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2004  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Pit Rampelt

»Feuer in der Nacht«
Das LiveMovie

 
Pit Rampelt
Pit Rampelt


Regisseur Kai Wessel bei Proben am Bahnhof Zoo mit einer von 18 Kameras
Regisseur Kai Wessel bei Proben am Bahnhof Zoo mit einer von 18 Kameras


Familienstreit: Karl Winkler (Christian Berkel) bedroht seine Tochter (Alice Dwyer) und seine Frau (Martina Gedeck)
Familienstreit: Karl Winkler (Christian Berkel) bedroht seine Tochter (Alice Dwyer) und seine Frau (Martina Gedeck)


Karl Winkler will seine Frau Paola und Tochter Angie zwingen, ihn nicht zu verlassen
Karl Winkler will seine Frau Paola und Tochter Angie zwingen, ihn nicht zu verlassen
              
 

Eine Frau will zusammen mit ihrer Tochter ihren Mann verlassen. Und der dreht durch. Die alte Geschichte von Liebe und Schmerz, vom vergänglichen Glück wurde in dem Fernsehfilm der Woche »Feuer in der Nacht« anders, nämlich live erzählt. Warum live? Weil die Liveübertragung, das Live-Feeling wesentlich zum Fernsehen gehört und die Geschichte so den Zuschauern noch näher rücken kann: Dieses Familiendrama kann sich gerade in diesem Moment beim Nachbarn zutragen. Aus Fern-Sehen wird im besten Fall eine Nah-Sicht. Auf die Anfänge des Fernsehspiels mit einer aktuellen Story und mit moderner Technik zurückzugreifen, hat nicht nur eine feuilletonistische Attraktivität und einen selbstreferenziellen Reiz. Es wird ein Event geschaffen, mit dem die Zuschauer doppelt in Atem gehalten werden können: zum einen auf der Ebene der Fiktion, hier mit der Frage, ob und auf wen der verlassene Ehemann mit seiner Waffe schießt, und zum anderen mit der Livesituation, bei der Unvorhergesehenes wie Versprecher oder Unfälle passieren kann.

Die Rückbesinnung auf die Wurzeln des Fernsehspiels ist ein Experiment und ein neues Programmangebot. Es geht nicht um abgefilmtes Theater und auch nicht darum, ein sportliches oder politisches Ereignis dokumentarisch live zu übermitteln, sondern um die Chance, beim Entstehen einer realistischen, relevanten Geschichte direkt dabei zu sein. »Feuer in der Nacht« ist der Versuch, den Nervenkitzel eines Psychothrillers mit der enormen Anspannung der unmittelbar am Film Beteiligten zu koppeln, um bei den Zuschauern ein anderes, intensiveres Beteiligtsein zu wecken. Die weit überdurchschnittliche Anzahl der Telefonanrufe und E-Mails zu dieser Sendung bestätigt diesen Effekt.

Eine Live-Erzählung evoziert das archaische Bild des Geschichtenerzählers am Lagerfeuer. Man ist dabei, wie Worte und Bilder gefunden und erfunden, wie Wahrheit und Dichtung vermischt werden, wie aus einem Bericht ein Märchen wird. Fernsehen ist in seinen starken, magischen Momenten live und berührt mit der simplen Botschaft »Du bist nicht allein«. Das oszillierende Licht der Fernseher ist das moderne Lagerfeuer, um das sich eine Gemeinschaft schart, sich seiner Zusammengehörigkeit versichert, sich ausdifferenziert, seine Identität findet und idealerweise Horizonte öffnet. Aus Menschenbildern wird ein Menschenbild.

Im März 1951 wurde das erste Fernsehspiel in Westdeutschland live gesendet, eine Adaption von Goethes Vorspiel auf dem Theater aus Faust – der Tragödie erster Teil. In den 50er bis in die 60er Jahre wurden Fernsehspiele vorwiegend mit literarischem Anspruch live produziert – auch beim DDR-Fernsehen. Bis 1959 ging es aus technischen Gründen nur live.

Dann wurde die MAZ-Technik eingeführt, und der Spielfilm hielt Einzug im Fernsehen. Das Studio konnte verlassen werden, das Spielfeld wurde größer. Die Wiederholbarkeit sowohl der Aufnahme wie des ganzen Films veränderte die Produktion und Kultur der Bilderlandschaft. Fiktion war fortan nicht mehr live im Fernsehen – sieht man einmal von Dieter Wedels Eichmann-Protokoll von 1983 ab. Daily-Soaps und neuerdings die Telenovela werden jedoch quasi unter Livebedingungen produziert – so wie viele Show- und Quizsendungen. Die am höchsten eingeschalteten TV-Ereignisse waren und sind immer live: Mondlandung, Fußball-WM, Formel 1, »Wetten, dass …?«. Das Feuer, das live prasselt, hat eben eine stärkere Anziehungskraft als eine Glühbirne.

In den USA wurde in den 90ern eine Folge der Krankenhausserie »Emergency Room« live gesendet; und »Fail Safe« (2000) mit George Clooney war ein schwarzweiß gesendetes Live-Fernsehspiel, das schon mit seinen Studiobauten das Klima des Kalten Kriegs heraufbeschwor. Ein an mehreren Außenmotiven in einer Stadt »gedrehtes« LiveMovie mit einer heutigen Geschichte aus der Mitte unserer Gesellschaft, in Echtzeit authentisch vorgeführt, hat es vorher noch nie gegeben und erlebte sozusagen seine Uraufführung am 25. Oktober 2004 im ZDF. Das technisch und künstlerisch anspruchsvolle Vorhaben erzielte im Vorfeld große publizistische Aufmerksamkeit, die Presse lobte das ZDF als »experimentierfreudig«. Bei dieser die Herstellungsbedingungen des Genres Fernsehfilm erkundenden und erweiternden Expedition, die das probenintensive Theaterspiel der Vergangenheit und das agile Technikspiel der Zukunft verknüpfte, wurden zusammen mit der UFA-Fernseh-Produktion auch kreative Kräfte aus dem eigenen Haus einbezogen. ZDF-Kollegen, die sonst Show, Sport und Politik übertragen, wurden wunderbare Teammitglieder einer Spielfilmcrew.

Die Besten der Branche wollten mitmachen. Der erstklassige Autor Richard Reitinger (unter anderem »Bella Block«) hat als solide Grundlage für das Experiment ein spannungsreiches Drehbuch mit starken Dialogen und mit einer klaren Story geschrieben, die, bei aller Trauer über das Ende einer Familie, Platz für Hoffnung lässt. Die Trennung eines Ehepaares, die Zerstörung eines Lebensentwurfs ist ein privater Plot, der durch die ohnmächtige Telefonseelsorge, das verzweifelte Sicherheitsdenken und die ständig drohende Gefahr eines Amoklaufs eine gesellschaftspolitische Dimension bekommt. Der in diesem Jahr mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Regisseur Kai Wessel (unter anderem »Hat er Arbeit?«) wurde seinem Ruf für psychologische, einfühlsame Figurenführung gerecht. Die hervorragenden Schauspieler Martina Gedeck – Deutscher Fernsehpreis 2004 – und die beiden Kinostars Christian Berkel und August Diehl haben diese außergewöhnliche Aufgabe mit bemerkenswerter Intensität gemeistert. Die junge Alice Dwyer und Idil Üner haben neben Tilo Prück- ner und DDR-Star Chris Doerk in dem vorzüglichen Schauspielensemble wichtige Rollen groß gespielt. Das Ballett der 18 Kameras wurde von Martin Gressmann beleuchtet und choreografiert. Rund um den im Grunewald errichteten Sendemast und das Büro am Bahnhof Zoo hat Reinhard Nimmrichter das engagierte ZDF-Technik-Team souverän organisiert. Ralf Wienrich hat bis zur letzten Minute Musik komponiert. Und mit derselben Begeisterung hat Producer Dirk Eggers alle bis zum Countdown motiviert.

Das LiveMovie »Feuer in der Nacht« verdankt seine Entstehung auch dem beherzten Einsatz des Ersten Produktionsleiters Donald Jenichen. Die viele Redaktionen übergreifende Beachtung und aktive Unterstützung im eigenen Haus war beispielhaft. Und ohne den Mut von Mitinitiator Norbert Sauer von der UFA hätte es auch kein »Feuer in der Nacht« gegeben.

»Das Experiment von Reiz und Risiko« (Hans Janke) hat leider nicht so viele Zuschauer fasziniert, wie erhofft (3,59 Millionen, 11,0 Prozent Marktanteil). Hinter der nackten Quotenzahl verbirgt sich aber ein enormer Erfahrungsreichtum von vielen Menschen. Solche neuen Grenzpfade verbreitern die Hauptwege und schärfen das gerade in öffentlich-rechtlichen Sendern notwendige Qualitätsbewusstsein. Denn es gilt, das Publikum nicht nur zu informieren und zu unterhalten, sondern auch oben zu halten. Horizonterweiterung auf hohem Niveau ist Auftrag und Maß. Hier hat die Kombination von moderner Übertragungstechnik und klassischer Erzählkunst trotz Mängeln zu einem suggestiven, einzigartigen Fernsehfilm geführt, den es in der hier zu Lande hochwertigen Königsdisziplin des Fernsehens andernorts nicht gibt. Ein Anfang ist gemacht. Die Fehleranalyse läuft. Mit mehr Mut zum Risiko, also deutlicher live, kräftiger und größer gedacht und gezeichnet, die geschlossene Dramaturgie aufbrechend, thematisch aktueller, brisanter, könnte ein zweiter Schritt folgen, heller und lauter, der in einem kleineren Kostenrahmen mehr Freiräume für Fantasie und Improvisation zulässt. Das ZDF hat jedenfalls mit dieser Pioniertat Profil gezeigt und Image gewonnen. Das Adolf-Grimme-Institut hat dem ZDF zu der »technisch und künstlerisch gelungenen Innovation« gratuliert, die sich im »TV-Herbst der Flops« von epigonalen Versuchen der Konkurrenz produktiv abhebe und das Genre Fernsehfilm belebe.

Im vielfältigen Angebot des wiedererstarkten Fernsehfilms der Woche ist das LiveMovie eine nicht nur formal verheißungsvolle Bereicherung. »Feuer in der Nacht« war zunächst einmal und immerhin eine in der Branche viel und respektvoll beachtete Randerscheinung, die in die Mitte zurückleuchtet. Die Magie des Erzählens und des Live-Erlebnisses haben sich in einer Oktobernacht mitten in Berlin miteinander verbunden.

 
 
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