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Eckart Gaddum

Eckart Gaddum, Leiter der Hauptredaktion Neue Medien

Online und Wahlkampf – Das ZDF kann jung!

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Eckart Gaddum
Eckart Gaddum
 »Ich hör' dem Gysi echt gern zu, aber warum traue ich ihm nicht?«. Als diese Frage von »rookie98« am 20. September über Twitter in die ZDF-Sendung »Erst fragen, dann wählen« flatterte, kam der sonst so wortgewandte Gregor Gysi ins Stottern. Ein Satz mit Nachhall. Hier schwang die ganze Skepsis gegenüber einem Politiker mit, dessen Geschichte dann eben doch nicht vergessen wird.

Die ZDF-Wahlkampfberichterstattung 2009 war anders als alle vorherigen. Der Grund hieß »Online«. Noch nie hat der Sender sein Blickfeld aus Anlass einer Wahl so weit für die Netzwelt geöffnet. »Erst fragen, dann wählen« entstand aus einer Kooperation von ZDF.de mit ZEIT online und der VZ-Gruppe, bei der mehr als 80 Prozent aller Erstwähler unterwegs sind. Fragen an die Spitzenkandidaten, auf allen drei Plattformen gesammelt, von überwiegend jungen Wählern selbst gewichtet, fanden schließlich ihren Weg in ein junges, modern gemachtes TV-Format (Redaktion »Länderspiegel«). Es wurde zeitgleich in I-Kanal und Netz ausgestrahlt. Ein »Best of« gab es im Hauptprogramm. In diesem Projekt, dessen Online-Echo geradezu euphorisch ausfiel, bündelte sich beispielhaft, was geht und wie es idealtypisch gehen kann. Das ZDF kann jung! Es kann die verloren Geglaubten erreichen und Zuschauer- beziehungsweise Usermärkte zurückerobern. Die in der Selbstverpflichtungserklärung gesteckten Ziele, jüngere Zuschauer/User nicht anderen und weniger an Qualität orientierten Konkurrenten zu überlassen, fanden hier praktische Entsprechung.

Diesem Ansatz dienten auch die anderen Onlinekooperationen. »Open Reichstag« – ein millionenfach aufgerufener Kanal bei Google/YouTube. Als ZDF-Reporter Uli Gack zum Beispiel von Afghanistan aus dazu aufrief, über das Für und Wider einer Afghanistan-Präsenz der Bundeswehr abzustimmen, löste er eine Welle engagierter Beteiligung aus (140 000 Abrufe). Der Kanal förderte im besten Sinne politische Meinungsbildung im Wahlkampf. Manches Video fand sich in ZDF-Wahlsendungen wieder.

Beispiel Nummer drei: Facebook. Das ZDF lud dazu ein, die TV-Wahlsendungen im Livestream zu verfolgen und darüber zu diskutieren. 15 000 Menschen, im Durchschnitt jünger als 19 Jahre, stritten am Wahlabend auf heute.de über das Debakel der Bundes-SPD und die Rückkehr von Schwarz-Gelb.

Insgesamt bietet die Zusammenarbeit mit Sozialen Netzwerken ein facettenreiches Bild: Google/YouTube spiegelte eine sehr ideenreiche, auch skurrile Form politischer Beteiligung, forderte freilich auch intensivste, zeitaufwändige Betreuung – die Anonymität der Gemeinschaft ist gleichzeitig auch Versuchung. In Facebook und StudiVZ-Debatten wirkt deutlich mehr »Selbstkontrolle«. Diskutanten tragen Namen und Identität. Unter dem Strich zeigen alle Projekte, dass das ZDF den Menschen auf »ihre« Plattform folgen muss, wo auch immer diese liegt. »Lean back« ist keine zukunftstaugliche Haltung für das ZDF.

Und dennoch, bei allem Engagement: Ein expliziter Onlinewahlkampf à la Obama fand nicht statt. Die Wahlkämpfer wagten sich hier und da in das für sie vielfach fremde Netzland. Aber zum Schluss verließen sie sich dennoch eher auf die klassischen Instrumente wie den gelernten TV-Auftritt, das Zeitungsinterview und die Pressekonferenz. Insofern blieb das Internet im Jahr 2009 (noch) eine Zweitbühne des Wahlkampfs der Akteure. Als Instrument journalistischer Arbeit freilich gewann es weiter an Gewicht.

Für das ZDF musste der Ansatz in der Kombination von Netz und TV liegen. Online bringt neben Geschwindigkeit und Interaktivität vor allem Informationstiefe und Nachhaltigkeit ein. Das zeigten zwei ZDF-Projekte eindrucksvoll:

Die »Berlin-Bilanz«: In mehr als 80 Beiträgen zogen die Hauptstadtkorrespondenten des ZDF in Analysen, Schlüsselmomenten und Zitatechecks eine filmische Bilanz der vergangenen vier Jahre. Dies war für Netzverhältnisse eine Hardcore-Offerte – aufbereitet in einem dreidimensionalen Gittermodell bot sie wenig Spielerei, dafür klassisches journalistisches Niveau, wie es dem ZDF gut zu Gesicht steht. Hunderttausende Abrufe erreichte das Netz damit. Fünf TV-Sendungen im ZDFinfokanal entstanden in Folge daraus. Man fand die Bilanz bei StudiVZ ebenso wie auf YouTube. Nachhaltigkeit und Informationstiefe waren in diesem Modul unmittelbarer Leitgedanke.

Ein zweites Beispiel: Der so genannte »ZDF-Wortwahl-Scanner«. Als die Süddeutsche Zeitung in ihrem Streiflicht vom 25. September vehement sein Verbot beziehungsweise seine »Vernichtung« forderte, hatte dieses Projekt die höchsten Weihen externer Kritik erfahren. Zu schamlos entlarve er vermeintliche Sprachkunst und lege die Inflation nutzloser Vokabeln offen, hieß es ironisch. Dahinter steckte freilich ein vom Publikum verstandenes und höchst akzeptiertes Angebot: Sperrige, oft kaum lesbare Partei- und Wahlprogramme sowie zentrale Reden der Spitzenkandidaten wurden mithilfe eines wissenschaftlichen Verfahrens grafisch umgesetzt. Die Analyse dazu lieferte das Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg/Essen. So entstanden auf einen Blick vergleichbare Wortbilder programmatischer Profile der Parteien. Unter den ZDF-spezifischen Angeboten eroberte der Scanner schon bald Platz eins auf der Beliebtheitsskala der User (700 000 Pageimpressions). Den Auftrag, Erklär- und Aufklärungsmedium zu sein, kann – vielleicht mehr noch als TV – die Netz-Plattform erfüllen. Am Wahl-abend selbst bot das ZDF neben der Aktualität das netzaffine Format »Wahl-im-Web« an – eine interaktive Onlinesendung, die ihre Zuschauer über Twitter und Chats in das Geschehen des Wahlabends zog. Eine virtuose Herausforderung für die Sendungsmacher aus der Hauptredaktion Neue Medien und dem ZDFinfokanal.

Für den 27. September, den Tag der Bundestagswahl, erwarteten wir einen User-Ansturm. Und tatsächlich: Zwischen 18 und 19 Uhr ging für ein paar Minuten gar nichts mehr. Die Verkehrsdichte auf der Netzautobahn war zu hoch. tagesschau.de und Spiegel online gingen erheblich länger in die Knie – ein schwacher Trost. Zusammen genommen zeigt es freilich, dass das Bedürfnis, sich online zu informieren, längst keine Nebensache mehr ist. Das belegen auch die Daten der Medienforschung: heute.de erzielte mit 8,14 Millionen Visits im September ihren zweitbesten Monatsschnitt im Jahr 2009. Auch konkurrierende Infoportale legten zu. Dabei mögen die Zahlen (noch) nicht mit den Millionen Zuschauern einer täglichen TV-Sendung zu vergleichen sein, aber sie weisen seit Jahren steigende Tendenz auf. Onlinearbeit ist Investition in die Zukunft des ZDF.

Zur Wahlbilanz gehört auch der Blick nach innen. Alle Redaktionen, ZDF.de (Karin Müller), Zentralredaktion (Tina Kutscher) und heute.de (Michael Bartsch) liefen im Wahljahr einen Belastungsmarathon. Das Synchronisieren planerischer Prozesse mit TV-Redaktionen, das Verständnis für unterschiedliche Produktionsrhythmen und Arbeitsbedingungen forderte ein neues Miteinander. Der Wahlkampf beschleunigte die Notwendigkeit und Lust an der crossmedialen Zusammenarbeit und brachte den Sender auf seinem Weg in die Transformation ein gutes Stück voran.
 
 
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