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2006  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Nikolaus Brender
Klaus-Peter Siegloch
Claus Kleber
Bettina Warken
Stefan Raue
Volker Angres
Barbara Dickmann
Thomas Bellut
Peter Arens
Günther van Endert/
Heike Hempel
Heike Hempel/
Jörg Schneider
Klaus Bassiner/
Berit Teschner
Volker Wilms
Wolfgang Ebert
Ruth Omphalius
Anca-Monica Pandelea

Anca-Monica Pandelea

Klassik im Fernsehen – Musik für alle

 
Anca-Monica Pandelea
Anca-Monica Pandelea


Simon Keenlyside und Götz Alsmann geben den »Barbier von Sevilla«
Simon Keenlyside und Götz Alsmann geben den »Barbier von Sevilla«


Plácido Domingo, Anna Netrebko, Rolando Villazón und Marco Armiliato
Plácido Domingo, Anna Netrebko, Rolando Villazón und Marco Armiliato


Anne-Sophie Mutter
Anne-Sophie Mutter
 

»Die Musik muss einem Ideal dienen; sie muss einen Beitrag zu etwas leisten, das größer ist als sie selbst, einen Beitrag zur Menschlichkeit« (Pablo Casals).

Lange ist es her, dass die Musik noch als eine Kunst der höheren Offenbarung gepriesen wurde, als edle geistige und seelische Nahrung. Auch wenn heute die Musik an Wirkung und Anziehungskraft nichts eingebüßt hat, sie hat sich in unserer Wahrnehmung verändert: Sie ist von der abstrakten, geheimnisvollen Macht zum alltäglichen Konsumgut geworden. Sie ist aus dem Elysium der schönen Künste zu den allzu menschlichen Niederungen des Geschäfts hinabgestiegen. Auch für uns, Fernseh-Macher und -Verantwortliche.

Musik ist heute vor allem ein Wirtschaftsfaktor. Sie wird endverbrauchergerecht verpackt, aber leider auch verramscht und mit der hohen Schule des Marketings an den Mann gebracht. Musik wird dauernd gebraucht und verbraucht. Durch ihre mediale Omnipräsenz hat sie an Reiz verloren. Weil Stille heute oft für Leere gehalten wird und weil wir Angst vor der Stille haben, muss die Musik die Klangtapete liefern.

Ist aber die Musik nicht mehr wert, als nur zur Berieselung missbraucht zu werden? Und welche Rolle spielen dabei gerade die klassische Musik und das Medium Fernsehen? In einer Zeit, in der für die breite Gesellschaft die Unterhaltung mehr als die Erbauung zählt, muss für die Existenzberechtigung der klassischen Musik in einem Massenmedium immer wieder auch gekämpft werden. Denn nur das Fernsehen hat die Chance, nachhaltig Sinnvolles zu ihrer Verbreitung beizutragen.

In Anbetracht der sogenannten Erfolgszahlen von 20 000 verkauften Klassik-CDs eines bestimmten Interpreten – eine Anna Netrebko oder Die 3 Tenöre bleiben in dieser Bilanz ausgeschlossen, denn sie sind eher spezielle Marktphänomene, die wenig mit dem Klassikalltag zu tun haben – kann sogar eine enttäuschend schlecht eingeschaltete TV-Klassiksendung mit einer Reichweite von 300 000 Zuschauern als großer Gewinn für die Verbreitung klassischer Musik bewertet werden. Also: Musik im Fernsehen kann viel mehr Menschen erreichen als jede andere Veröffentlichung oder Veranstaltung.

Und dennoch: Ein Klassikprogramm gehört heute nicht mehr zu den Selbstverständlichkeiten eines Vollprogramms. Jede Platzierung, jede Programmgestaltung bedarf einer sorgfältigen Anpassung an die TV-Wirklichkeit. Schon vor Jahren begann das Konsumverhalten der Bevölkerung sich offensichtlich zu verändern. Das Aufkommen der kommerziellen Sender, die Verhärtung der Wettbewerbsbedingungen haben neue Programmstrategien für ein Überleben der Musikangebote im Fernsehen zwingend gemacht.

Die neuen Konzepte führen über die vom Feuilleton viel gescholtenen Seitengassen der »populären Klassik«: Häppchenkultur als funktionierende Antwort auf Erwartungen der Musik konsumierenden Masse.

Das Fernsehen musste seine Ansprüche ändern und lernen, das Publikum mit den Methoden und Tricks des Popgeschäfts zu bedienen: mehr Nummernprogramme mit leichter Kost anbietend in umso opulenterer Aufmachung. Der anstrengende Spagat, der entsteht, wenn man die anspruchsvollen Kenner nicht vergraulen und gleichzeitig Neulinge mit Populärem verführen will, gehört heute zum Alltag eines jeden Programmgestalters.

Wenn zusätzliches Publikum damit gewonnen werden kann, dann ist dieser Weg der richtige. Denn unsere Aufgabe ist, mit allen verfügbaren Mitteln Programme zu produzieren, die vom Publikum angenommen werden. Auch wenn mancher Feuilletonist sich genötigt fühlt, hinter solchen Fernsehformaten den Untergang der Hochkultur zu beklagen: Jeder zusätzliche Zuschauer, der über eine noch so schmachtende Opernarie an die Musik herangeführt wird, ist ein kultureller Gewinn.

Durch die Degradierung der Musik zum Konsumgut haben wir verlernt, Musik als einen Teil unserer geistigen Bildung zu sehen. Musik gehört heute nicht mehr selbstverständlich zum Schulunterricht, das Bildungsbürgertum ist tot, die öffentlich geförderte Kultur gerät zunehmend in Schieflage. Die allgemeinen Sorgen um den Verlust der kulturellen Substanz sind berechtigt.

Nur in diesem Kontext findet sich eine Erklärung für die geringe Akzeptanz von Übertragungen traditioneller Sinfoniekonzerte. Als Daniel Barenboim mit seinem arabisch-israelischen West Eastern Divan Orchestra trotz politischer und militärischer Gefahren ein Konzert im palästinensischen Ramallah dirigierte, schalteten nur 120 000 deutsche Zuschauer ein. Das Konzert – auf ARTE in der Primetime gesendet – wurde vom ZDF produziert. Diese deprimierende Zahl zeigt, dass das Publikum heute Verpackung und Inszenierung braucht. Das Fernsehen kann trotz einer künstlerisch noch so wertvollen Übertragung den Verlust von Musiktradition und musikalischer Kultur nicht wettmachen. Das Fernsehen ist nur bedingt als Erziehungselement einsetzbar und kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass eine nicht mehr im Geiste der klassischen Bildung geschulte Generation heranwächst.

Aber gerade deswegen müssen wir uns auch immer wieder dafür einsetzen, dass die Auseinandersetzung mit der klassischen Musik Bestandteil eines TV-Vollprogramms bleibt. Wir müssen uns Musik immer leisten. Musik ist ein langfristiger Beitrag zur Selbstfindung des Menschen und zur Stabilisierung der Gesellschaft. Wer seinen Verstand im Umgang mit Musik schärft und sich durch Musik fortbildet, läuft weniger Gefahr, als Mensch zu scheitern. Zitiert sei hier Yehudi Menuhin mit dem Satz, wer Musikschulen schließe, müsse sich nicht wundern, wenn die Zahl der Verbrecher zunehme. Trotzdem: Klassik bleibt nach wie vor eine Sache für Minderheiten. Aber lässt sich die Qualität einer demokratischen Gesellschaft nicht gerade daran messen, wie sie mit Minderheiten umgeht?

Wir haben heute neue Möglichkeiten, die klassische Musik attraktiv zu verpacken. Die exzellenten technischen Entwicklungen wie HDTV, 5.1-Dolby-Surround, raffinierte Kamerafahrten erlauben uns, Klassikshows so aufwändig zu produzieren, dass sie den Glamour der großen Abendunterhaltung verbreiten. Eine Sendung wie »Echo der Stars«, die ein wenig Oscar-Glanz auf die Welt der Klassik wirft, ist nicht nur sehr erfolgreich, sondern hat gezeigt, dass das Fernsehen durch diese glanzvolle Musikpräsentation den Schallplattenpreis »Echo« zu einem Gütesiegel der Gesamtbranche verwandelt hat.

Oder eine Show wie »Eine große Nachtmusik«, die von der Direktheit des Formats lebt, davon, dass Musiker als Menschen für das große Publikum zu erleben sind, und dass ein brillanter Moderator, Götz Alsmann, musikalische Glaubwürdigkeit und klassischen Witz transportieren kann. Solche Sendungen müssen auch weiterhin fester Bestandteil eines Musikprogramms im Massenmedium Fernsehen bleiben.

Und dann gibt es die spektakulären Ereignisse, die für kurze Zeit auch die klassische Musik zum Publikumsmagnet, zum unvergesslichen Event machen können: wenn Magie und Marketing zusammenfinden, wenn drei Champions der Massen mit der richtigen Musik die Herzen der Zuschauer finden. Die Übertragung des Konzerts von der Waldbühne, die »Sommernachtsmusik« mit Anna Netrebko, Rolando Villazón und Plácido Domingo, hat gezeigt, wie populär Oper auch als TV-Unterhaltung sein kann. Und eine Publikumsmasse verzaubert, die sonst nicht gewillt ist, sich mit Hochkultur auseinander zu setzen. Wenn sich die theatralische Emotionalität solcher Momente in den richtigen Bildern einfangen lässt, dann entsteht so etwas wie der Glücksfall einer Sternstunde von »Musik und Fernsehen«.

Musik will immer bewegen, die menschlichen Emotionen ansprechen, und: Sie will auch unterhalten. Unabhängig von ihrer Verpackung – früher der befrackte Habitus im philharmonischen Ritual und die edle Versunkenheit, heute die Häppchenkultur und ein grelles Marketing –, Klassik wird niemals ernsthaft beschädigt werden können. Die Schönheit der Musik, ihre Größe, ihre Einzigartigkeit, ihre auratische Qualität, das sind Kostbarkeiten, die unberührt von solchen Zeiterscheinungen bleiben.

Musik will begeistern, will empfunden, will angehört werden. Auch wenn junge Menschen sich heute einen anderen Zugang zur klassischen Musik suchen, ohne großartiges und tief greifendes Hintergrundwissen, wollen sie sich von der Musik ganz unmittelbar vereinnahmen und unterhalten lassen. In ihr etwas Ursprüngliches finden: das sinnliche Erleben ihrer geistig-seelischen Kraft.

»Ich bin da, um der Musik zu dienen, nicht um mich ihrer zu bedienen« (Sergiu Celibidache). Das Fernsehen tut beides: der Musik dienen und sich ihrer bedienen. Damit die Musik uns allen nicht verloren geht und auch in Zukunft Menschen noch Zugang zu ihr finden.

Denn alle, die eine musikalische Botschaft verstehen, gehören zu einer Gemeinschaft, die tiefer verbunden ist als durch Sprache.

 
 
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