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2008  
ZDF Jahrbuch
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Yvette Gerner, Hauptredaktion Außenpolitik
Katrin Eigendorf, Hauptredaktion Außenpolitik

Das Leben der anderen – deutsch-israelische Videotagebücher

 
Yvette Gerner
Yvette Gerner


Katrin Eigendorf
Katrin Eigendorf


VJ-Trainerin Sabine Streich inmitten der fünf Teilnehmer des Videoprojekts
VJ-Trainerin Sabine Streich inmitten der fünf Teilnehmer des Videoprojekts


Die Teilnahme an dem Projekt war nicht für alle selbstverständlich
Die Teilnahme an dem Projekt war nicht für alle selbstverständlich
  Sie sind Studenten, Soldaten, Schüler. Sie feiern Partys in Tel Aviv und Mainz, beten in Duisburg und Jerusalem, sind aufgewachsen in einem Kibbuz in der Negev-Wüste oder in einer Kleinstadt in Brandenburg. Zwei Monate lang zeigen fünf junge Israelis und fünf junge Deutsche zwischen 16 und 24 Jahren einander in Videotagebüchern ihr Leben, ihr Land. Es sind Szenen aus ihrem Alltag, Leben in Echtzeit – deshalb nennen wir den ZDF-Blog, auf dem die Videotagebücher erscheinen, »Realtimeplayers«.

Ein Experiment sollte es werden, angestoßen von der Frage: »Was wollen israelische und deutsche Jugendliche heute voneinander wissen?«. Und: »Können Internet und Videokamera helfen, Grenzen zu überwinden?«. Ein anderer Beitrag zum Verhältnis Deutschlands zu Israel rund um den 60. Jahrestag der Staatsgründung Israels.

Zunächst einmal galt es, die Jugendlichen zu finden – möglichst unterschiedliche Teilnehmer aus beiden Ländern. Eine orthodoxe Jüdin, ein israelischer Araber und eine Soldatin wollten wir in Israel gewinnen; in Deutschland war es uns wichtig, Jugendliche aus Migrantenfamilien einzubeziehen, aber auch einen Zivildienstleistenden sowie einen Schüler. Nach wochenlanger Suche hatten wir die Gruppe zusammen und den wichtigsten Teil des Projekts noch vor uns. Damit die Videotagebücher eine gute Qualität haben, hatten wir uns vorgenommen, den Jugendlichen Kameras zu Verfügung zu stellen und ihnen mit der VJ-Trainerin Sabine Streich das Drehen und Schneiden in einem Wochenendseminar beizubringen. Auch sollten sie in der Lage sein, ihre Videotagebücher selbst zu überspielen, damit wir sie dann in Mainz ins Netz stellen konnten.

Die Anschubfinanzierung für das Projekt bekamen wir vom Kreativitätsfonds. 10 000 Euro stellten den Grundstock, und darüber hinaus boten uns die Kolleginnen Hilfe und Beratung an. Bald wurde klar, unsere ersten Kalkulationen waren zu optimistisch. Mit Zusagen des »auslandsjournals« und des ZDFinfokanals war die Finanzierung doch schnell wieder gesichert. Doch nun erst begannen all die kleinen Schwierigkeiten, die uns über das ganze Projekt in Atem hielten: Das günstige Angebot für Videokameras im Saturn nutzen, einfach zehn Kameras kaufen, allein das stellte sich als Ding der Unmöglichkeit dar. Unser Projekt, bei Treffen mit der VJ-Trainerin Sabine Streich sowie weiteren interessierten Kolleginnen in vielen Abendstunden und Wochenenden entstanden, musste selbstverständlich den Vorschriften entsprechen. Das aber kostete Zeit, das Angebot für die Kameras musste ausgeschrieben werden. Bis die Kameras dann da waren, dauerte es, und preislich waren wir vom Sonderangebot weit entfernt. Aber das machte der große selbstlose Einsatz vieler Kollegen in Produktion, Technik, dem Studio Tel Aviv und der Hauptredaktion Neue Medien mehr als wett. Wie oft wir auch zu verzweifeln drohten, weil die Videotagebücher von Amateuren andere Probleme produzieren als die professionelle Fernseharbeit im sonstigen ZDF-Alltag, irgendwie fand sich immer jemand, der eine Idee hatte, uns weiterhalf.

Doch was uns in der Hauptsache immer wieder überzeugte, waren die Arbeiten der Jugendlichen. Vor allem die Israelis nahmen es erstaunlich ernst. Nach zwei Tagen Seminar in Tel Aviv schnitten Yonathan, Avital und Shay ihre ersten Videotagebücher, und die übertrafen alle unsere Erwartungen. Einen unmittelbareren Blick auf den Alltag hatten wir uns erhofft, einen konsequent subjektiven Einblick in Lebensbereiche, in die Journalisten mit der Kamera sonst keinen Zutritt haben. Und wir hofften auf Fragen, die Reporter nicht stellen. »Wovor habt ihr Angst?«, wollte Shay, inzwischen 17 Jahre alt, wissen. Sie, so zeigte sie in ihrem Videotagebuch, hat jeden Tag Angst vor den Kassam-Raketen, die militante Palästinenser aus dem Gazastreifen auf ihre Heimatstadt Sderot schießen. Eine Frage, die nie beantwortet wurde.

»Ich glaube, ihr Deutschen habt gar keine richtigen Probleme«, sagte Asaad, israelischer Araber, der jede Nacht im Supermarkt jobbt und tagsüber an der Uni Philosophie studiert. Mit der Videokamera zog er durch die Straßen von Tel Aviv, die benannt sind nach Helden, die nie seine werden können.

Während die israelischen Jugendlichen Probleme zeigten, wirkten die Videotagebücher der deutschen Jugendlichen anfangs seltsam unbeschwert. Benny aus Mainz zeigte den Skiurlaub mit seiner Familie, Marie ihre jüdische Schule, die sie in Berlin besucht – obwohl sie keine Jüdin ist. Erst später, als wir die Verbindungselemente für die Fernsehfassung der Videotagebücher drehten, öffneten sich auch die Deutschen ein wenig. Jetzt erst wurde klar, dass viele sich einfach nicht trauten, ihre privaten Probleme zum Thema zu machen, angesichts der oft so politischen Videos der Israelis.

Wir hatten ursprünglich angenommen, dass die Globalisierung auch das Verhältnis zwischen Israel und Deutschland verändert hat – ganz sicher für die Generation der Schüler und Studenten – und dass ein israelischer Araber und Muslim einer deutschen Türkin und Muslima möglicherweise näher ist, als seinen israelischen Landsleuten. Doch wir sollen eines Besseren belehrt werden.

»Warum trägst du Kopftuch?«, wollte Asaad von Neslihan wissen, der selbstbewussten, modernen Türkin aus Duisburg. Der israelische Araber und Muslim hielt es für eine Modeerscheinung, wie Coca-Cola und Jeans. Neslihan antwortete mit einem Videotagebuch über das Kopftuch. Benny, der in einem Altenheim in Mainz seinen Zivildienst geleistet hatte, wollte von Daniela wissen, wieso sie Soldatin ist und ihren Wehrdienst ableistet. Und dann wurde der Krieg, die ständige Bedrohung, plötzlich grausam real: Eine Kassam-Rakete traf Shays Haus, sie schlug im Dach ein.

Zwei Monate lang stellten sie einander Fragen, manche lösten Diskussionen aus, andere blieben unbeantwortet: Doch oft genug bewirkten die Videos auch bei den ZDF-Internetnutzern rege Diskussionen und Kommentare. Das war eine der positivsten Erfahrungen mit dem Blog: Das Thema interessiert Alte und Junge, Schüler und Lehrer. Negative oder gar antisemitische Kommentare, blieben, entgegen unseren Befürchtungen, absolute Ausnahme. Besonders kontrovers diskutiert wurde Yonathans erstes Video, in dem er zeigt, was vielen Israelis seines Alters als erstes zum Wort Deutschland einfällt. Die Antwort ist eindeutig: »Holocaust«. Viele User hatten dazu etwas zu sagen, steuerten ihre Erfahrungen mit Israel bei. Unsere deutschen Realtimeplayers waren erst einmal eingeschüchtert durch die Wucht dieses Videos. Erst spät kam Bennys Antwort. Seine Frage nach Assoziationen zu Israel förderte bei den deutschen Jugendlichen mehrheitlich eine Antwort zu Tage: »Krieg und Gewalt«. Auch hier wurde der Unterschied in den Lebenswelten der Jugendlichen noch einmal deutlich, er ist viel größer, als wir deutschen Journalisten mit Israel­erfahrung es angenommen hatten.

Mit dem Jahrestag der Staatsgründung Israels und der Ausstrahlung der dokumentarischen Fassung der deutsch-israelischen Videotagebücher ging das Projekt zu Ende. »Was ist für dich Freundschaft?«, fragten sich Jonathan und Neslihan in ihren letzten Filmen und zeigten einander ihre besten Freunde.
 
 
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