ZDF.de
                Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2008  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Klaus Bassiner/
Elke Müller
Heike Hempel
Doris Schrenner/
Norbert Himmler
Günther van Endert
Sibylle Bassler
Alexander Hesse
Kamran Safiarian
Nikolaus Brender
Karin Storch
Yvette Gerner/
Katrin Eigendorf
Matthias Fornoff
Elmar Theveßen/
Ralf Paniczek/
Thomas Reichart
Peter Arens/
Guido Knopp
Marcel Bergmann

Matthias Fornoff, ZDF-Studio Washington

Obamas Weg ins Weiße Haus

 
Matthias Fornoff
Matthias Fornoff


Barack Obama mit seinen Töchtern Natasha und Malia und seiner Frau Michelle
Barack Obama mit seinen Töchtern Natasha und Malia und seiner Frau Michelle


Barack Obamas Nominierung als Präsidentschaftskandidat in Denver
Barack Obamas Nominierung als Präsidentschaftskandidat in Denver


Begeisterung im Football-Stadion in Denver
Begeisterung im Football-Stadion in Denver
  Es ist der 4. November, eine nasskalte Nacht in Washington. Die Stadt, ohnehin politisiert wie keine zweite in den Vereinigten Staaten, ist im Wahlfieber. Nachrichtensender laufen auf allen Bildschirmen. Sogar in Sportbars, die üblicherweise Football oder Baseball zeigen. »Der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist … Barack Obama!«, verkünden sie um 23 Uhr. Danach gibt es kein Halten mehr. Tausende sammeln sich spontan in den Straßen, überall im Land. Die Menschen feiern, in der Hauptstadt ziehen sie mit offenem Verdeck und wehendem Sternenbanner vors Weiße Haus. Manche rütteln am eisernen Zaun, singen »Goodbye Bush!« – niemand schreitet ein. Eine Party mitten in der Sicherheitszone.

Ich stehe in unmittelbarer Nähe auf dem Dach des Hotels Hay Adams. Seit sieben Stunden kommentiere ich die Wahlergebnisse für unsere Livesendung. Hinter mir im Lafayette Park werden die Sprechchöre immer lauter: »Obama! Obama!«, skandieren die meist jungen Leute und ein triumphales »Yes, we did!«. Es ist eine Atmosphäre wie in Deutschland nach dem Gewinn einer Fußball-Weltmeisterschaft.

»Sie haben es wirklich getan! Sie haben einen Schwarzen zum US-Präsidenten gewählt!«, sage ich zu meiner Gesprächspartnerin Karen Dornfried. Sie ist Amerikanerin und muss lächeln. »Ja«, sagt sie. »Ich kann es auch noch gar nicht glauben.« Amerika hat für den Kandidaten entschieden, der die größtmögliche Abkehr von den Bush-Jahren symbolisiert. Obama hat sich selbst gern als »unwahrscheinlichen Kandidaten« bezeichnet. Die Präsidenten auf den Dollarscheinen sähen doch irgendwie anders aus als er, hat er im Wahlkampf gesagt.

Barack Obama ist der Sohn eines kenianischen Austauschstudenten und einer weißen Amerikanerin aus Kansas. Ein Mischling, der in Hawaii und Indonesien groß wird – fernab des amerikanischen Kernlands, fernab des Mainstream. Wirklich ein unwahrscheinlicher Kandidat. Aber er ist ehrgeizig. Obama studiert Jura in Harvard, arbeitet als eine Art Sozialarbeiter in Chicago, bevor er in einer Kanzlei anfängt. Dann geht er in die Politik. Der schlaksige Mann mit der ruhigen, selbstsicheren Ausstrahlung und dem großen Lächeln wird in den Senat seines Bundesstaates Illinois gewählt. Dann in den US-Senat. Eine Blitzkarriere schon bis dahin. Gerade 43 Jahre ist er da alt.

Dann setzt er an zum ganz großen Sprung. Februar 2007, Barack Obama erklärt seine Kandidatur fürs Präsidentenamt. Auf den Stufen des alten Kapitols von Springfield, Illinois. Die meisten nehmen ihn nicht ernst. Zu jung scheint er zu sein, zu unerfahren, zu schwarz – auch wenn das Letztere niemand laut sagt. Auch Hillary Clinton, Gegenkandidatin Obamas bei den Demokraten und klare Favoritin, unterschätzt ihn. Obama baut eine »Graswurzelbewegung« auf. Er propagiert den Umbau Amerikas von unten nach oben, und er reißt seine Zuhörer mit seinen Reden mit. Seine autobiografischen Bücher sind Bestseller, die Medien entdecken und lieben ihn.

Ich erlebe Obama erstmals im Sommer 2007. In den Umfragen liegt er da hoffnungslos hinten. Bei über 40 Grad im Schatten haben sich grade mal zwei dutzend Leute versammelt, um ihn zu hören, die meisten sind Journalisten. Obama spricht über die Möglichkeiten der Neuen Medien. Direkt will er die Wähler ansprechen, mit SMS via Handy, mit E-Mails, die Massenabwürfe sind, aber persönlich klingen. »Matthias, Barack braucht deine Unterstützung … bitte spende fünf Dollar oder mehr …«. Mindestens ein Mal pro Woche erhalte ich so eine Mail, nachdem ich mich einmal auf eine Besucherliste Obamas in New Hampshire eingetragen habe. Obama sammelt fast 700 Spendenmillionen ein, davon etwa die Hälfte Kleinspenden bis 200 Dollar übers Internet. »Niemand ist so gut organisiert wie wir. Deshalb können wir die Wahl gewinnen«, sagt er. Er wird Recht behalten. Hillary Clinton muss es als Erste eingestehen. Die erste Frau im Weißen Haus oder der erste Schwarze? Er siegt. Nicht, weil er schwarz ist, auch nicht, weil er ein Mann ist. Sondern, weil er und sein Team das konsequent umsetzen, was er an diesem heißen Sommertag in Washington vorausgesagt hat. Seine Wahlkampfmaschine ist perfekt organisiert und modern. Sie läuft ohne Querschüsse und Querelen. Still und effizient. »No drama – Obama«, kommentieren die Medien respektvoll.

Auf unseren Reisen durchs Land hören wir viel Skepsis. Man kennt Obama erst seit kurzem. Man weiß nicht recht, woran man bei ihm ist. Schöne Reden halten kann er, ja. Aber was kann er durchsetzen? Insbesondere die weiße Arbeiterschaft ist ziemlich resistent gegen Obamas Charmeoffensive. Das ist einer der Gründe dafür, dass sein Gegenkandidat John McCain Anfang September in den Umfragen führt. McCain ist ein amerikanischer Kriegsheld, der seit Jahrzehnten dabei ist. Mit ihm wäre der Wandel nach Bush weniger radikal und sicherer, denken viele.

Dann eilt dem Kandidaten Obama das Schicksal zu Hilfe. Die USA rutschen in die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit der Großen Depression in den 30er Jahren. Banken gehen pleite. Jobs gehen verloren. Ganze Industriezweige stehen vor dem Bankrott. Rentner, die ihre Altersvorsorge in Aktien angelegt haben, verlieren alles. Es ist wie ein Erdbeben, sechs Wochen vor der Wahl. Plötzlich setzen auch ehemalige Obama-Skeptiker auf die Botschaft vom Wechsel. Es wird eine »Change«-Wahl. McCain kann dem wenig entgegensetzen. Er hat alle wichtigen Weichenstellungen der Regierung Bush mitgetragen, auch die Deregulierung der Wirtschaft, die jetzt als eine der Ursachen der Krise gilt. Noch dazu hat John McCain von sich gesagt, er habe »keine Ahnung von Wirtschaft«. Und schließlich hat er Sarah Palin zu seiner Vizekandidatin gemacht. Palin hat ganz offensichtlich nicht nur von Wirtschaft keine Ahnung. Ihre Interviews sind peinlich nah an der Realsatire.

Am Ende bleiben dem Kandidaten der Republikaner nur persönliche Angriffe auf Obama. Der sei elitär, wolle lieber den Krieg im Irak verlieren als die Wahl. Das war unschön, aber es hätte viel schlimmer kommen können. Denn es gab zwei Themen, die McCain gegen den Rat mancher Berater gemieden hat: Religion und Rasse. Aus den umstrittenen Predigten von Obamas ehemaligem Pastor, Jeremiah Wright, wollte McCain kein billiges Kapital schlagen. Und Rassismus blieb ein Tabu. McCain hat ein Stück Anstand gewahrt. Das erleichtert es jetzt, Gräben zu überwinden.

Barack Obama tritt ein schweres Erbe an. Kriege im Irak und Afghanistan, eine dramatische Wirtschaftskrise. Es wird keine Schonzeit geben für den jüngsten Präsidenten seit John F. Kennedy. Dass er nicht über Wasser laufen kann, werden wir schnell erleben. Aber es ist faszinierend zu sehen, wie die Demokratie in Amerika sich immer wieder erneuern kann. Da ist viel positive Energie, viel Optimismus und viel Kraft. In diesem Sinne ist Barack Obama schon jetzt die Fortsetzung des amerikanischen Traums.
 
 
zum Seitenanfang   
 
Das Unternehmen Impressum Kontakt   Erweiterte Suche © ZDF 2009
zdf.de ZDFinfokanal ZDFdokukanal ZDFtheaterkanal arte 3sat phoenix kika