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2004  
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Eberhard Piltz

Bericht aus einem gespaltenen Land
Anmerkungen zur US-Präsidentenwahl

 
Eberhard Piltz
Eberhard Piltz
              
 

Die amerikanischen Wähler haben am 2. November 2004 das europäische und speziell das deutsche Publikum schwer enttäuscht. Von einem Großteil der Publizistik vorgezeichnet, herrschte vor der US-Präsidentschaftswahl ein Meinungsklima in Deutschland, in dem die Karikaturen für die Wirklichkeit galten: George W. Bush, der Cowboy, der auf seiner Ranch in Texas kleine Kinder frisst, und John F. Kerry, der in seiner Freizeit vor der Küste Neuenglands über das Wasser schreitet.

Selektive Auswahl von Informationen, emotionsgeprägte Beurteilung und faktenfreies Wunschdenken waren so weit verbreitet, wie man es sonst nur erlebt, wenn vom Nahostkonflikt oder vom Papst die Rede ist. Vorurteile sind bekanntlich Gitterstäbe, hinter denen der Verstand eingesperrt ist. Sie sind Gift für die notwendige Auseinandersetzung mit den vielen Fehlern, Irreführungen und Risiken, die an der ersten Amtsperiode der Regierung Bush zu kritisieren sind.

Die meisten Meinungsmacher in Europa kopierten im Wesentlichen die amerikanischen Ost- und Westküsteneliten, die in den wichtigen Medien den Ton angeben. Dabei wurde unterschlagen, dass von New York Times bis CBS-Fernsehen, von den Universitäten bis Hollywood aktiv Wahlkampf gegen Bush gemacht wurde und dass das Bild im amerikanischen »Herzland«, außerhalb der intellektuellen Ballungszentren, völlig anders aussah.

Ein wesentlicher Bestandteil der Wahlkampfberichterstattung aus dem Studio Washington war es, auf die Existenz dieses »anderen« Amerika hinzuweisen. Bei Reportagereisen in den Süden und den Mittelwesten wurde sehr schnell deutlich, welch enorme politische Schubkraft die Themen entwickelte, die mit Religion und konservativen Moralvorstellungen zu tun haben.

Die Wahl am 2. November hat gezeigt, dass vier Jahre zuvor mit dem Wechsel vom Demokraten Clinton zum Republikaner Bush eine Wende in Gang gesetzt wurde, die viel tiefer reicht, als es die tagespolitischen Auseinandersetzungen erkennen lassen. Wenn von der »gespaltenen« Nation die Rede ist, dann stehen sich nicht nur politische Richtungen gegenüber, sondern gesellschaftliche Mili- eus und fundamental verschiedene Lebensentwürfe. Deswegen ist dieser Wahlkampf mit teilweise an Hass grenzender Verbissenheit und dem Vokabular von Glaubenskriegen geführt worden. Neben dem eher unterschwelligen Lager-Denken sind es meines Erachtens vor allem drei Faktoren gewesen, die den Wahlausgang letzten Endes bestimmt haben:

Amerika befindet sich im Krieg. Nach dem 11. September 2001 hatte sich George W. Bush unbestritten als die starke Führungspersönlichkeit präsentiert, um die sich die Nation in der Stunde des Schocks scharen konnte. Er fand den richtigen Ton und mit der Kriegserklärung gegen den Terrorismus die Zustimmung der allermeisten Bürger. Dieser Eindruck wirkte nachhaltiger als die widersprüchliche Politik, mit der er später Amerika in den Irak-Krieg führte. Für das Chaos im Irak nach dem Sturz des Diktators hatte Bushs Konkurrent Kerry zwar Schuldzuweisungen, aber keine plausible Alternativlösung zu bieten. Er steckte fest in der Patriotismusfalle: Er hatte für den Krieg gestimmt und wollte nun den obersten Befehlshaber austauschen, während die Truppe weiterkämpfte. Kerrys ständiger Verweis auf seinen Einsatz im Vietnamkrieg vor über 30 Jahren hat ihm am Ende eher geschadet als genützt.

Die wirtschaftliche Entwicklung in den USA hatte sich vor der Wahl positiv stabilisiert. Zwar blieben die Zahlen über den Zuwachs an Arbeitsplätzen hinter den Erwartungen zurück, aber die befürchtete Rezession war ausgeblieben. Die Gefahren wegen der schwindelerregenden Defizite im Haushalt haben die Wähler weniger beeindruckt als die von der republikanischen Mehrheit des Präsidenten durchgesetzten Steuersenkungen.

In Organisation und Taktik war die Wahlkampfregie des Bush-Lagers weitaus effektiver als die der Opposition. Das lag nicht am Geld. Auch die Demokraten hatten diesmal, zum Beispiel in dem Multimilliardär Soros, Sponsoren, die von außen massive Werbeaktionen im Umfeld der Parteizentrale finanzierten. Den Ausschlag gab vor allem Bushs wichtigster Wahlkampfstratege Karl Rove, der sehr früh erkannte, dass es diesmal nicht darauf ankam, schwankende Wechselwähler zu gewinnen, sondern die eigene Basis zu mobilisieren.

In vierfacher Hinsicht ist der Wahlsieg ein persönlicher Triumph für Präsident Bush gewesen. Er gewann die Mehrheit im Gremium der Wahlmänner aus den einzelnen Bundesstaaten. Er erreichte – anders als bei der Wahl vor vier Jahren – die Mehrheit aller abgegebenen Stimmen, und seine Partei konnte im Abgeordnetenhaus und im Senat ihre Überlegenheit gegenüber der Opposition ausbauen. Schließlich hat George W. Bush mit der Wiederwahl für eine zweite Amtszeit zum ersten Mal in seiner Karriere eine Hürde genommen, an der sein Vater gescheitert war. Er ist aus dem Schatten des älteren herausgetreten.

Im Lager der Opposition war nach der verlorenen Wahlschlacht ein auffälliger Unterschied zur Niederlage des Kandidaten Al Gore im Jahr 2000 zu beobachten. Damals machten sich Wut, Trauer, Empörung Luft. Diesmal herrschte stille Resignation. Zum einen lag dies an der Person des Kandidaten. John F. Kerry ist von seinen Anhängern zu keiner Zeit verehrt oder gar geliebt worden. Er hat die Distanz zum Publikum nie überwinden können und wenn er sich bemühte, schadete es seiner Glaubwürdigkeit. »Electability«, die vermutete Chance, dass er Bush schlagen könnte, blieb das am häufigsten genannte Argument, wenn die Meinungsforscher fragten, warum Wähler für Kerry seien. Persönliche Abneigung gegen Bush war als emotionales Leitmotiv im Wahlkampf der Demokraten dominierend und nicht Begeisterung für den aristokratischen Senator aus Massachusetts.

Die Wiederwahl des Präsidenten bedeutet für viele Amerikaner das Ende eines vier Jahre lang gepflegten Mythos: Dass George W. Bushs Einzug ins Weiße Haus eine Art Irrtum der Geschichte gewesen sei, ein Ausrutscher, ein Zufall. Jetzt ist klar, dass Bush trotz aller Kritik im In- und Ausland die Richtung repräsentiert, in die sich Amerika nach dem Willen der Mehrheit bewegt. Dieser Erkenntnis müssen auch die Partner der USA politisch Rechnung tragen. Oftmals haben wieder gewählte amerikanische Präsidenten in ihrer zweiten Amtszeit anders regiert als in der ersten. Ohne den nächsten Wahlkampf im Visier, haben sie mehr an ihren Platz in den Geschichtsbüchern gedacht, Prioritäten und politische Ziele neu definiert. Bei Präsident Bush ist das nicht zu erwarten. Er sieht sich bestätigt und ist nach eigener Aussage entschlossen, das gewonnene politische Kapital auch einzusetzen. In der Innen- wie in der Außenpolitik wird er seine ideologisch geprägte Linie entschlossen fortsetzen. Wenn er – was durchaus zu erwarten ist – einen etwas anderen Stil pflegen wird, dann ist das Ergebnis eines Lernprozesses, der ihm im Irak gezeigt hat, dass auch die globale Supermacht einer Kosten-Nutzen-Kalkulation unterworfen ist. Am Beginn der neuen Amtsperiode ist in entscheidenden Bereichen der Weltpolitik – Naher Osten, transatlantische Beziehungen, Kampf gegen Terror, Vereinte Nationen – soviel in Bewegung wie noch nie seit dem Ende des Kalten Kriegs. Auf der Suche nach Ordnung in den Zeiten der Globalisierung konkurrieren Visionen mit Realpolitik. Die Verantwortung des wiedergewählten Präsidenten George W. Bush ist noch größer geworden.

 
 
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