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2008  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Nikolaus Brender, Chefredakteur des ZDF

Warum wir »drin« sind

 
Nikolaus Brender
Nikolaus Brender


Claus Kleber mitten im Geschehen: Die lange US-Wahlnacht
Claus Kleber mitten im Geschehen: Die lange US-Wahlnacht


Claus Kleber mitten im Geschehen: Die lange US-Wahlnacht
Claus Kleber mitten im Geschehen: Die lange US-Wahlnacht


Chat mit den Zuschauern: Claus Kleber im Netz
Chat mit den Zuschauern: Claus Kleber im Netz
  Mainz im Herbst 2008: Vom Lerchenberg aus ist zu beobachten, wie sich die Wälder ringsum langsam lichten. Nach einem heißen Sommer, der uns medienpolitisch zum Schwitzen gebracht hat, hoffen alle auf einen milden Winter. In den gemäßigten Zonen ist der Herbst ja die Zeit der Ernte und des Blätterfalls ... Doch stehen die Zeichen wirklich auf Mäßigung? Tatsächlich verfärbt sich der Blätterwald noch einmal in den grellsten Farben: Alarmfarbe Rot für die Expansionspläne der Öffentlich-Rechtlichen, sich im Netz breit zu machen. Gebührenfinanzierte Information im Internet? Undenkbar für die, die Zeitung machen. Gebührenfinanzierte Information ohne das Internet? Undenkbar für die, die (öffentlich-rechtlich) Fernsehen machen.

Während sich die Bataillone hier und da in Stellung bringen, schlagen sich die, die Online machen, unbeirrt durch Sommer, Herbst und Winter. Die Kolleginnen und Kollegen der Hauptredaktion Neue Medien liefern schlicht und einfach Programm – oder besser, »Content«: Aktuelle und hintergründige Artikel, Grafiken, Bilder, Animationen, Videos, die das herkömmliche TV-Programm ergänzen, vertiefen und bündeln. In den Onlineredaktionen von www.heute.de bis www.zdf.de wird unter Volldampf getextet, gestaltet und neu sortiert. Europameisterschaft, Olympia, US-Wahlen, dazu sendebegleitende Großprojekte wie »Die Deutschen« – 2008 war für die Onlineredaktionen nicht nur Marathon, sondern Dauersprint.

Für die sportlichen und politischen Großereignisse dieses Jahres hat es sich bewährt, stärker als bisher auf Synergien zu setzen: TV- und Onlineredaktionen arbeiteten – nicht immer, aber immer öfter – Hand in Hand. Ohne diese enge Verzahnung wäre vieles gar nicht möglich gewesen. So reiste Andreas Heck für die www.heute.de mit nach Bregenz und koordinierte von dort aus die Onlineberichterstattung zur Europameisterschaft. Direkte Kommunikation, unmittelbarer Austausch, das spart Zeit. Die Nachrichten- und Sportseiten wurden kontinuierlich auf den aktuellen Stand gebracht: Tore, Entscheidungen, Mannschaftsaufstellungen – alles auf einen Blick. Wer die spielerischen Highlights verpasst hatte, bekam ein Update in »EM-Kompakt«. Die kompletten Spiele waren dagegen im Livestream und danach sieben weitere Tage verfügbar. Verfügbar war auch Jürgen Klopp – nach den abendlichen Livesendungen von der Bregenzer Seebühne chattete er munter weiter. Wir erlebten – erstmals und konsequent bei einem Sportereignis – die Verlängerung des Fernsehens ins Netz.

Wen wundert’s. Die geballte Sportkompetenz im Netz bescherte uns absolute Rekordwerte: Nie zuvor waren die Abrufzahlen für Videostreams und Hintergrundberichte so hoch wie im Juni 2008. Selbst Dokumentationen – wie das unterhaltsam-informative »Schweiz von A bis Z« und sein Pendant »Österreich von A bis Z« – erzielten beachtliche Abrufzahlen. Das gesamte Angebot der ZDF-Familie profitierte von dem sportlichen Schub. Und der Fernsehzuschauer als »User« von einem komprimierten, übersichtlichen Zusatzangebot.

Doch es war kaum Zeit, sich auf Erfolgen auszuruhen. Der Sportsommer ging ohne Pause weiter: Von der Europameisterschaft zur Tour de France zu Olympia. Peking 2008 toppte noch einmal alle Herausforderungen an die (Sport-)Berichterstattung: Hunderte von Wettkämpfen in dichter Folge und parallel dazu die Zeitverschiebung sowie ein komplexes politisches Umfeld. Es war der Anspruch der Onlineredaktion, einerseits vielfältig und breit zu informieren, andererseits eine sinnvolle Struktur und Ordnung in der Fülle zu bieten. Der User sollte sich schnell über Medaillenspiegel, Wettkämpfe, Ehrungen informieren können und doch die Hintergrundinformationen – zum Gastgeberland, zur Menschenrechtssituation, zur Dopingproblematik – nicht missen müssen.

Das Ergebnis konnte sich sehen lassen – und wurde gesehen: Mit dem Onlineangebot zu Olympia konnten die im Juni erzielten Rekordwerte noch einmal übertroffen werden. Die Akzeptanz der gesamten Onlinefamilie von www.zdf.de bis www.heute.de steigerte sich gegenüber den Vormonaten deutlich. Und wieder waren es vor allem die Streamingangebote, die zogen. Durch die Zeitverschiebung konnten viele Zuschauer die Wettkämpfe nicht live sehen, sodass Online das perfekte Angebot für Nachzügler war. Das erfolgreichste Abrufvideo war das fulminante 100-Meter-Finale in Peking: Noch Tage und Wochen nach dem Wettkampf griffen Zuschauer auf das Video zu, um sich den Blitzlauf von Usain Bolt anzuschauen.

Angesichts der sensationellen Abrufzahlen in der Mediathek wurde gut ein Jahr nach deren Start deutlich: Auf dieses Pferd müssen wir weiter setzen. Bewegtbild ist das, was wir haben, was wir können und anbieten sollten – unsere Kernkompetenz nicht nur im linearen TV, sondern auch im Netz, wo sich der Zuschauer zeitsouverän, wann es beliebt, seine Informationen abrufen kann. Damit sind Fernseh- und Onlinejournalismus nicht mehr ein getrenntes Paar Schuhe, sondern sozusagen ein Schuhwerk – gleiche Marke, gleiche Qualität, das lediglich an getrennten Füßen sitzt.

Nur auf einem Fuß zu tänzeln, werden wir uns in Zukunft nicht mehr leisten können. Denn schon jetzt ist es so, dass junge Menschen mehr Zeit im Netz als im Fernsehen verbringen. Laut der ARD/ZDF-Online-Studie rufen 92 Prozent der unter 20-Jährigen Videos ab und schauen sich live oder zeitversetzt Fernsehsendungen im Netz an. Selbst die so charmant benannten »Silver Surfer«, die 60- bis 79-Jährigen, werden zu Entdeckern des Onlineangebots. Für diese Gruppe werden die größten Zuwächse erwartet.

Das Nutzungsverhalten der Zuschauer wird sich, da sind sich Medienforscherinnen und -forscher einig, in den nächsten Jahren weiter verändern. Wenn öffentlich-rechtliche Angebote wahr- und ernst genommen werden wollen, müssen auch sie sich verändern, sich anpassen an neue Bedingungen, auch im Netz. Online als reines Aperçu des TV-Angebots wird niemanden hinter dem Ofen hervorlocken ... Was ZDFonline journalistisch kann, das haben Robert Amlung und in seiner Nachfolge Eckart Gaddum zusammen mit einer überaus engagierten Hauptredaktion in diesem Jahr gezeigt. Auch wenn der Weg dorthin, zu einem vernetzten Arbeiten, manchmal mühsam war – und das nicht nur aufgrund medienpolitischer Debatten. Da musste einige Überzeugungsarbeit geleistet werden, um TV-Redakteure »mitzunehmen«, sie zu animieren, auch »online zu denken«. Die Hauptredaktion Neue Medien hatte und hat an einigen Fronten zu kämpfen.

Doch wir alle sind »on our way«, fangen an umzudenken, mitzudenken. Mittlerweile verlängern auch Kolleginnen und Kollegen der Fachredaktionen ihr Wissen ins Netz, liefern profunde Analysen und Einschätzungen – ob zur weltweiten Finanzkrise, zur Bayern-Wahl, zum europäischen Prozess oder zum politischen Alltag in Berlin. Das ist Mehrarbeit – für hohen Mehrwert!

»Wer wir waren, wer wir sind«, lautet der Slogan der Sendereihe »Die Deutschen« in diesem Winter und zielt – nein, nicht auf Fernsehjournalisten im Wandel der Zeit – sondern auf die ganz große Historie. Das öffentlich-rechtliche Hochglanzprodukt schmückt und bildet in der Primetime; im Netz wird es heruntergebrochen auf die Kernfragen zur Geschichte: Auf fünf vertikalen Ebenen kann sich der Nutzer zu jeder Folge Kurzversionen, Experteninterviews und interaktive Karten anschauen. Er navigiert nach vorne, hinten, links und rechts und kann sich so 1 000 Jahre deutsche Geschichte erschließen – je nach Bedarf in wenigen Minuten oder mehreren Stunden. Durch Zusammenarbeit mit dem Geschichtslehrerverband wandert das Onlinemodul sogar in den Lehrplan von Schulen. Und die Schüler ziehen mit, sie drehen für Online und Hauptprogramm ihre eigenen Geschichten zur Geschichte. Öffentlich-rechtlich at it’s best.

Und dann verbringt Claus Kleber noch eine Nacht im Netz ... Man sollte meinen, das ist weder besonders öffentlich-rechtlich noch eine ausgewachsene Sensation. Doch der Clou ist: Die Nutzer von ZDFonline können daran teilhaben – fünf Stunden live im Netz, Claus Kleber spricht in der Nacht der US-Wahlen mit Köpfen der Netzwelt, die den amerikanischen Wahlkampf aus Onlinesicht verfolgt haben. Zuschauer können mit dem Moderator chatten und direkten Input in die Sendung geben. Sie können in die Sendung eingreifen und ihre Lieblingslinks zur Wahl schicken. Diese Form des medialen Crossovers gab es im deutschen Fernsehen noch nie: Die Wahl des wichtigsten Politikers der Welt findet statt, und der Anchorman des wichtigsten Nachrichtenmagazins wählt das Netz als seine Bühne! So wie auch der Wahlkampf Obama gegen McCain in Blogs, Foren, Networks, Clips und Websites stattfand, so wird das Netz selbst Thema der Berichterstattung.

Wie wird sich die Verbindung von Politik und Netzkultur weiterentwickeln? Wie verändert sich gesellschaftliche Kommunikation, wenn YouTube und Facebook, wenn Bloggen und Twittern zum Alltag werden? Das sind Fragen, die mit Blick auf die USA spannend sind, die uns aber auch im deutschen Superwahljahr 2009 beschäftigen werden. Und uns schon heute beschäftigen: Als wir uns im Oktober dieses Jahres auf dem Höhepunkt der Finanzkrise befanden, da meldeten sich an nur einem Tag rund 1 500 verunsicherte Zuschauer im Dauerchat des ZDF. Sie wollten wissen: »Wie sicher ist mein Geld? Werden die Hilfspakete der Regierung die Krise lösen? Und wer zahlt am Ende für die Rettung der Banken?«. Diese Fragen wurden nicht in Briefform gestellt, die Zuschauer suchten unmittelbar Rat über das Netz. Einmal mehr wurde klar: Wir stecken mittendrin in der Veränderung.

Ob heißer Sommer oder knalliger Herbst – die tägliche journalistische Arbeit zeigt, dass die Entwicklung im Internet weitreichender ist, als es das Ringen um einen Rundfunkänderungsstaatsvertrag – um das Wer-darf-was-im-Netz – suggeriert. Es geht nicht einfach darum, sich auf einer weiteren Plattform breit zu machen. Es geht darum, die Prozesse einer sich transformierenden Öffentlichkeit gedanklich nachzuvollziehen, sie in der eigenen Arbeit aufzunehmen und als Gegenstand der Berichterstattung zu spiegeln.
 
 
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