuschauer, der ernst genommen und mit seinem Anliegen auch wahrgenommen werden soll. Der Fernsehrat trägt mit seinem Beschwerdeverfahren meines Erachtens hierzu bei. Letztlich profitiert hiervon als »lernendes Unternehmen« auch das ZDF und sein Programm. Bestimmt kann auch dieses Verfahren noch weiter optimiert werden. So ist etwa zu überlegen, durch die Veröffentlichung des Beschwerdeberichts der Kontrollarbeit des Gremiums noch mehr Transparenz zu verleihen.

Eine klare Absage möchte ich jedoch immer mal wieder unternommenen Vorstößen der für die Aufsicht über das Programm des privaten Rundfunks zuständigen Landesmedienanstalten erteilen, eine gemeinsame Beschwerdestelle für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die privaten Fernsehanbieter zum Beispiel im Bereich des Jugendschutzes zu etablieren.

Die Binnenkontrolle durch die gesellschaftlich relevanten Gruppen ist konstitutiver Bestandteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Zum Wesen der Kontrolle gehört die Befassung mit Programmbeschwerden. Eine Übertragung dieser Aufgaben an eine gemeinsame Beschwerdestelle ist deshalb nicht möglich, ohne das öffentlich-rechtliche System insgesamt infrage zu stellen. Außerdem sollte ein sehr gut funktionierendes System nicht aufgegeben werden. Die Landesmedienanstalten haben erkennbar alle Hände voll zu tun, ihren eigenen Aufsichts- und Kontrollaufgaben gegenüber den kommerziellen Rundfunkanbietern nachzukommen, wie zum Beispiel demütigende Castingshows und fragwürdige Reality-Dokus immer wieder deutlich zeigen. Eine Vereinheitlichung von Bewertungsstandards sollte wie bisher durch intensiven Erfahrungsaustausch sichergestellt werden.

Abschließend steht ein Dank, denn der Fernsehrat kann nur dann »Anwalt der Zuschauer« sein, wenn auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Redaktionen des Hauses durch ihre Auskünfte und Stellungnahmen zu manchmal schmerzhafter Kritik zur Verfügung stehen und das Gremium damit in seinem Anliegen einer ernstzunehmenden »Beschwerdekultur« unterstützen. Ich bin davon überzeugt, dass die Beteiligung der Zuschauer und Nutzer eine der Aufgaben ist, die den Mehrwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ausmacht und zugleich eines seiner Markenzeichen.
 
 
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