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2004  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Halim Hosny/Luc Walpot

Kein Ende des Irak-Kriegs

 
Halim Hosny
Halim Hosny


Luc Walpot
Luc Walpot
              
 

Es kam noch schlimmer

Bagdad am 9. April 2004. Die Moschee am Faradoos-Platz im Zentrum der Stadt wird mit »Hell Bells«-Musik bombardiert. Der Muezzin hat keine Chance. Sein Ruf zum Freitagsgebet geht im Gedröhn unter. Vom Balkon unseres Büros im Palestine-Hotel beobachte ich die gespenstische Szene. Ein US-Militärjeep rollt langsam an der Moschee vorbei. Aus dem Megafon peitscht die Musik der Heavy-Metal-Gruppe AC/DC durch die Innenstadt. Am islamischen Feiertag – warum nur gießen die Amerikaner noch mehr Öl ins ohnehin schon hell lodernde Feuer, frage ich mich? Die Musik wird unterbrochen. Aus dem Megafon ist nun eine metallische Ansage auf arabisch zu hören: »Wer sich auf der Straße verdächtig verhält, wird ohne Vorwarnung beschossen.« Das Zentrum ist menschenleer. Der 9. April ist ein historischer Tag, und der Faradoos-Platz ein historischer Ort. Ein Jahr zuvor lagen sich hier Iraker und US-Soldaten in den Armen und holten gemeinsam eine Statue des Diktators Saddam Hussein vom Sockel. Und irgendwie hatten an diesem Tag wohl alle die Hoffnung auf bessere, friedliche Zeiten.

Doch aus den bejubelten Befreiern sind verhasste Besatzer geworden. Schnell und ungestört haben sich militante Extremistenorganisationen, einheimische wie ausländische, im Lande ausbreiten und vernetzen können. Nicht zuletzt, weil die amerikanische Zivilverwaltung gleich nach Kriegsende einen folgenschweren strategischen Fehler beging. Sie entließ alle Polizisten und Armeeangehörige und sorgte so für ein Sicherheitsvakuum im ganzen Land.

Zu Beginn bekämpften Widerständler und Terrororganisationen die Besatzer mit spektakulären Anschlägen wie den auf das UN-Gebäude im August 2003. Mit der Zeit häuften sich die Angriffe. Das neue Jahr markierte eine dramatische Zunahme der Gewalt. Bis Ende März beschränkte sie sich weitgehend auf den sunnitischen Gürtel in Zentral- irak um die Rebellenhochburgen Falludscha und Ramadi.

Dann ordnet Paul Bremer, der damalige US-Zivilverwalter für den Irak, die Schließung der Hauszeitung des radikalen schiitischen Predigers Muktada al Sadr an und lässt nur drei Tage später Al Sadrs engsten Vertrauten verhaften. Über Nacht bricht unter den Schiiten ein Sturm der Empörung aus. Sie werten die Maßnahmen als Frontalangriff auf die Meinungsfreiheit und auf die Integrität ihrer religiösen Führung. »Ist das Freiheit, ist das Demokratie?«, rufen uns wütende Menschen in die Kamera. Al Sadrs Mehdi-Milizen liefern sich im Bagdader Elendsviertel Sadr City erbitterte Kämpfe mit den US-Truppen. Es brennt in Kufa, Nadschaf und Kerbela. Die Besatzungstruppen befinden sich plötzlich in einem Mehrfrontenkrieg. Und die Folterfotos von Abu Ghraib treiben den militanten Kräften noch mehr Helfer und Unterstützer in die Arme.

Anfang September fliege ich wieder zur Berichterstattung nach Bagdad, überzeugt, dass es nicht mehr schlimmer werden kann. Aber in den folgenden drei Wochen werde ich Zeuge einer wahren Gewaltorgie. Täglich erschüttern neue Selbstmordanschläge, Attentate und Straßenkämpfe die Hauptstadt. Es ist auch die Hochzeit der Kidnappings. Mit professioneller Präzision machen Terroristen Jagd auf internationale Helfer, Geschäftsleute und Journalisten. In ritualisierten Videobotschaften zeigen sich die Entführer, vermummt, bewaffnet, martialisch. Vor ihnen kauert das Opfer. In einen orangefarbenen Overall gesteckt, wie ihn die Guantanamo-Häftlinge tragen. Erst verliest der Anführer die Forderungen, dann fleht die Geisel vor der Kamera kniend um ihr Leben. Wenige Tage später folgt das nächste Horrorvideo. Das gefesselte Opfer hockt auf dem Boden, dahinter verkündet der Anführer das Todesurteil. Dann zieht er ein Messer und enthauptet sein Opfer vor laufender Kamera. Ende September reise ich ab. Die Erleichterung im Flugzeug ist fast mit Händen zu greifen. Erleichterung darüber, dem irakischen Wahnsinn mit heiler Haut entkommen zu sein.

H. H.

Der Terror als Kriegsfolge

Wir treffen eine halbe Stunde nach der Explosion in Iskanderija ein. Der Tatort im Zentrum der kleinen Stadt südlich von Bagdad wird gerade von US-Soldaten abgeriegelt. Die örtliche Polizei kann nichts mehr absperren. Es gibt sie nicht mehr. Ein Selbstmordattentäter hat soeben die einzige Polizeiwache der Stadt in die Luft gesprengt. Die Stimmung ist aggressiv, die Bewohner drängen zum Ort des Geschehens, wollen helfen, sich ein Bild der Katastrophe machen, ihrer Wut freien Lauf lassen. Es herrscht Chaos. Ambulanzen bahnen sich mühsam einen Weg durch die Menge, Journalisten umgehen die Absperrung, Anwohner beschimpfen die Soldaten.

Wir arbeiten uns vor, durch verformte Autowrack- teile, Splitter und Schutt. Schuhe liegen vor dem weggesprengten Fenster des Gebäudes, in einer großen Blutlache. Es riecht verbrannt. Helfer schleppen verkohlte Leichen aus den Trümmern. Die Szene wirkt surreal, so ungehemmt, so brachial ist diese Gewalt. Warum dieser Wahnsinn, fragt ein Polizeioffizier, der den Anschlag überlebt hat. Er war auf Streife, als die Terroristen zuschlugen. Nach den Tätern fragt er nicht. Die irakische Nachkriegsgesellschaft ist zersplittert, geschockt und verbittert. Aber in einem Punkt herrscht eine stille Übereinkunft: Der Terror, das sind Ausländer. Müssen die Ausländer sein. Iraker können so etwas ihrem eigenem Volk nicht antun. Eine Reaktion der Verzweiflung, der Ohnmacht.

Abseits der Straße stehen die Bürger von Iskanderija zusammen und klagen. Verschwörungstheorien werden geschmiedet. Das waren die Amerikaner, sagt uns ein alter Mann mit fester Stimme. Es war ein Raketenangriff, ich habe das Geräusch genau gehört; dieses Sirren, bevor die Granate einschlägt. Die Umstehenden fallen lautstark in die Vorwürfe mit ein. Ihr seid schuld an diesem Blutvergießen, herrscht mich ein anderer an. Man bedrängt uns. Wir sind vom deutschen Fernsehen, versuche ich zu beschwichtigen. Es hilft wenig. Sie haben ihr Urteil gefällt. Ich spreche mit einem Kaufmann unweit der Polizeistation, der die Explosion miterlebt hat. Glaubt er allen Ernstes, dass die Amerikaner so etwas tun? Nein, das waren vermutlich diese Bin-Laden-Terroristen, sagt er. Aber die müssen doch Helfer haben, irakische Helfer, versuche ich nachzuhaken. Wer beschafft die Autos, wer den Sprengstoff, wer kundschaftet die Anschlagsziele aus? Der Händler weicht aus. Vor dem Krieg hatten wir jedenfalls keine Bombenexplosionen in Iskanderija, faucht er mich an. Das alles haben die Amerikaner hierher gebracht. Was soll ich darauf antworten? Soll man ihn an den Terror des Saddam Hussein und dessen Herrscherclique erinnern? An die Millionen Opfer im Irankrieg, die brutale Repression, die willkürlichen Hinrichtungen, die Massengräber?

Sie wissen um diese Vergangenheit, schließlich sind sie in einem System ständiger Menschenverachtung aufgewachsen. Doch wie in jeder Diktatur, so hatten auch die Menschen im Irak gelernt, mit der Allmacht und dem Wahnsinn des Geheimdienstapparats umzugehen. Saddam, das war berechenbarer Terror. Die starke Hand, die mit dem Schwert für Ordnung sorgte. Jetzt sind sie Saddam los, der Irak wurde befreit.

Doch für eine Demokratie war das Land nicht vorbereitet. Und die Befreier schätzten die Lage völlig falsch ein. Jetzt ist der Terror unberechenbar geworden, schlägt zu, wann und wo immer es den Drahtziehern beliebt. Und stürzt die Menschen in tiefe Angst und Hilflosigkeit. Hier in Iskanderija geht das Kalkül der Attentäter auf. Und nicht nur hier. Die ohnmächtige Wut richtet sich nicht gegen die mutmaßlichen Täter, die untergetauchten, gut organisierten Todesschwadronen des alten Regimes. Diese Täter sind nicht fassbar, sie bleiben unwirklich. Die Menschen richten ihren Hass auf die Besatzungsmacht und deren Helfer. Es ist eine emotionale Reaktion. Doch im Angesicht der täglichen Gewaltopfer nach Vernunft zu rufen, scheint verwegen. Ohnehin bleibt keine Zeit für die Frage: Wir müssen zurück nach Bagdad, wo die nächste Bombe hochgegangen ist.

L. W.

 
 
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