ZDF.de
                Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2006  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Nikolaus Brender
Klaus-Peter Siegloch
Claus Kleber
Bettina Warken
Stefan Raue
Volker Angres
Barbara Dickmann
Thomas Bellut
Peter Arens
Günther van Endert/
Heike Hempel
Heike Hempel/
Jörg Schneider
Klaus Bassiner/
Berit Teschner
Volker Wilms
Wolfgang Ebert
Ruth Omphalius
Anca-Monica Pandelea

Stefan Raue

600 Sendungen »blickpunkt«

 
Stefan Raue
Stefan Raue
 

»Die eigentliche Wiedervereinigung beginnt erst jetzt!«

Es war der 7. Oktober 1990, etwa 13.15 Uhr, und Dietmar Ossenberg schloss mit diesen Worten die erste Ausgabe des »blickpunkt!«. Im Titel trug der »blickpunkt« damals noch ein unübersehbares Ausrufezeichen. Wenige Tage nach dem Beitritt der neuen Bundesländer, nach einem rauschenden Einheitsfest in allen Regionen Deutschlands und ein knappes Jahr nach dem Fall der Mauer startete das ZDF eine wöchentliche Ländersendung, die sich vorgenommen hatte, vor allem das Zusammenwachsen der nun vereinten Deutschen zu beobachten.

»Die eigentliche Wiedervereinigung beginnt erst jetzt!« Der »blickpunkt« der ersten Stunde setzte viele Ausrufezeichen. »Schaut hin!« »Hört hin!« »Sprecht miteinander!« »Hört aufeinander!« Heutzutage würde man den Auftrag »Integrationsfernsehen« nennen. »Deutsche aus Ost und West, geht aufeinander zu, lernt einander kennen!« Diese Zeit um 1989/90 hatte dieses lebendige und menschenfreundliche Pathos, das so mancher erst wieder bei der Fußball-WM 2006 beobachtet hat.

»Die eigentliche Wiedervereinigung beginnt erst jetzt!« Dietmar Ossenberg hat dies am 7. Oktober 1990 mit durchaus ernstem Gesicht gesagt, und das war in den Tagen des Überschwangs, des Optimismus und der Euphorie nicht ohne Eigensinn und Mut.

Rund 45 Jahre hatten die Deutschen nicht in einem gemeinsamen Land gelebt, ein großer Teil der Bevölkerung war im geteilten Vaterland geboren. Wer keine Verwandtschaft im anderen Teil Deutschlands gehabt hatte, der hatte sich in seinem Teil der Geschichte eingerichtet. Der gewalttätige Charakter der deutschen Teilung, die unterschiedlichen Gesellschaftssysteme, die innerdeutsche Grenze, die Todesschüsse, die politische Verfolgung der Opposition in der DDR, der Kalte Krieg, für diese Folgen der deutschen Teilung war das öffentliche Interesse über Jahrzehnte wach geblieben. Das Interesse an den Lebensweisen, dem Alltag, der Arbeit, der Kultur und den Regionen im anderen Teil Deutschlands war hingegen nur wenig entwickelt.

Und so machte sich der »blickpunkt« ab Oktober 1990 daran, den Deutschen Ostdeutschland zu zeigen. Die Westdeutschen sollten ihre neuen Landsleute kennenlernen, ihre Geschichte und ihre Geschichten. Die Ostdeutschen sahen im »blickpunkt« eine Sendung, in der die Themen diskutiert wurden, die für sie mit dem Start in das neue gemeinsame Deutschland neu entstanden waren: die Neuentstehung der Parteien, die Abwicklung von NVA und Stasiapparat, der gewaltige Umbruch im Arbeitsleben, die neue Rolle der Kirchen und Gewerkschaften, die Beseitigung der gravierenden Umweltschäden, die Sorge um bezahlbare Wohnungen, um sichere Arbeitsplätze und die Kinderbetreuung oder die Ausbildung. Der »blickpunkt« wurde zu einem sonntäglichen Fernsehmagazin, in dem die neuen ostdeutschen Bundesländer vor einem »gesamtdeutschen« Publikum ein Gesicht erhielten. Ob in Bezug auf die Wahlen, die neuen politischen Kräfte, die Traditionen, die kulturellen Wurzeln, in West wie Ost waren und sind für die meisten Deutschen bis heute die Bundesländer der entscheidende Orientierungspunkt. Der »blickpunkt« ist damit bis heute wesentlicher Bestandteil der Länderberichterstattung des ZDF, er soll gemäß den »Programmperspektiven 2004 bis 2006« (vgl. ZDF Jahrbuch 2004, Seite 248) »dem nationalen Publikum ein Bild der Länder und der Regionen geben und das Regionalbewusstsein in Zeiten der Globalisierung fördern«.

Der »blickpunkt« hat sich diese konsequente Länderperspektive bis heute über 600 Sendungen hinweg erhalten. In der ersten Sendung am 7. Oktober 1990 ging es unter anderem um die damals bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Sachsen. In der 600. Sendung am 22. Januar 2006, da war die Spitzenkandidatenkür der Berliner CDU für die Wahl am 17. September ein wichtiges Thema. Im Oktober 1990 zeigten die Reporter, dass es in den Landtagswahlkämpfen in Ostdeutschland vor allem darauf ankam, geeignete und glaubwürdige Persönlichkeiten und ganz konkrete Lösungsangebote für politische Probleme des Alltags vorzustellen. Die parteipolitischen Polarisierungen westdeutscher Tradition lehnte man damals überall zwischen Magdeburg und Dresden ab. Im Januar 2006 musste Friedbert Pflüger als gebürtiger Niedersachse vor allem in den östlichen Bezirken der Hauptstadt Berlin beweisen, dass er mit den besonderen Problemen und Milieus im Osten der Stadt vertraut ist.

So mancher hat geglaubt, dass sich die Wiedervereinigung im Sauseschritt vollzieht. Wer sich allerdings im Jahr 2006 in Deutschland umschaut, der findet in fast allen Lebensbereichen noch Unterschiede. Die Parteienlandschaft in Ostdeutschland ist eine andere, die schleppende Wirtschaftsdynamik und die besonders hohe Arbeitslosigkeit unterscheiden sich deutlich von der Situation in Westdeutschland, Großorganisationen wie Parteien, Kirchen oder Gewerkschaften finden in Ostdeutschland immer noch außerordentlich schwierige Verhältnisse vor. In Geschichte, Kultur und Sport, beim Fernsehverhalten, in der Verehrung von Schlager- oder Filmstars, Ost und West orientieren sich anders, doch es wäre völlig verkehrt, dies als »getrennte Welten« zu bezeichnen. Denn zur »eigentlichen Wiedervereinigung« gehört auch der Respekt vor der Lebensleistung und den Erfahrungen der anderen, gehört auch die Neugier auf die Menschen in den anderen Regionen Deutschlands.

Der »blickpunkt« hat in seinen 600 Sendungen vor allem versucht, diese Neugier am Leben zu halten. Am Anfang hatte die Redaktion sich daran gemacht, die Dramatik der ersten gemeinsamen Jahre nachzuzeichnen und zu dokumentieren. Der Wandel war so schnell, dass manchem Hören und Sehen verging. Große Unternehmen gingen zugrunde, viele Menschen wurden arbeitslos und mussten sich neu orientieren. Schulen und Universitäten bekamen ein neues Gesicht und neue Inhalte. Der Staat und seine Einrichtungen wandelten sich. Besondere Institutionen wie die Treuhand oder die Gauck-Behörde nahmen eine eigene Entwicklung. Viele Regionen schafften es, mit eigener Dynamik und solidarischer Unterstützung zu attraktiven Standorten und Lebensräumen zu werden, aus anderen zogen vor allem die jungen Menschen weg, im Wesentlichen nach Westen. Der »blickpunkt« hat diesen rasanten Wandel kontinuierlich beobachtet. Er hat aber auch den West- und Ostdeutschen ein Stück »Heimatkunde« geboten, der neuen »Reisefreiheit« zwischen Ost und West wurden Ziele präsentiert. Die einzigartigen Regionen, ob an Elbe oder Ostsee, ob rund um Potsdam oder Weimar, sie wurden den Zuschauern liebevoll präsentiert. Bis heute werden regelmäßig Vor-Ort-Sendungen live aus den ostdeutschen Bundesländern ausgestrahlt, ob von Rügen oder vom Müritzsee, ob aus Leipzig oder Erfurt. Diese Aktivitäten nehmen damit auch die »Selbstverpflichtung« des ZDF auf, durch derartige Produktionen zur »kontinuierlichen Berichterstattung aus den Regionen« beizutragen.

»Die eigentliche Wiedervereinigung beginnt erst jetzt«, sagte Dietmar Ossenberg 1990. 16 Jahre später stellen wir immer noch fest, dass manches trennt und vieles verbindet. Mit Dietmar Ossenberg, Helmut Schimanski, Barbara Friedrichs und Thomas Bellut haben profilierte politische Journalisten der kleinen Sonntagssendung Gesicht und Profil gegeben. Mit dem derzeitigen Team mit Stefan Raue und Juana Perke hat die Sendung sanfte Reformen und Wandlungen erlebt. Der »blickpunkt« ist eine Ländersendung, die sich am Sonntagmittag weiterhin an Zuschauer in Ost wie West wendet. Mit opulenten und liebevollen Reportagen versuchen die Korrespondenten der ZDF-Landesstudios, dem Lebensalltag zwischen Usedom und Plauen nahe zu kommen. Winzer in Sachsen, Landärzte in Mecklenburg-Vorpommern, Verkäuferinnen in einem Berliner Kaufhaus, der Flughafen Leipzig oder die Ostseefähre nach Schweden, diese »blickpunkt«-Reportagen sind unspektakulär, lebensnah und »menschenfreundlich«, der »blickpunkt« schaut interessanten Nachbarn über die Schulter. »im blickpunkt« heißt ein obligatorisches Element, das die ostdeutsche Tradition der »Eingaben« aufnimmt. Zuschauer, die sich über Entscheidungen von Ämtern und Behörden ärgern und die Hilfe und Unterstützung brauchen, wenden sich an den »blickpunkt«. Zwei Reporter recherchieren, bitten die Verantwortlichen um Stellungnahmen und fragen nach, und häufig gibt es dann auch ein Einsehen für die verärgerten Bürger.

Einmal im Monat stellt die Redaktion ein Mündel besonderer Art vor. Ein in Not geratenes Kirchengebäude wird vorgestellt, für das eine Restauration dringend geboten ist, für die die Eigeninitiative der Gemeinde aber nicht mehr reicht. In enger Zusammenarbeit mit dem kirchlichen Denkmalschutz wird so Interesse am Erhalt des kirchlichen und kulturellen Erbes geweckt.

Zusammen mit den aktuellen Berichten der Woche ist der »blickpunkt« ein Programmangebot geblieben, das Sonntag für Sonntag seine Zuschauer findet. Durchschnittlich 1,3 Millionen Zuschauer sind ein treues Publikum, das zu gleichen Marktanteilen aus Ost- und Westdeutschland stammt. Die Zuschauer schätzen die Themen, die Geschichten und Menschen, die aus Ostdeutschland stammen, sich aber an Zuseher aus allen Regionen wenden. In einem wiedervereinigten Land neugierig auf Nachbarn und Landsleute zu machen, dieser Integrationsauftrag des »blickpunkt« ist auch nach 600 Sendungen, auch nach 16 Jahren längst nicht überholt.

 
 
zum Seitenanfang   
 
über das ZDF Impressum Kontakt   Erweiterte Suche © ZDF 2007
zdf.de ZDFinfokanal ZDFdokukanal ZDFtheaterkanal arte 3sat phoenix kika