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2008  
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Marcel Bergmann

Marcel Bergmann, Hauptredaktion Sport

Im Rollstuhl auf Abenteuerreise

 
Marcel Bergmann
Marcel Bergmann


Im Sessellift auf die chinesische Mauer: Marcel Bergmann und sein Freund
Im Sessellift auf die chinesische Mauer: Marcel Bergmann und sein Freund


Auch eine Bootsfahrt braucht logistische Vorbereitung
Auch eine Bootsfahrt braucht logistische Vorbereitung


Geschafft! Marcel Bergmann auf der chinesischen Mauer
Geschafft! Marcel Bergmann auf der chinesischen Mauer
  Vor 13 Jahren hatte ZDF-Sportredakteur Marcel Bergmann mit seinem Vater im Urlaub in Afrika einen schweren Autounfall. Seitdem ist er querschnittgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Sein Vater stirbt bei dem Unfall. Der Fahrer überlebt schwer verletzt.

Die Idee zu einer Chinareise entstand vor zwei Jahren während eines monatelangen Klinikaufenthaltes in Heidelberg. Als Marcel Bergmann damals das Reisetagebuch eines Rollstuhlfahrers las, hat der Gedanke, selbst einmal eine solche Reise zu unternehmen, seinem Leben wieder eine Perspektive gegeben.

Marcel Bergmanns Reise steht im Mittelpunkt des Films »Trotzdem China!«, der für die Reihe »37°« entstand. Der Protagonist, die Autoren und die Redakteurin erinnern sich an die Dreharbeiten.


Mein Rettungsanker in Zimmer fünf – Marcel Bergmann erinnert sich…
Mehr als die Hälfte des Jahres musste ich wegen verschiedener Operationen in der Klinik liegen. Und wie ein rettender Anker senkte sich die Idee, im Rollstuhl durch China zu reisen, in mein Bewusstsein.

China. Das fremde große Reich der Mitte. Die boomende Wirtschaftsmacht, die zugleich in weiten unerschlossenen Teilen immer noch deutliche Züge des Mittelalters trägt.

China. Da wollte ich hin, wenn ich hier jemals he­raus kommen sollte. Raus aus Zimmer fünf, einem Viereck frei von Charme und Atmosphäre, darin Schränke voller medizinischer Hilfsmittel und Medikamente, ein Waschbecken mit Seife rechts und Desinfektionsmittel links. Mittendrin mein Krankenbett, die Schaltzentrale mit Fernbedienung und Internet. Nur in meinen Gedanken konnte ich dieses Zimmer verlassen, stellte mir die Bäume, Berge, Wolken vor. Und immer wieder reiste ich in meiner Fantasie nach China.

Nach intensiver Lektüre verschiedener Reiseführer begann ich mit der genauen Planung. Als Reisezeit bot sich aus meteorologischen Gründen der frühe Herbst an. Die Reise sollte zeigen, wie viel mir trotz der schweren Behinderung noch möglich war. Fortbewegung im Flugzeug, Hubschrauber, Zug, Bus, Boot, Auto oder im Rollstuhl (ohne und mit Handbike), genauso wie Übernachtungen in Luxus- oder Null-Sterne-Hotels, in der Rucksackpension, der Jugendherberge oder irgendwo draußen im Schlafsack.

Und jetzt konnte es endlich losgehen. Die Umsetzung all dessen, was ich mir in zahllosen Büchern und im Internet angelesen und notiert hatte. Über China, dieses fremde, faszinierende Reich der Mitte, das hier in der Klinik auch meine Mitte war, mein Rettungsanker in Krankenzimmer fünf. Mit ständig wachsender Zuversicht hoffte ich auf eine Reise, die echte Begegnungen mit Menschen in diesem bevölkerungsreichsten Land der Erde möglich machen und die vor allem auch die ganz spezielle Erfahrung eines schwerbehinderten Rollstuhlfahrers offenlegen sollte. Kurz gesagt: Ich hoffte auf ein großes Abenteuer, das Mut macht. Vor allem mir selbst natürlich. Aber vielleicht auch einigen anderen Menschen, die weit entfernte große Ziele haben.

»37° – Trotzdem China!«. Die beiden Autoren berichten…
Die Arbeit an »Trotzdem China!« begann für uns schon im Jahr 2005. Ein gemeinsamer Freund machte uns mit Marcel bekannt. Nach einem langen Abend war uns klar, dass wir Marcel helfen würden, seinen Traum zu verwirklichen.

Anfangs hatten wir nur die Geschichte und unsere Begeisterung. Gemeinsam mit Marcel konnten wir eine Produktionsfirma von unserer Filmidee überzeugen, nach vielen Schwierigkeiten und Anläufen fand sich dann auch ein Sendeplatz. Die »37°«- Redaktion sagte zu, dieses ungewöhnliche Projekt in ihr Sendeformat zu übernehmen. Dann konnte es losgehen.

Die Schwierigkeit war nun, Marcel von seiner professionellen Rolle als Reporter zu lösen. Nur so konnte der Film authentisch und dokumentarisch werden. Marcel hatte in den Monaten im Krankenhaus, in denen er seine Reiseidee entwickelte hatte, eine Vielzahl von Bildern vor seinem inneren Auge schon »gesehen«. Seine Reiseroute war bereits durchgeplant und für unseren Begriff zu voll, und am liebsten hätte er selbst Regie geführt. Doch einige konstruktive Auseinandersetzungen später waren wir uns einig: Marcel wollte als Protagonist authentisch sein. Wir als Regisseure würden Luft für wahres Erleben lassen und Hilfestellungen leisten, wo es wirklich nötig wäre.

Das lange Ringen hatte sich gelohnt. Marcel hatte durch die zähe Vorbereitungszeit, die wir gemeinsam durchgestanden hatten, Vertrauen in uns und unsere Arbeit und konnte sich auf seine wesentliche Rolle konzentrieren: die des Reisenden.

Das Team haben wir sorgfältig ausgewählt. Wir waren glücklich, dass wir mit Ralf Gemmecke einen reiseerfahrenen und routinierten Kameramann gewinnen konnten, der nicht nur fantastische Bilder dreht, sondern auch menschlich zu uns und Marcel passte. Mit Cutterin Heike Eberle arbeiten wir schon seit vielen Jahren zusammen, sie war schon in der Treatmentphase unsere Wunschcutterin. Kamera und Schnitt haben dieses Projekt ungemein bereichert. Glückliche Zufälle oder Fügung führten außerdem eine kluge Redakteurin und eine engagierte chinesische Producerin zum Team. Unsere Produktion kämpfte in der Sache und hielt uns ansonsten den Rücken frei, ließ uns machen. Ideale Voraussetzung also kurz vor Reisebeginn.

Der Dreh war nicht nur für Marcel ein Wagnis, sondern hat uns alle an körperliche und mentale Grenzen geführt: Die tägliche Reisezeit war extrem lang. Die Organisation rund um den Transport im Rollstuhl schluckte ebenfalls viel Zeit. Und es war immer wieder schwer, den Grad zu finden zwischen »menschlich helfen wollen« und als »Autor authentisch geschehen lassen«, als Marcel beispielsweise mit dem Handbike stecken blieb. War das nicht genau solch eine Situation, wie wir sie uns gewünscht hatten, eine Grenze, ein Nicht-Weiterkommen? Trotzdem sperrte einer von uns die Straße ab, als ein Kleinbus heranraste. Und wir nickten Marcel zu, als der stöhnte: »Wenn’s jetzt nicht geht, muss mich halt jemand schieben«. Manchmal hielten wir unsere Hände auf dem Rücken fest, um nicht dazuzuspringen und zu helfen, wenn zum Beispiel die Sänfte aus Bambus in zwei Metern Höhe schwankte und Marcels Füße herabfielen und er abzustürzen drohte. Wo hört dokumentarische Arbeit auf und wo fängt menschliche Verpflichtung an?

Was wir gelernt haben? Zum Beispiel, dass es eine Beleidigung für einen Chinesen sein kann, drei Euro für einen Kaffee zu bezahlen, in einem Land, in dem ein ganzes Essen für 20 Cent zu haben ist.

Was wir begriffen haben? Dass 24 Stunden im Rollstuhl viel anstrengender sind, als Fußgänger sich das ausmalen können, und Marcels Herausforderung viel früher anfing, als wir dachten: Stufen, Toiletten, Türen – Schranken überall. Nur Marcels eisernem Willen war es zu verdanken, dass wir weiterkamen, weitermachen konnten.

Was wir neu schätzen können? Die Fähigkeit, die letzten Stufen auf die chinesische Mauer hinaufzurennen, um schnell einen geeigneten Drehort zu finden. Über die eigenen Beine und ihre Funktionsfähigkeit denkt man selten nach.

Nun hoffen wir, dass wir all das Erlebte, aber auch Mut und Hoffnung durch den Film weitergeben können. Und natürlich wünschen wir uns, dass der Film erfolgreich sein wird, aber noch mehr, dass die Reise ein Erfolg war – für Marcel und das, was er sich erhofft hat.
Helen Wild und Frank Breidert

Bei diesem Film war alles anders. Die Redakteurin erzählt ...
Als »37°«-Redakteurin kennt man den Produktionsablauf bestens: Zuerst bespricht man das Thema ausführlich mit dem Autor, am Ende steht der Film, den man im Prozess des Entstehens zwar eng begleitet hat, dessen Protagonisten man aber nie persönlich kennenlernt. Das ist der normale Weg.

Bei »37°. Trotzdem China!« war alles ganz anders! Das fing schon mit dem Protagonisten an, der ein ZDF-Kollege ist: Marcel Bergmann vom Sport. Er brachte das Thema persönlich mit, als er, nach einem kurzen E-Mailwechsel – »Ich komme einfach mal rüber!« – mit dem Rollstuhl in mein Büro und meinen »37°«-Alltag fuhr.

Ein Film über einen ZDF-Kollegen? Da fehlt der nötige Abstand, war meine erste Überlegung, und überhaupt: Was ist das für eine Idee, mit dem Rollstuhl durch China zu fahren? Seit wann machen wir bei »37°« Reisereportagen? Wieso verkauft mir der Protagonist selbst sein Thema, warum treffe ich nicht zuallererst die Autoren?

Dieses Gespräch, das erste in einer langen Reihe von intensiven Begegnungen mit Marcel, dauert zwei Stunden. Danach verstehe ich besser, warum da einer mit seiner Behinderung – als querschnittgelähmter Rollstuhlfahrer – ein solches Abenteuer erleben will. Es geht darum, einer tiefen Krise etwas entgegenzusetzen. Zu zeigen, dass man dem Leben doch noch etwas abzugewinnen, vielleicht sogar abzutrotzen weiß. Auch als Behinderter kann man eine solche Reise verwirklichen, wenn man es sich so sehr wünscht, wie Marcel es tut. Wenn man alles genau plant und wenn man für diese Idee Verbündete findet.

Helen Wild und Frank Breidert, zwei erfahrene Autoren, wollen den Film machen. Wie ihr Protagonist sind sie fasziniert von der Idee einer solchen Abenteuerreise. Von Anfang an ist klar, dass dieser Film ein Wagnis sein wird. Nicht nur wegen der Schwierigkeiten, in China zu drehen, sondern vor allem, weil nicht abzusehen ist, wie Marcel die Reise körperlich verkraften wird. Er, der ohnehin wegen seiner andauernden Schmerzen starke Medikamente nehmen muss, ist in China weit weg von seiner vertrauten Umgebung und seinen Ärzten, von behindertengerechten Verkehrsmitteln, Straßen und Gebäuden ganz zu schweigen. Mit dem Rollstuhl durch China zu reisen, wird ein schwieriges Unterfangen.

»Wir zeigen einen ZDF-Kollegen bei der Realisation seiner Traumreise! Wir haben es mit einem Protagonisten zu tun, dessen Gesundheitszustand labil ist. Marcel weiß, wie man vor und hinter der Kamera agiert! Das muss er vergessen und uns die Arbeit überlassen! Wir wollen nichts inszenieren, wir müssen spannend und überraschend sein! Wir dürfen nichts falsch machen!«

Wie ein Mantra sagen wir uns diese Sätze immer wieder vor. Als Helen, Frank und Marcel mit dem Kamerateam losfahren, beginnt die Zeit, in der man als Redakteurin täglich auf eine erlösende SMS wartet. Die Nachrichten aus China sind beruhigend: Die Autoren scheinen guter Dinge, Marcel ist gesund und beginnt die Reise zu genießen.

Wie ein solche Geschichte aufhört? Mit einer glücklichen Heimkehr, mit spannenden Schilderungen des Erlebten, es folgen Schnitt, Abnahme und Sprachaufnahme. Am Ende ist ein Film entstanden, der mit wunderbaren Bildern von einer Reise erzählt, die mehr ist als nur eine Fahrt durch ein unbekanntes Land. Eine ungewöhnliche »37°«-Dokumentation, die von Freude, Schmerz, Hoffnung und Mut berichtet und die uns zeigt, dass man alles, was einem im Leben begegnet, nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen sehen muss.

Helen Wild, Frank Breidert (Autoren), Ralf Gemmecke (Kamera), Amilca Sosa Fink (Ton), Heike Eberle (Schnitt), Dongxia Tunisch (Producerin), Olaf Pessler (Sprecher), Maria Zimmer-Geyer (ZDF-Pressestelle) und natürlich Marcel – sie alle haben für »Trotzdem China!« ihr Bestes gegeben. Ich bedanke mich dafür!
Brigitte Klos
 
 
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