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2004  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Guido Knopp
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Guido Knopp

20 Jahre Zeitgeschichte

 
Guido Knopp
Guido Knopp


Guido Knopp, Initiator des Projekts »Die Augen der Geschichte«


Szene aus »Deutschlandspiel«: Helmut Kohl, gespielt von Lambert Hamel, mit seinem Berater Horst Teltschik (Udo Schenk)
Szene aus »Deutschlandspiel«: Helmut Kohl, gespielt von Lambert Hamel, mit seinem Berater Horst Teltschik (Udo Schenk)


Szene aus »Der Aufstand«: Bauleiter Pfeng (Uwe Bohm) versucht abzuwiegeln, aber zu spät
Szene aus »Der Aufstand«: Bauleiter Pfeng (Uwe Bohm) versucht abzuwiegeln, aber zu spät
              
 

Die Welt, Europa, Deutschland waren geteilt. Auf Symposien diskutierten Meinungsmacher über die »deutsche Frage«, Bücher über deutsche Identität und den Umgang mit der »schwierigen Vergangenheit« überschwemmten den Buchmarkt: »Wer sind wir? Woher kommen wir? Wohin gehen wir?«. Vor diesem Hintergrund wurde vor 20 Jahren die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte gegründet. Wir gingen mit der Überzeugung an den Start: Kein Medium ist geeigneter als das Fernsehen, historische Zusammenhänge einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Das Fernsehen hat die Kraft, Geschichte sinnlich erfahrbar zu machen, Neugier, Anteilnahme, Spannung und Betroffenheit zu wecken. Heute gilt dies mehr denn je.

Die Bilanz ist erfolgreich, gelang es doch, in zwei Jahrzehnten viele Menschen zu interessieren, die bis dahin einen Bogen um Zeitgeschichte geschlagen hatten. Wir entwickelten adäquate filmische Formen und erhielten nach beachtlicher Resonanz immer mehr Termine in der Primetime. Waren es anfangs noch sieben Sendeplätze am späten Abend, sind es heute über 20 zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Und anstelle der zehnminütigen wöchentlichen Reihe »damals – vor vierzig Jahren«, die 1984 startete, präsentiert die Redaktion heute sonntags das 45-minütige Geschichtsmagazin »ZDF-History«.

Stets versuchen wir, als »Detektive der Geschichte«, Schneisen durch den Dschungel der Vergangenheit zu schlagen. Unser Medium fordert dafür Bilder. Bilder bleiben haften. Bilder machen Meinung. Wer sich im 21. Jahrhundert etwa für das 20. Jahrhundert interessiert, der wird nicht nur nach Büchern greifen, sondern wird, zu Recht, die ganze Fülle der medialen Möglichkeiten nutzen, um Geschichte sinnlich zu erfahren, zu erleben. Dazu gehört neben dem Bild auch das gesprochene Wort, die menschliche, authentische Erinnerung. Nicht zuletzt auch deshalb haben wir die Aktion »Die Augen der Geschichte« ins Leben gerufen. Immer wieder ist der ZDF-Jahrhundertbus – das mobile Fernsehstudio – auf den Marktplätzen in Deutschland unterwegs, um Zeitzeugen zu befragen. Wie haben Menschen das Ende der ersten Demokratie in Deutschland erlebt, wie Hitlers so genannte »Machtergreifung«? Wie die Kriegs- und die Nachkriegsjahre? Und: Was wussten sie vom Völkermord? Diese Aktion steht im Wettlauf mit der Zeit. Der Jahrgang 1920 war gerade 19 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg begann. Heute sind die Menschen dieses Jahrgangs 84 Jahre alt, im Jahre 2010, sofern sie es erleben dürfen, 90. Danach ist diese letzte Chance bildlich eingefangener Erinnerung unwiederbringlich dahin. Wir haben eine enge Zeitspanne, um das kollektive Gedächtnis der Deutschen beispielsweise an die NS-Zeit zu sichern. Eine Spanne, die wir nutzen müssen.

Die Geschichte hinter der Geschichte zu erzählen, die Bilder hinter den Bildern zu zeigen – das ist die Aufgabe der Historiker und Journalisten, die für unsere Programme zeitgeschichtlich arbeiten. Für all unsere Programme gelten generell die klassischen Forderungen nach Aktualität, Kontinuität, Vielfalt und Nähe. So haben wir in diesem Jahr des Gedenkens an das Attentat vom 20. Juli 1944 auf Hitler ein Doku-Drama vorgelegt, das nicht nur die Hintergründe jenes Attentats zeigen wollte, sondern auch die tragische Geschichte der Verschwörer. Einige von ihnen waren in den Angriffs- und Vernichtungskrieg verstrickt.

Das Stilprinzip der Kontinuität verpflichtet uns, in Sachen Zeitgeschichte über das einzelne Ereignis hinaus nach übergreifenden Strukturen zu suchen, ohne dass dabei die historischen Widersprüche auf der Strecke bleiben. Diesem Anspruch werden vor allem Reihen und Serien gerecht. Ich nenne etwa unsere Reihe »Kanzler«: sechs biografische Essays über die Kanzler unserer Republik im Kontext ihrer Zeit, der ersten 50 Jahre Bundesrepublik, vielleicht die besten, glücklichsten der deutschen Geschichte – gekrönt von dem unverhofften »Happy End« der deutschen Einheit. Vielfalt heißt in Sachen Zeitgeschichte: Historische Geschehnisse müssen auch formal mit dem breiten Spektrum ihrer Möglichkeiten darzustellen sein. Vielfalt heißt auch, dass mitunter unterschiedliche Geschichtsbilder in einer Sendung gegeneinander gestellt werden können. In manchen unserer Reihen – »Der verdammte Krieg« zum Beispiel oder »Stalingrad« –, die zur gleichen Zeit im deutschen wie im russischen Fernsehen gesendet wurden, war es möglich, beide unterschiedlichen Geschichtsbilder in eine Form zu bringen. Das Prinzip der Nähe schließlich gilt vor allem für die deutsche Zeitgeschichte. Stoffe, Formen und Gestalten, die uns »nahe« gehen, sind zunächst in unserer eigenen Vergangenheit zu finden. Wo Nähe ist, da wird Vergangenheit lebendig, wird aus Beliebigkeit Betroffenheit. Nähe ist vorhanden, wenn Geschichte transparent gemacht wird – etwa durch die Darstellung von Wendepunkten oder exemplarischen Personen. Ein aktuelles Bespiel dafür ist unsere Reihe »Hitlers Manager«. Albert Speer, Wernher von Braun, Ferdinand Porsche, Alfried Krupp und Alfred Jodl waren Männer, die sich im Geflecht des NS-Regimes zu entscheiden hatten zwischen Erfolg und Gewissen – wie sie sich entschieden, war der eingehenden Analyse wert.

Unsere Konzepte haben sich bewährt und gerade in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Erfolge erzielt, die das Genre der historischen Dokumentation im ZDF zu einem mittlerweile international bekannten Markenzeichen haben werden lassen. Noch vor ein paar Jahren war der Weltmarkt fest in Hand der BBC. Jetzt spielen wir als zweiter »Global Player« kräftig mit. Wenn unsere Serien in über 70 Ländern, von den USA bis nach Australien, zu sehen sind, so ist das ein Indiz für eine Tatsache: Zeitgeschichtliche Dokumentationen aus Deutschland sind für Zuschauer in aller Welt schlicht und einfach interessant. Wohlgemerkt: Es handelt sich um Sendungen des ZDF, die hier zu Lande nicht im Getto der Spezialprogramme kurz vor Mitternacht zu sehen sind, sondern in der Prime- time. Wir konkurrieren nicht mit anderen Dokumentationen, sondern mit Fußball und mit attraktiven Spielserien. Wir müssen den Zuschauer interessieren. Deswegen unterliegen alle unsere Programme dem gleichen Grundsatz: Anspruch und Zuspruch. Denn nur durch die Verbindung beider Ziele werden für die großen zeitgeschichtlichen Projekte Zuschauer gewonnen, die sich zuvor dafür nicht interessierten. Das hat nichts zu tun mit »Quotenfetischismus«. Doch ein Fernsehfilm ist keine Doktorarbeit, und er hat auch keine Fußnoten.

Es gehört zu unserem Auftrag, auch die schlimmste Epoche deutscher Geschichte für ein großes Publikum darzustellen. Das Themenfeld NS-Zeit darf auch künftig nicht ganz aufgegeben werden – schließlich war es eine Zeit der existenziellen Grenzerfahrungen. Doch ganz generell wird sich die Zeitgeschichte in Zukunft mehr der Nachkriegszeit zuwenden: Die Teilung Deutschlands, die Schritte zur deutschen Einheit – auch dazu gab es bereits eine Fülle von Dokumentationen, Reihen und Sondersendungen, etwa die preisgekrönte sechsteilige Reihe »Die deutsche Einheit« sowie die Doku-Dramen »Deutschlandspiel« und »Der Aufstand« zum Jahrestag des 17. Juni 1953. Alle unsere Filme sind von kompetenten und mitunter prominenten Historikern untermauert. Sie sind, im besten Sinne, Wissenschaftsvermittlung für ein großes Publikum: populär, nicht populistisch. Es gilt, Qualität und Quote, Markt und Marke miteinander zu verbinden. Das dokumentarische Genre tritt nicht auf der Stelle, es geht neue Wege, um die Wirklichkeit historischen Geschehens mit den Möglichkeiten zeitgemäßer Bildgestaltung darzustellen. In der Flut medialen Überangebots, vor allem auf dem Unterhaltungssektor, hat nur attraktiv gemachtes, spannendes, bewegendes historisches Ereignisfernsehen eine Chance, zu bestehen und so unverwechselbare Orientierungspunkte der Erinnerung zu setzen.

Um die Menschen für Geschichte im Fernsehen überhaupt zu interessieren, sind andere Vermittlungsformen notwendig als Hochschulseminare oder Feuilletonartikel. Geschichte, nicht nur die der Nazizeit, ist per se zu wichtig, um das Wissen über sie und das Interesse an ihr einer Minderheit zu überlassen, die ohnedies schon alles weiß oder zu wissen glaubt. Möglichst viele aber müssen wissen, was uns alle angeht. Das bedeutet letzten Endes eine Demokratisierung des historischen Diskurses. Nur das Fernsehen hat die Chance, sogar noch Schichten zu erreichen, die für diesen zeitgeschichtlichen Diskurs sonst unerreichbar wären. Aufklärung braucht Reichweite.

 
 
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