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2004  
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Bettina Schausten

Ein Wahlabend im September
Zum Umgang mit Rechtsextremen im Fernsehen

 
Bettina Schausten
Bettina Schausten
              
 

Die Wahlerfolge von NPD und DVU bei den Landtagswahlen in Sachsen und in Brandenburg am 19. September 2004 lösten eine breite politische und publizistische Debatte aus. In Brandenburg gelang der DVU des Münchener Verlegers Gerhard Frey das, was dem Häuflein Abgeordneter niemand zugetraut hätte: mit 6,1 Prozent nach 1999 zum zweiten Mal in Folge in den Potsdamer Landtag einzuziehen. In Sachsen kam die NPD aus dem Stand auf 9,2 Prozent der Stimmen und blieb damit nur knapp hinter dem Ergebnis der SPD (9,8 Prozent) zurück.

In den letzten Wochen vor dem Wahltermin hatten die Umfragen aller Meinungsforschungsinstitute einen Erfolg für die Rechtsextremen vorausgesagt, die den Sommer über geschickt auf den Zug des Anti-Hartz-Protestes aufgesprungen waren. Mit simplen Parolen wie »Schnauze voll« versuchten beide Parteien, das gerade in den neuen Bundesländern vorhandene Potential unter den Wahlberechtigten abzuschöpfen, sich als Alternative zu den etablierten Parteien anzubieten – unter Weglassung selbstverständlich der Kenntlichmachung ihrer wahren, verfassungsfeindlichen Ziele. Der Erfolg lag auch in der vorausgegangenen Abmachung zwischen DVU-Chef Frey und dem NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt begründet, sich in den Ländern nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen und nicht gegeneinander anzutreten. Die erfolgreiche Strategie fand anschließend ihre Umsetzung in der dann Ende Oktober 2004 vereinbarten Zusammenarbeit beider Parteien für die Bundestagswahl 2006. Erklärtes Ziel: die Errichtung einer »Volksfront von rechts«.

Dem Wahlabend folgte ein publizistischer Aufschrei. Wie konnte das passieren? Mit der politischen Erörterung dieser Frage in Zeitungen und Magazinen, die ein Versagen der demokratischen Parteienlandschaft und ihrer Vertreter auf Länder- wie auf Bundesebene in den Mittelpunkt stellte, korrelierte die Kritik an der medialen Präsentation dieses unerhörten Ereignisses mit dem Titel »Die braune Gefahr ist zurück«. Auch hier wurde Versagen konstatiert im Umgang mit den rechtsextremen Parteienvertretern, und diese Kritik traf vor allem die Wahlsendungen von ARD und ZDF. Insbesondere die traditionelle Spitzenkandidaten-Runde im sächsischen Landtag im Rahmen der 19-Uhr-»heute«-Sendung wurde für viele schreibende Vertreter der journalistischen Zunft zum Kristallisationspunkt ihrer Kritik. Als Reaktion auf die Polemik des NPD-Vertreters Holger Apfel, der den Liveauftritt zu einer Propagandarede mit nationalen Parolen und Angriffen auf die anwesenden Politiker (»asoziale Politik«) nutzte, hatten die Vertreter der anderen Parteien spontan und ohne vorherige Ankündigung das Set verlassen. Als Moderatorin musste ich die Runde abbrechen, um dem NPD-Mann die Bühne nicht ohne politischen Widerpart zu überlassen. Dazu gab es in der gegebenen Livesituation einer Statementrunde keine Alternative.

Der nachträglichen Handlungsanweisungen gab es viele. Mancher Einwand, vor allem der zu großer Emotionalität in dieser Situation, wurde selbstkritisch diskutiert. Die Schärfe der Kritik spiegelte allerhöchste, teils auch überhöhte Ansprüche an Journalisten im Umgang mit Rechtsradikalen wider und offenbarte zugleich einen Komplex, mit dem sich Berichterstatter erneut konfrontiert sahen: dass es bisher kein allgemein geltendes Positivbeispiel gibt, in dem ein Interviewer einen rechtsextremen Gesprächspartner wirklich »geknackt« hätte. Beispiele für das Gegenteil gibt es hingegen genug, in denen Kollegen am Ende entweder als zu harmlos oder als zu konfrontativ beurteilt wurden. Jenseits der konkreten Situation an diesem Wahlabend ging es also um Grundsätzlicheres. Nämlich um die Frage: Wie kann dieses immer wieder geforderte »Knacken«, wie kann Entlarvung gelingen? Kann sie im Medium Fernsehen überhaupt gelingen und unter welchen Bedingungen?

Soviel steht fest: Das Vertrauen darauf, rechtsextreme Parteienvertreter entlarvten sich, wenn man sie genauso behandelte wie alle anderen auch, quasi automatisch, indem die Beschränktheit ihrer politischen Substanz jedem schnell offenbar werde, reicht nicht aus. Die Ereignisse des Wahljahres 2004, insbesondere der Erfolg der NPD, haben die veränderte Strategie der Rechtsextremen sehr deutlich gemacht. Zunehmend hat man es mit einem »Rechtextremismus in Nadelstreifen« zu tun. Gerade die NPD bemüht sich, das Bild einer normalen, »manierlichen« Partei abzugeben. Dazu gehören ihre Vertreter, die gezielt aus der Mitte der Gesellschaft rekrutiert werden. Dies ist Teil einer »Dreifachstrategie des Kampfes um die Straße, die Parlamente und die Köpfe« (Professor Werner Patzelt, TU Dresden). Gleichzeitig unterstützt der bürgerliche Normalo-Anstrich der Exponenten eine kalkulierte Taktik, die darauf abzielt, insbesondere bei Medienauftritten Ressentiments gegen die Medien selbst zu schüren. Rechtsradikale treten hierbei nicht als Gesprächspartner im üblichen Sinne auf, sondern vor allem als Vermittler von Botschaften. Jede Situation, in der Journalisten die Spielregeln eines Gesprächs einfordern beziehungsweise durchsetzen, wird gleichzeitig genutzt, um in die Opfer-Rolle dessen zu schlüpfen, dem angeblich der Mund verboten wird. Der Interviewer wird zum Sparringspartner, beim Zuschauer setzen Solidarisierungseffekte ein. Das Dilemma lautet: Indem das Fernsehen Rechtsextremen Redezeit einräumt, steht es immer in der Gefahr, zur Plattform rechter Agitation zu werden.

Wie kann Fernsehberichterstattung unter solchen Bedingungen aussehen? Im Rahmen eines Workshops auf Einladung unserer Hauptredaktion Innen-, Gesellschafts- und Bildungspolitik Anfang Dezember 2004 haben wir dies im Detail diskutiert – politisch, juristisch und journalistisch. Dabei wurde schnell klar: Der Umgang mit Rechtsradikalen im Fernsehen ist eine Gratwanderung. Insbesondere ihre Teilnahme an Livesendungen stellt, da sie den Propagandainteressen von Extremisten, nämlich dem kalkulierten Eklat am meisten entgegenkommt, ein Risiko dar, das im Einzelfall nüchtern abgewogen werden muss. Die Möglichkeiten der Aufzeichnung, gerade in Talk-Sendungen, sollten dazu genutzt werden. Um die Zuschauer über die wahren Ziele und Strategien rechtsextremer Parteien in diesem Land aufzuklären, erscheinen jenseits der ereignisabhängigen Berichterstattung dokumentarische und Magazin-Formen als angemessen.

Eine im Dezember 2004 vorgestellte Studie der ARD/ZDF-Medienkommission zum Thema »Rechtsextremismus und Fernsehen« bemängelt vor allem unzureichende Vermittlung von vertiefender, kontinuierlicher Hintergrundberichterstattung. Hierauf muss sich der journalistische Ehrgeiz richten. Ein Verhalten, das in erster Linie bei einer bestmöglichen medialen Wirkung im Umgang mit Rechtsradikalen stehen bleibt, greift zu kurz. Der Dresdener Parteienforscher Professor Patzelt, Hauptreferent des Workshops, bezeichnete in diesem Zusammenhang dies als Schlüsselsatz: »Was man sieht oder hört, ist abhängig von dem, was man schon weiß!« Das Ziel kann also nur lauten: ZDF-Zuschauer sollen möglichst viel wissen und erfahren – über Gedankengut, Strategien und Strukturen rechtsextremer Parteien, über deren Arbeit in den Landesparlamenten, deren Versuche – beispielsweise über gezielte Jugendarbeit im Osten Deutschlands –, weiter in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Die Sendungen des ZDF werden dies weiter leisten – in einer kontinuierlichen und kritischen Berichterstattung.

 
 
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