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Es ist der Beruf, den man fürs Fernsehen hätte erfinden müssen, hätte es ihn nicht längst gegeben!
Nicht nur Götter in Weiß, sondern ganze Götterfamilien und -dynastien bevölkern den Bildschirm, selten als Randfiguren, zumeist als Hauptpersonen, stiften Gesundheit, Schönheit, Dankbarkeit, behandeln, betreuen, beleben nicht nur Heilbedürftige aller Sphären, sondern auch ein Medium, das – so will es scheinen – sterbenskrank am Tropf seiner Mediziner hängt und ohne deren therapeutische Rundumversorgung verloren wäre.
Und doch ist Vorsicht geboten. Wer sich in den klassischen Medien, in der Literatur, im Theater oder im Film, auf die Suche nach ärztlicher Hilfe begibt, findet diese (fast) ebenso reichlich wie im Fernsehen. Und auch die dominante Denkfigur, das Klinische bereite vor allem dem Kitschigen, dem Trivialen den Boden, erweist sich als unsichere Diagnose, wenn man etwa neben die Flut der Groschenromane und Edelschmöker nach dem Muster von Konsaliks Arzt von Stalingrad Großromane der Weltliteratur wie Doktor Schiwago oder (jüngst) Der Besuch des Leibarztes von Per Olov Enquist stellt. So ist es kein Wunder, dass auch der Bildschirm über klinische Klischeefiguren und Stereotypen hinaus Weißkittel in einer Fülle von Schattierungen und Charakterfarben auf den Zuschauer loslässt.
Zwei »Arztserien« der anderen Art, die aus sehr speziellen Ansätzen heraus die Faktoren Aufklärung und Information in den Vordergrund stellten, sollen hier ins Gedächtnis gerufen werden. Außerdem sei an einen Gesundheitsklassiker erinnert, der in 40 Sendejahren Programmgeschichte geschrieben hat.
Den medizinischen Geheimnissen versunkener Hochkulturen, dem alten Heilwissen der Ägypter, Inder, Maya und Perser, das heute endgültig verloren zu gehen droht, war die ZDF-Reihe »Im Bann der grünen Götter« gewidmet. Der mit viel öffentlicher Resonanz bedachte Vierteiler (Redaktion: Gudrun Ziegler) wurde im März 2004 jeweils sonntags um 19.30 Uhr auf dem populären »Expeditions«-Termin des ZDF ausgestrahlt.
Wie viel heilkundliches Wissen schlummert noch in Grabkammern, Archiven, Kräutergärten, in Tempeln, Klosterbibliotheken und Palästen? Wie viel wurde über die Jahrhunderte hinweg verschüttet, wie viel lässt sich wiedergewinnen? Moderne Wissenschaftler richten neue Fragen an alte Zeiten, dechiffrieren ägyptische Papyri und mittelalterliche Handschriften, entziffern Rezepte, Methoden und Ratschläge der großen Mediziner vergangener Epochen.
Auf ihrer Spur und in Zusammenarbeit mit Gisela Graichen (»Schliemanns Erben«), die auch das Konzept der Reihe erstellte, machten sich die Autoren Peter Prestel, Andreas Orth und Thomas Hies auf die Jagd nach verschollenen Heilkräutern und Heilmitteln, um sie auf ihre therapeutische Wirksamkeit zu prüfen. Vier spannende Expeditionen auf der Suche nach dem »grünen Gold«, ein Brückenschlag über unterschiedliche Zeit- und Kulturräume hinweg, das ergab auch für den Zuschauer einen vielschichtigen Fernsehstoff.
Erinnerungsarbeit in ganz anderer Hinsicht, Gewissenserforschung statt Wissenssicherung versuchte eine zweite Dokumentarreihe zu leisten, die sich in diesem Jahr mit der Geschichte der Medizin beschäftigte. Aktuellen Umfragen zufolge weiß kaum ein Medizinstudent, dass sich die deutsche Ärzteschaft weit mehr als die Durchschnittsbevölkerung nationalsozialistisch organisiert und engagiert hatte. Auch in der breiteren Öffentlichkeit herrscht der Eindruck vor, dass die medizinischen Verbrechen im Nationalsozialismus nur von einigen wenigen gewissenlosen Ärzten begangen wurden, die sich von der NS-Ideologie hatten verführen lassen.
Die Wirklichkeit sieht aber anders aus: Viele deutsche Ärzte – so bilanziert der Medizinhistoriker Till Bastian – hätten sich im Ersten Weltkrieg schon »an energisches ‚Durchgreifen’ und Missachtung der Patientenrechte gewöhnt« und sich später den »nationalsozialistischen Herrschern bereitwillig, ja begeistert angedient«. Nach 1945 wiederum tauschten viele Ärzte den befleckten weißen Kittel gegen eine blütenweiße Weste und machten erneut Karriere.
So verwundert es nicht, dass der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich, der 1947 – nach dem Nürnberger Ärzteprozess – die Dokumentation Medizin ohne Menschlichkeit herausgab, damit auf eine Mauer des Schweigens prallte. Die psychischen Mechanismen, mit deren Hilfe sich die Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg ihrer Vergangenheit verweigerten, hat Mitscherlich später in seinem Buch Die Unfähigkeit zu trauern auf geradezu klassische Art beschrieben. Sie waren besonders auffällig bei denen, die sie eigentlich hätten durchleuchten müssen: bei den Ärzten.
In einer dokumentarischen Trilogie nahm sich nun das ZDF im April 2004 dieses fatalen Themas an. Die Autoren Christian Feyerabend, Ulrich Knödler und Christopher Paul sortierten wissenschaftsgeschichtliche Befunde und versuchten, ethische Orientierung zu leisten. Aufklärungsarbeit im doppeltem Sinne also, die die Verantwortung für die ärztlichen Verbrechen weder an wenige Symbolfiguren (etwa den KZ-Arzt Josef Mengele) delegierte, noch der Versuchung erlag, die gesamte medizinische Zunft (einschließlich der in dieser Zeit gesammelten Erkenntnisse) mit einem Bannstrahl zu belegen. Auf Nuancen, Zwischentöne und Diffe- renzierungen waren die drei Dokumentationen (Redaktion: Reinold Hartmann) angelegt, um einen Raum entstehen zu lassen, in dem moralische Maßstäbe wieder Geltung gewinnen, und um einen Beitrag zur Verbesserung des öffentlichen Gedächtnisses zu leisten.
Fest verankert im Fernsehgedächtnis ist das »Gesundheitsmagazin PRAXIS«, das sich nach 40 Sendejahren, in denen es ein gewichtiges Stück Mediengeschichte geschrieben hat, aus dem ZDF-Abendprogramm verabschiedete. Im Januar 1964 war es auf Sendung gegangen und kann deshalb als ältestes Fernsehfachmagazin der Welt gelten.
Bis heute erinnern sich Ärzte wie Zuschauer an überfüllte Wartezimmer am Tag nach einer »PRAXIS«-Sendung. Hans Mohl, der »Vater« des Gesundheitsmagazins, hatte wieder einmal die Zuschauer so aufgerüttelt, dass viele meinten, die genannten Symptome an sich selber zu entdecken. Die Krankheit »Morbus Mohl« war geboren und geisterte durch deutsche Sprechzimmer. Legendär sind auch die großen »PRAXIS«-Aktionen zu Fitness, zum Sport und zur gesunden Ernährung, die aufrüttelnden Berichte zum Stand der Psychiatrie in Deutschland oder zum Contergan-Skandal. Unvergessen auch, dass »PRAXIS« stets hautnah dabei war, als die großen Medizinrevolutionen stattfanden: etwa die erste Herztransplantation 1967 oder im November 1968 die Einführung der Endoskopie.
Doch die deutsche Fernsehlandschaft hat sich verändert und nach 40 Sendejahren zeigte sich, dass ein nur auf eine bestimmte Sparte bezogenes Angebot von den Zuschauern eines TV-Hauptprogramms nicht mehr belohnt wird. Vor diesem Hintergrund entschloss sich das ZDF, die Gesundheitsthemen nicht mehr in einem spezialisierten Magazin zu präsentieren, sondern stärker an andere Wissenschaftssektoren anzubinden. Aber die Marke »PRAXIS« lebt weiter: So findet jetzt die Medizinratgebung regelmäßig vormittags in der Service- sendung »Volle Kanne« statt. Und am Mittwochabend wird künftig »Abenteuer Wissen« die großen Medizinthemen regelmäßig aufgreifen.
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