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2004  
ZDF Jahrbuch
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Peter Arens

»Unsere Besten – Das große Lesen«
Die größte Lesekampagne, die es jemals gab

 
Peter Arens
Peter Arens


Johannes B. Kerner im Gespräch mit dem Bestsellerautor Frank Schätzing
Johannes B. Kerner im Gespräch mit dem Bestsellerautor Frank Schätzing


Belesene Prominente bei Johannes B. Kerner: Hellmuth Karasek, Susanne Fröhlich, Alice Schwarzer und Ottfried Fischer
Belesene Prominente bei Johannes B. Kerner: Hellmuth Karasek, Susanne Fröhlich, Alice Schwarzer und Ottfried Fischer
              
 

Eine funkelnde Büchergala sollte es werden, über die Lesefavoriten der Deutschen, für ein großes Fernsehpublikum. In der Primetime am Freitagabend, über zwei Stunden lang. Das Flaggschiff »heute-journal« würde ausnahmsweise entfallen. Um »Das große Lesen« zu einem selbstbewussten, relevanten Kulturevent zu machen, brauchten wir angesichts der nicht unproblematischen Liaison zwischen Literatur und Fernsehen eine gehörige Prise Optimismus. Aber schon »Unsere Besten – Wer ist der größte Deutsche?« hatte im Herbst 2003 bewiesen, dass kulturelle Themen auch zur Hauptsendezeit glänzend funktionieren können. Als am 1. Oktober um 23.35 Uhr das Lieblingsbuch der Zuschauer, der erste Platz, Der Herr der Ringe, verkündet wurde, schauten 3,9 Millionen Menschen zu. »Unsere Besten – Das große Lesen« ist somit die erfolgreichste Literatursendung, die jemals im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde.

»Das große Lesen« war ein schönes Spiel – und viel mehr. Wir wollten herausfinden, welche Bücher die Deutschen wirklich lesen – und nicht, welche sie bloß in ihren Regalen stehen haben. Welche Substanz haben Bücher in unserer überhitzten Mediengesellschaft, sind sie tatsächlich dem Untergang geweiht? Anscheinend nicht. Denn die dem Projekt innewohnende Kraft wurde schnell deutlich: Nach dem Auftakt durch Elke Heidenreich in der »Lesen! extra«-Sendung veröffentlichten wir eine Vorschlagsliste, die 200 Bücher (ohne nationale Schranken) umfasste und als Anregung zur Abstimmung dienen sollte. Über 10 000 Buchhandlungen konnten wir unter Mithilfe des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Stiftung Lesen mit dieser Liste beliefern. Bereits eine Woche später hatten uns 60 000 Nominierungen erreicht, überwiegend von Frauen und von der jungen Leserschaft.

Alle Genres durften gewählt werden, lediglich jugendgefährdende Schriften und reine Serviceangebote wie das Telefonbuch waren von der Wahl ausgeschlossen. Natürlich wohnte unserer Liste eine unvermeidliche Willkür inne, wir hatten aus dem Meer von gewiss über 1 000 großartigen Büchern buchstäblich mit dem Sieb schöpfen müssen. Doch konnte jeder Leser eigene Vorschläge unterbreiten, sodass der ZDF-Computer nach der Frist von vier Wochen 12 615 Titel erfasst hatte. Die Zählung wurde bei 250 000 abgegebenen Stimmen eingestellt, obwohl uns weiterhin Wäschekörbe voller Wahlzettel erreichten. Eine solch umfangreiche Erhebung über Bücher hatte es noch nie gegeben. Das Land der Dichter und Denker liest und gibt gerne seine süßesten Lesefrüchte preis – ein erstes Ergebnis der ZDF-Aktion.

Womit war diese überwältigende Resonanz zu erklären? Der Grund liegt wohl darin, dass wir bei dem Format »Unsere Besten« den Zuschauer selbst über das Programm entscheiden lassen. Der Zuschauer ist der Programmgestalter, er stellt sich mit seinen abgegebenen Stimmen seine eigene Sendung zusammen. Beim »Großen Lesen« schrieben wir ihm nicht vor, was er lesen soll, sondern hielten fest, was er liest – und liebt. Wir waren Chronisten, keine Kritiker. Wir verteilten keine Noten, fällten keine Urteile. Die Wahl war persönlich, nichtakademisch und streng demokratisch. Professionelle Literaturprüfer mochten mit dieser plebiszitären Kultur von unten vielleicht ihre Schwierigkeiten haben; so beklagte sich der WDR-Literaturkritiker Denis Scheck über »Das große Lesen« im Berliner Tagesspiegel mit dem Argument, das demokratische Prinzip sei in der Kunst ein Verhängnis. Dennoch sprach sich der Literaturbetrieb mit überwältigender Mehrheit für das ZDF-Projekt aus, die FAZ veröffentlichte als Partner der Aktion zwischen dem 6. Juli und dem 6. August eine tägliche Artikelserie über die Lieblingsbücher von Autoren und Journalisten.

Dass wir keine Angst vor dem Zuschauer zu haben brauchten, vor fatalen Fehlentscheidungen und peinlichen Geschmacksdebakeln, dass die Menschen in diesem Land urteilssicherer sind als viele glauben, hatten wir bereits bei der »Unsere Besten«-Wahl des größten Deutschen erfahren, als Martin Luther, Johannes Gutenberg und die Geschwister Scholl unter den ersten zehn landeten, weit vor allen Eintagsfliegen der Populärkultur. Welche Bücher würden die Deutschen also nominieren? Würden Hera Lind oder Rosamunde Pilcher das Rennen machen, wie Elke Heidenreich schaudernd argwöhnte, oder die Thriller eines John Grisham oder einer Donna Leon? Würde die anspruchsvolle Unterhaltungsliteratur eines John Irving literarische Altmeister wie Goethe, Dostojewski und Balzac vom Podest stoßen?

Über Klassiker soll Hemingway einmal gesagt haben: »Ein Meisterwerk ist ein Buch, über das alle Welt spricht, das aber niemand liest.« In der Tat wurde ein schwieriges Meisterwerk wie Der Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil von den Zuschauern nicht berücksichtigt, auch Kafka nicht oder Brecht. Viele der Bücher aus unserer Schulzeit, die weder freiwillig noch ganz unbefangen gelesen wurden, hatten beim »Großen Lesen« keine Chance. Es war eine ehrliche Wahl, ohne Alibinennungen. Es haben die narrativen Schwergewichte gesiegt, die Mann und vor allem Frau nicht mehr aus der Hand legen: die Champions der erzählenden Literatur, zeitlose Evergreens, Klassiker der Herzen, darunter vor allem historische Romane – eher die dicken Bücher also, die berühmten »Pagemonster«, wie sie im Englischen gerne genannt werden. Im Prinzip jene Romane, bei denen der leidenschaftliche Leser am Ende einer jeden Seite wissen will, wie es weitergeht (dies erklärt auch die völlige Abwesenheit von Sachbüchern unter den Top 100). Ist unser aller Lesetrieb nicht genau darauf zurückzuführen: auf die Neugier, die unstillbare Neugier auf Geschichten?

Die Neugier war es auch, die die Zuschauer bis zuletzt an die Finalshow fesselte. Johannes B. Kerner war ebenso wie seine Gäste Alice Schwarzer, Susanne Fröhlich, Hellmuth Karasek und Ottfried Fischer bestens aufgelegt, und der filmische Countdown der Dortmunder Filmfirma Colourfield war ein kleines Meisterwerk optischer Kurzerzählungen. Letztlich aber wollte jeder wissen: Wie würde es ausgehen? Wer sind die ersten zehn, wer wird gewinnen? Jene Klassiker, die der literarischen Volksbefragung des Massenmediums Fernsehen die Stirn geboten haben, stehen nach dem »Großen Lesen« strahlender da als je zuvor: Theodor Fontane, Thomas Mann, Hermann Hesse und Max Frisch sind mit insgesamt neun Titeln in den Top 50 vertreten. Sie wurden nicht aus Ehrfurcht gewählt, sondern weil sie den Menschen noch immer etwas bedeuten.

Goethes Faust kam als einziges Drama unter den ersten 50 auf einen beachtlichen 15. Platz. Der erfolgreichste englischsprachige Autor war John Irving mit vier Büchern unter den ersten 100. Als ausgesprochenes »Frauenbuch« entpuppte sich Jane Austens Stolz und Vorurteil, dessen Stimmen zu 97,1 Prozent von weiblichen Lesern kamen. Die ersten drei haben ihren Platz mit jeweils großem Abstand erreicht: Unangefochtener Sieger wurde John R. R. Tolkiens Der Herr der Ringe, der zu 60,2 Prozent von Lesern zwischen 14 und 29 Jahren gewählt wurde. Es folgten Die Bibel und Ken Folletts Die Säulen der Erde, dessen hohe Platzierung nur für jene überraschend war, die dieses Buch nicht gelesen und somit das Vergnügen glücklicherweise noch vor sich haben.

Das entstandene Ranking mag jeder selbst betrachten und analysieren. Er darf aber darauf vertrauen, dass 250 000 abgegebene Stimmen eine wunderbare literarische Kompassnadel für die eigenen Lesegelüste ergeben können. Die 50 Lieblingsbücher der Deutschen – eine Liste für die Ewigkeit. Wer jetzt nicht weiß, was er alles noch zu lesen hat, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. Er muss sich nur die Zeit dafür nehmen.

Die 50 Lieblingsbücher der Deutschen

1

Tolkien, John Ronald Reuel – Der Herr der Ringe

26

Ende, Michael – Die unendliche Geschichte

2

Die Bibel

27

Hahn, Ulla – Das verborgene Wort

3

Follett, Ken – Die Säulen der Erde

28

McCourt, Frank – Die Asche meiner Mutter

4

Süskind, Patrick – Das Parfum

29

Hesse, Hermann – Narziß und Goldmund

5

Saint-Exupéry, Antoine de – Der kleine Prinz

30

Zimmer Bradley, Marion – Die Nebel von Avalon

6

Mann, Thomas – Buddenbrooks

31

Lenz, Siegfried – Deutschstunde

7

Gordon, Noah – Der Medicus

32

Márai, Sándor – Die Glut

8

Coelho, Paulo – Der Alchimist

33

Frisch, Max – Homo Faber

9

Rowling, Joanne K. – Harry Potter und der Stein der Weisen

34

Nadolny, Sten – Die Entdeckung der Langsamkeit

10

Cross, Donna W. – Die Päpstin

35

Kundera, Milan – Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

11

Funke, Cornelia – Tintenherz

36

García Márquez, Gabriel – Hundert Jahre Einsamkeit

12

Gabaldon, Diana – Feuer und Stein

37

Irving, John – Owen Meany

13

Allende, Isabel – Das Geisterhaus

38

Gaarder, Jostein – Sofies Welt

14

Schlink, Bernhard – Der Vorleser

39

Adams, Douglas – Per Anhalter durch die Galaxis

15

Goethe, Johann Wolfgang von – Faust. Der Tragödie erster Teil

40

Haushofer, Marlen – Die Wand

16

Ruiz Zafón, Carlos – Der Schatten des Windes

41

Irving, John – Gottes Werk und Teufels Beitrag

17

Austen, Jane – Stolz und Vorurteil

42

García Márquez, Gabriel – Die Liebe in den Zeiten der Cholera

18

Eco, Umberto – Der Name der Rose

43

Fontane, Theodor – Der Stechlin

19

Brown, Dan – Illuminati

44

Hesse, Hermann – Der Steppenwolf

20

Fontane, Theodor – Effi Briest

45

Lee, Harper – Wer die Nachtigall stört...

21

Rowling, Joanne K. – Harry Potter und der Orden des Phönix

46

Mann, Thomas – Joseph und seine Brüder

22

Mann, Thomas – Der Zauberberg

47

Strittmatter, Erwin – Der Laden

23

Mitchell, Margaret – Vom Winde verweht

48

Grass, Günter – Die Blechtrommel

24

Hesse, Hermann – Siddhartha

49

Remarque, Erich Maria – Im Westen nichts Neues

25

Mulisch, Harry – Die Entdeckung des Himmels

50

Schätzing, Frank – Der Schwarm

 
 
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