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2008  
ZDF Jahrbuch
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Heike Hempel, Leiterin der Hauptredaktion Unterhaltung-Wort

Sonntag, 20.15 Uhr, und der Public Value
Vom öffentlichen Wert des Reisens

 
Heike Hempel
Heike Hempel


Harald Schmidt an Bord des  »Traumschiffs«
Harald Schmidt an Bord des »Traumschiffs«


Eva-Maria Grein und Patrik Fichte in »Kreuzfahrt ins Glück«
Eva-Maria Grein und Patrik Fichte in »Kreuzfahrt ins Glück«


Kostja Ullmann und 
Karoline Herfurth in 
»Das Wunder von Berlin«
Kostja Ullmann und Karoline Herfurth in »Das Wunder von Berlin«


Julia Meier und Katja Weitzenböck  hoffen auf einen Neuanfang 
»Im Tal der wilden Rosen«
Julia Meier und Katja Weitzenböck hoffen auf einen Neuanfang »Im Tal der wilden Rosen«


Horst Kotterba und Peter Atanassow in »Inga Lindström: Hochzeit in Hardingsholm«
Horst Kotterba und Peter Atanassow in »Inga Lindström: Hochzeit in Hardingsholm«


Francis (Christoph Grunert) sucht Trost bei Nina Philipps (Marion Kracht). Szene aus »Rosamunde Pilcher: Meldodie der Liebe«
Francis (Christoph Grunert) sucht Trost bei Nina Philipps (Marion Kracht). Szene aus »Rosamunde Pilcher: Meldodie der Liebe«
  Der Sonntagabend um 20.15 Uhr ist im Programm des ZDF weniger ein Datum als ein Ort, genauer: ein Ziel, und auf die Reise dorthin freuen sich jede Woche Millionen von Fernsehzuschauern.Es ist eine romantische Globalisierung: Wir reisen mit Inga Lindström nach Schweden, mit der »Kreuzfahrt ins Glück« nach Arizona, Hawaii und Chile, mit dem »Traumschiff« nach Rio de Janeiro, zum Kilimandscharo, auf die Malediven und nach Indien, mit dem »Tal der Wilden Rosen« nach Kanada, mit Rosamunde Pilcher nach Cornwall, mit der »Wunderbaren Familie« an die Ostsee, mit Rebecca Ryman nach Indien, mit »Liebe, Babys und ein großes Herz« an den Tegernsee und dann noch ab und zu nach Italien in die Toskana.

Das Publikum freut sich auf diese Reise am Ende der Woche und erwartet eine bestimmte Qualität der Bilder, aber auch der Geschichten. Es genügt heute nicht mehr, die Exotik in den Vordergrund zu stellen und von irgendwelchen fremden Sitten und Gebräuchen zu erzählen. Unsere Zuschauer kennen die Welt längst aus eigener Anschauung: Wer heute um die 60 ist, war Ende der 60er Jahre, als die großen Reisen in Mode kamen und erschwinglich wurden, um die 20. Die Tatsache allein, dass eine Geschichte beispielsweise in den Vereinigten Staaten von Amerika spielt, ist längst kein ausreichender Grund mehr, einzuschalten: Womöglich hat der Enkel dort eben ein Auslandsjahr absolviert, oder man hat dort Freunde und Verwandte besucht.

Es muss also noch etwas anderes hinzukommen, und das ist die Schilderung der Veränderung, der geografischen und sozialen Dekontextualisierung und der komplexen Gefühle, die damit einhergehen, ein Ausloten von Fremdem und Vertrautem, von Veränderung und Kontinuität.

Reisen erleichtern das Erzählen von Geschichten, daher kommt in allen großen Geschichten der Menschheit die freiwillige oder unfreiwillige, mühselige oder befreiende Ortsveränderung vor. Beide Prozesse gehören zusammen, denn die Reisegemeinschaft, die in früheren Zeiten ja tage-, wenn nicht wochenlang zusammen war, war auch eine notwendige Zielgruppe, man hätte sich ja sonst viel zu sehr gelangweilt: Die ersten nichtreligiösen deutschsprachigen Bucherfolge waren Sammlungen von Geschichten, die man sich in der Kutsche erzählen konnte.

Der enge Zusammenhang von Reisen und Unterhaltung ist also kein Zufall. Er ist auch nicht unproblematisch. Schöne Landschaften, Reisen, Gefühle – diese Trias ruft unweigerlich auch die Kulturkritik auf den Plan. Wo, fragen die kühlen Analytiker des Mediengeschehens, bleibt da die Vernunft, wo der Tiefgang? Ist der Wunsch, sich in ferne Gefilde zu träumen, nicht ein Verrat an den Zuständen zu Hause, an deren Verbesserung ja stets – und auch mit den Mitteln der Fiktion – zu arbeiten ist? Ist es eine Verniedlichung des Auslands und eine Fortführung der Alpenfilme der 30er und 50er Jahre mit anderen Mitteln? Der Vorwurf lautet also auf Eskapismus.

Er ist nicht neu. Alle Medien, vor allem aber die Romane, wurden bei ihrem Aufkommen entsprechend skeptisch eingeschätzt. Ist nicht der wahre Grund für den Absturz einer Emma Bovary ihr Verlangen nach einer ergreifenden Liebesgeschichte, wie sie im Roman steht? Und vor der Sucht, ins Kino zu gehen, um dort Western und Liebesfilme zu sehen, warnte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein ganzer Chor von gebildeten Menschen. Oft war das freilich mehr ein Ausdruck von Standesdünkel denn empirisch begründeter Sorge. Diese Sorge treibt aber noch heute so manchen Zeitgenossen um, sei er nun Kritiker oder Fernsehschaffender.

Fein säuberlich wird da getrennt zwischen Qualität auf der einen Seite – gern assoziiert mit sozialen Themen, harter Wirklichkeit, hohem Kunstwillen (gern auch mal zu Lasten der Zugänglichkeit) und Grimmepreisen – und eben der süßen, seichten Unterhaltungsware auf der anderen Seite. Dabei müssten wir es doch heute besser wissen. Nicht nur die amerikanischen Serien führen uns tagtäglich vor, dass die Zuschauer, die wir schon lange nicht mehr erreichen, mit solchen Begrifflichkeiten schiere Langeweile verbinden, sondern auch dank der Fortschritte in der Wissenschaft wissen wir heute glücklicherweise, wie der Mensch lernt und Neues verarbeitet. Bei Kindern war es ja schon immer klar: Märchen, ­Abenteuergeschichten und das schulische Lernen gehören zusammen. Warum sollte es bei Erwachsenen anders sein?

Die Hirnforschung beweist, dass Vernunft und Narration ebenso wenig in einem Gegensatz zueinander stehen wie Vernunft und Gefühl. Gefühl ist ja nicht nur die zugegebenermaßen oft einfallslos dargestellte romantische Liebe, sondern auch Neid, Furcht, Sorge oder Habgier. Die ganze Palette der Shakespeare’schen Stoffe besteht aus Gefühlen.

Wer sich Sonntagsfilme ansieht, stimuliert andere Bereiche des Bewusstseins. Es geht da nicht um Fakten und Lerninhalte, sondern um ein unterschwelliges Verstehen, eine Bewältigung von Stoffen auf andere Art – ähnlich wie bei der Meditation. Wer hat es nicht erlebt, dass er aus dem Kino kam und plötzlich ein Problem lösen konnte, an dem er zuvor stundenlang vergeblich gegrübelt hatte, obwohl und weil der Film mit der Sache nicht das Geringste zu tun hatte?

Wer am Sonntagabend auf Reisen geht, sich unterhalten lässt, schaltet ab. Aber wer sagt, dass der Neustart am kommenden Morgen nicht umso besser gelingt, weil die Phase der Kontemplation zur Erfrischung des Bewusstseins besser taugt als lange Stunden des Grübelns? Die Wissenschaft legt solche Vermutungen jedenfalls nahe.

Im Übrigen sind diese Art Reisen nicht einfach nur schön: Eine junge Frau, die im Begriff ist zu heiraten, erfährt, dass sie kein Kind bekommen kann. Ihr zukünftiger Mann erfährt vom nahenden Krebstod seiner Tante, deren Enkelkind Vollwaise ist. Eine andere Frau leidet an einer seltsamen Krankheit, die sie ihrem Verlobten verheimlicht. Das sind keine »37º«-Beiträge, auch keine kleinen Fernsehspiele oder Montagsfilme, sondern es ist die Problemdichte einer einzigen »Kreuzfahrt ins Glück – Hochzeitsreise nach Arizona«, mit dem das ZDF zum Jahresbeginn 7,6 Millionen Zuschauer erreicht hat.

Auf Reisen und in Geschichten übers Reisen erfahren wir mehr über das Leben. Das können auch Zeitreisen sein: Der historische Stoff »Das Wunder von Berlin«, in dem wir eine Coming-of-age-Geschichte und eine epische Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung erzählt haben, war einer der großen Erfolge am Sonntagabend in diesem Jahr. Acht Millionen Zuschauer und 16,6 Prozent Marktanteil bei den 14 bis 49-Jährigen zeigen, dass bei gezielter Ansprache das Sonntagspublikum gern auch – gelegentlich – andere Arten von Reisen unternimmt.

Mit wem würden Sie verreisen? Das ist wohl einer der heikelsten sozialen Tests überhaupt. Das Publikum geht mit dem ZDF auf Reisen. Einen größeren Vertrauensbeweis kann es kaum geben. Das kann man – keine Angst vor Fremdsprachen, schließlich sind wir oft genug in Cornwall – auch Public Value nennen!
 
 
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