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2004  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Sabine Groß

300 Folgen »Der Alte«
Eine Erfolgsgeschichte und ihre Hintergründe

 
Sabine Groß
Sabine Groß


Hauptkommissar Köster (Siegfried Lowitz) befragt eine Zeugin (Hanne Wieder)
Hauptkommissar Köster (Siegfried Lowitz) befragt eine Zeugin (Hanne Wieder)


Maria Becker, Rolf Schimpf und Karlheinz Hackl
Maria Becker, Rolf Schimpf und Karlheinz Hackl
              
 

27 Jahre ununterbrochene Bildschirmpräsenz, Rekordverkäufe in mehr als 100 Länder von Abu Dhabi bis Zimbabwe, noch immer Spitzenquoten bis zu 26 Prozent Marktanteil – mit der Ausstrahlung der 300. Folge von »Der Alte« konnte das ZDF ein ebenso außerordentliches wie viel beachtetes Jubiläum feiern. Die Freitagsserie »Der Alte« ist – neben dem gleichfalls vom Münchner Ausnahmeproduzenten Helmut Ringelmann stammenden »Derrick« – die erfolgreichste Krimisendung des Hauses und eine der wichtigsten der deutschen Fernsehlandschaft insgesamt. Ihre unverwechselbaren Charakteristika haben sich tief ins kollektive Zuschauergedächtnis eingeschrieben.

So gesehen, verwundert es nicht, dass die ausführlich über das Jubiläum berichtende Presse von einer »TV-Institution«, einem »Klassiker« des Genres spricht. Eine solche Einschätzung übersieht jedoch zwei wichtige, um nicht zu sagen: die beiden zentralen Eigenschaften des »Alten«. Diese vergessenen Merkmale gilt es besonders hervorzuheben, will man die unglaubliche Erfolgsgeschichte der Serie wirklich verstehen.

Ein Klassiker wird nicht als Klassiker geboren, sondern ist in seinen ersten Lebensjahren zumeist das exakte Gegenteil – ein innovatives, dem arrivierten Zeitgeist vorauseilendes Stück Avantgarde. Das gilt auch für den »Alten«. Als dessen Titelfigur, Hauptkommissar Erwin Köster, am 11. April 1977 in der »Dienstreise« seinen ersten Fall löst, stellt er einen völlig neuen Ermittlertyp dar: nicht mehr verbindlich und autoritär-patriarchalisch (wie etwa Erik Ode, der als »Der Kommissar« von 1969 bis 1976 mit seiner verordneten Alltäglichkeit und dräuenden Redlichkeit rasch zur Identifikationsfigur wurde), vielmehr reizbar und vernörgelt, mit sarkastischem Humor und Selbstironie ausgestattet, unerschrocken und ohne Respekt vor dem cholerischen Chef, Kriminalrat Millinger (Henning Schlüter). Köster, perfekt gespielt von Siegfried Lowitz, löst die Fälle oft jenseits des Erlaubten und des Lehrbuchs. Er ist ein gesetzestreuer Ermittler, aber ein Bonhomme mit Abgründen. So nutzt er in der Folge »Der Alte schlägt zweimal zu« ein gefälschtes Tonbandgeständnis und schickt seinen Kriminalassistenten Heymann (seit Anfang an dabei: Michael Ande) um des kriminalistischen Vorsprungs willen mit einer Verdächtigen ins Bett. Empörte Zuschauer und Interessenverbände laufen Sturm. Die Gestalt des Hauptkommissars Köster verabschiedet demnach radikal den etablierten, noch der Adenauerzeit entstammenden strengen, gebieterischen Ermittler und konfrontiert das bürgerliche Publikum mit unorthodoxen und antiautoritären Ideen.

Knapp neun Jahre und 100 Folgen später vollzieht »Der Alte« anlässlich des Ausstiegs von Siegfried Lowitz eine weitere progressive Metamorphose: Köster wird buchstäblich zu Grabe getragen und am 28. Februar 1986 in »Sein 1. Fall« durch einen neuen Kriminalistentypus, Hauptkommissar Leo Kress, sorgfältig ausgestaltet und einfühlsam gespielt von Rolf Schimpf, ersetzt. Kress ist freundlich, ausgeglichen, beharrlich und clever, aber vor allem ist er Teamplayer. Während Köster trotz seines Getreuen Heymann – die übrigen Assistenten blieben bloße Randfiguren – der ermittelnde Einzelgänger war, arbeitet Kress in einer Gruppe. Er bringt Henry Johnson (Charles M. Huber, der ab 1997 von Pierre Sanoussi-Bliss als Axel Richter abgelöst wurde) mit nach München. Kurze Zeit später stößt Spurensicherer Werner Riedmann (Markus Böttcher) zum Ensemble, dem weiterhin Gerd Heymann angehört. Die Ermittlungen, denen Kress mit sanfter Primus-inter-Pares-Kompetenz vorsteht, werden nun in verteilten Rollen vorgenommen, und die kriminaltechnischen Untersuchungen erhalten, wie im realen Polizeialltag, eine stärkere Präsenz. In einer Krimilandschaft, die wesentlich durch Einzelermittler mit Team geprägt ist, steht die Figur des Leo Kress für einen der ersten arbeitsteilig organisierten Gruppenarbeiter.

Irgendwann verliert jedes Avantgardeprodukt seine progressive gesellschaftliche Stellung und wird, sofern wirklich hochwertig, zum Klassiker. Dies geschieht grundsätzlich dadurch, dass die bis dato dominanten Innovationen Normalität werden und dahinter stehende, bisher verdeckte allgemeingültige Momente in den Vordergrund rücken. Für »Der Alte« kann man eine solche Entwicklung seit Anfang der 90er Jahre beobachten. Die Serie lebt nun durch ihre schon immer vorhandenen, aber zuvor weniger beachteten allgemeinmenschlichen Aussagen, jeden betreffende Themen wie Rachegefühle, Eifersucht, Verzweiflung etc. Sie werden ebenso umfassend wie detailliert in immer wieder neuen Geschichten erzählt. In jeder Folge kann sich das Publikum auf komplex konstruierte Krimiplots mit nuancenreichen, meist psychologisch motivierten Straftaten, Moral ohne Moralin, vielschichtige Charaktere, ein stets exzellentes Schauspielerensemble und erstklassige, prominente Regisseure und Autoren verlassen (darunter Volker Vogeler, der inzwischen bereits über 170 Folgen schrieb).

Die Serie »Der Alte« kann nicht mehr, wie in den 70er und 80er Jahren, ein Avantgarde-Krimi sein, der neue Ermittlerfiguren und Ermittlungstechniken präsentiert. Ihr heutiger Wert liegt in ihrer Eigenschaft als TV-Institution, als Klassiker – was jedoch keinesfalls Verstaubtheit bedeutet. Ein guter Klassiker ist, ebenso wie ein Avantgarde-Produkt, innovativ und provokativ: Er widersteht dem Zeitgeist, etwa selbstzweckhafter Action, vordergründigen Effekten und platten Aussagen, setzt dafür auf zeitübergreifende Qualitäten. Da »Der Alte« diese Kunst beherrscht, ist er bei einem Millionenpublikum national und international erfolgreich, hat er neben der dargestellten Vergangenheit eine viel versprechende Gegenwart und eine fortdauernde Zukunft – wie alle Klassiker.

 
 
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