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2008  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Klaus Bassiner/
Elke Müller
Heike Hempel
Doris Schrenner/
Norbert Himmler
Günther van Endert
Sibylle Bassler
Alexander Hesse
Kamran Safiarian
Nikolaus Brender
Karin Storch
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Katrin Eigendorf
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Peter Arens/
Guido Knopp
Marcel Bergmann

Peter Arens, Leiter der Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft
Guido Knopp, Leiter des Programmbereichs Zeitgeschichte/Zeitgeschehen

»Die Deutschen«

 
Peter Arens
Peter Arens


Guido Knopp
Guido Knopp


Mittelalterliche Ansicht von Speyer, der Stadt der Salier
Mittelalterliche Ansicht von Speyer, der Stadt der Salier


Otto der Große (David C. Bunners) verbrachte einen Großteil des Jahres im Sattel
Otto der Große (David C. Bunners) verbrachte einen Großteil des Jahres im Sattel


Vor dem Wormser Reichstag soll Luther (Georg Prang) seine Thesen widerrufen
Vor dem Wormser Reichstag soll Luther (Georg Prang) seine Thesen widerrufen


In der Schlacht von Jena und Auerstedt wurde Preußen vernichtend geschlagen
In der Schlacht von Jena und Auerstedt wurde Preußen vernichtend geschlagen


Viele Deutsche verließen Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Land, um bessere Lebensbedingungen zu finden
Viele Deutsche verließen Mitte des 19. Jahrhunderts ihr Land, um bessere Lebensbedingungen zu finden


Berlin wird um 1900 zur europäischen Metropole
Berlin wird um 1900 zur europäischen Metropole
  Viele Fragen trieben die Beteiligten um während ihrer tausendjährigen Zeitreise durch die deutsche Geschichte, lange bevor das Ergebnis – die zehnteilige Reihe »Die Deutschen« – auf den Schirm kam. Ein paar alltägliche Beispiele: Gab es 1521, bei dem vorgetäuschten Überfall auf Luther nach dem Wormser Reichstag, schon Pistolen? Trugen die Offiziere Friedrichs des Großen schon Bärte, der Diener des Freiherrn von Stein noch eine Zopfperücke? Wie wurde 1848 für die Frankfurter Paulskirche gewählt? Per Akklamation, Kreuz auf die Kandidatenliste, Namen schreiben? Jahrelang haben wir uns mit solchen Fragen beschäftigt, haben Drehbücher und Rohschnitte hin- und hergewendet, die Gespräche zwischen Redakteuren, Autorinnen und Autoren, Regisseuren, Grafikdesignern, Historikern und vielen anderen liefen auf Hochtouren. Doch es half ja nichts, nach fast vier Jahren mussten wir senden.

Als wir unter Aufbietung aller Nerven am Morgen nach der ersten Folge, »Otto und das Reich«, den Videotext mit den Zuschauerzahlen abriefen, war die Überraschung groß. Der Film über den König, der aus sächsischen Landen kam, der den deutschen Stämmen in der Schlacht gegen die Ungarn auf dem Lechfeld 955 zum ersten Mal ein Gefühl von Einigung vermittelte, hatte die Rekordquote von 6,5 Millionen Zuschauern erreicht. Die Reihe über die deutsche Geschichte hatte in der Bevölkerung einen Nerv getroffen: Bis zum Ende sollte der große Publikumserfolg nicht mehr abreißen, sollte die Reihe so viele Zuschauer erreichen wie kaum eine Dokumentationsreihe im deutschen Fernsehen zuvor.

Offen gestanden, hatten wir damit nicht gerechnet. Zu schwer schien uns der Stoff – von den Anfängen unter Otto dem Großen über Heinrich IV. und den Investiturstreit, Friedrich Barbarossa und seinen Konflikt mit mächtigen Fürsten wie Heinrich dem Löwen über die Reformation mit Luther, den 30-jährigen Krieg mit Wallenstein, die Zeiten des preußisch-österreichischen Gegensatzes und der Freiheitskriege gegen Napoleon, zum unbekannten Helden Robert Blum der Revolution von 1848, zu Bismarck und der Reichsgründung und zu Wilhelm II. und dem Weltkrieg. Konnte hiermit wirklich ein großes Publikum gewonnen werden? Mit der Geschichte eines Landes, das nie einen zentralen Einheitsstaat gekannt hatte, keinen barocken Sonnenkönig wie Ludwig XIV. aufweisen kann, aber einen asketischen Soldatenkönig wie den Alten Fritz, keine englische Bill of Rights mit verbrieften parlamentarischen Rechten 1689 und keine epochale französische Revolution mit erkämpften Bürgerrechten 1789, sondern ein kaum definierbares Reich mit oft bedrückender Fürstengewalt in kleinsten Staaten. Die Geschichte der Deutschen war stets ein Ausdruck von Vielfalt, aber auch voller Kleinheit und Zerrissenheit. Die »verspätete Nation« fand erst 1871, nach dem deutsch-französischen Krieg, zu einem geeinten Reich. Die lange unerfüllten Hoffnungen und Ziele unserer Geschichte – Einheit, Freiheit, Frieden – sind zum ersten Mal zur gleichen Zeit erst 1990 Wirklichkeit geworden. Der Föderalismus gehörte zur deutschen Geschichte stets wie die Butter zum Brot. Von Anfang an war Deutschland geprägt von Stämmen und Regionen, die eifersüchtig auf ihre Eigenständigkeiten achteten – nicht nur die Bayern. Daher ging es uns nicht um die Fixierung auf das Nationale, sondern auch um das Für und Wider von Zentralismus und Föderation, das Ringen um Einheit und Freiheit, auch im internationalen Kontext. All das versuchten wir in unserer Reihe zu spiegeln, die in ihrer ersten Folge unter anderem auch zeigte, woher das Wort »Die Deutschen« kommt: aus Italien. Dort wurden die Männer aus dem Norden, die sich selbst als Baiern, Franken, Schwaben oder Sachsen sahen, von den Einheimischen pauschal »tedeschi« genannt – »Deutsche« – in Anlehnung an das germanische Wort »Diutisk«, dem Volke zugehörig. Es waren also eigentlich die Italiener, die den Deutschen ihren Namen gaben. Das wissen heute die wenigsten, und auch so mancher historisch Gebildete würde passen müssen bei der Frage, woher eigentlich unsere Nationalfarben Schwarz-Rot-Gold (die zufälligen Farben des Lützowschen Freikorps gegen Napoleon) kommen.

Auch wenn wir um den hohen Schwierigkeitsgrad des Stoffes und seine fehlende Vertrautheit beim Zuschauer wussten, hatten wir an der Notwendigkeit und dem Sinn des Unternehmens »Die Deutschen« nie gezweifelt. Der Vorteil war, im ZDF mit den beiden Doku-Formaten am Sonntag um 19.30 Uhr, und am Dienstag, 20.15 Uhr, über zwei bestens eingeführte Primetime-Sendeplätze verfügen zu können. Der Zehnteiler, produziert von der Gruppe 5 in Köln um Uwe Kersken, war so aufwändig wie keine andere ZDF-Dokumentarreihe zuvor: Zehn szenische Dokumentationen in High Definition mit namhaften Schauspielern und Hunderten von Komparsen, fast 500 hochkarätigen 3D-Grafiken und Computeranimationen, dazu mit klassischen Elementen wie gefilmten Gemälden, Dokumenten, historisch bedeutungsvollen Bauten und typischen Landschaften. Uns war bewusst, dass ohne die Unterstützung und den Segen der Wissenschaft dieses Großprojekt nicht umzusetzen war. Mit den Professoren Stefan Weinfurter, Heinz Schilling und Hagen Schulze wurden drei der wichtigsten Historiker Deutschlands als Gesamtberater gewonnen, hinzu kamen 20 weitere Geschichtswissenschaftler – für die vielen Detailfragen zu den einzelnen Folgen. Hier fanden zwei Gewerke zusammen: die Präzision der Forschung und die Darstellungskunst der Fernsehmacher.

Im Vordergrund der zehn Kapitel standen historische Persönlichkeiten – Kaiser, Könige, Päpste –, deren Namen sich mit zentralen Ereignissen aus einem Jahrtausend deutscher Geschichte verbinden. Aber es geht nicht nur um Menschen, die Geschichte machten, sondern auch darum, was Geschichte mit den Menschen machte, mit dem Volk, das sich im Lauf der Jahrhunderte mehr und mehr als »deutsch« verstand. Kern des Programms, die Welt der Vergangenheit in Bilder zu kleiden, war eine Zeitreise, ein lexikalisches Werk aus Geschichten und bewegten Bildern. Es ist enorm, wie sich die Mittel des szenisch-dokumentarischen Fernsehens verändert haben. Früher musste man sich für das Mittelalter auf alte Urkunden und Miniaturmalerei beschränken, die baulichen Überreste der Kaiserpfalz in Gelnhausen abfilmen oder den Bamberger Reiter. Heute stellen Komparserie und der Computer die Lechfeldschlacht von 955 nach und verkörpern Schauspieler alte Herrscherfiguren wie Heinrich IV., der, vom Papst gedemütigt, den Gang nach Canossa antritt. Die Dialoge gehorchen intensiven Recherchen, sind entweder verbürgt oder folgen dem Grundsatz der Wahrscheinlichkeit: Wie ist es sehr wahrscheinlich gewesen? Eine attraktive und erkenntnisfördernde Form der Darstellung, denn schon Goethe wusste, Aristoteles folgend, dass poetische Freiheit dem historischen Stoff mehr abgewinnen kann als das viel beschworene authentische Dokument. Die optische Rekonstruktion von Vergangenem erlaubte, dass eine Ahnung von der Sachsenburg Werla entstehen konnte, dem Inferno Magdeburgs im 30-jährigen Krieg oder von den Straßenkämpfen 1848 in Berlin.

Warum nun konnte dieser im Kern schwierige Stoff so breiten Zuspruch finden? »Die Deutschen« haben zweifellos eine Erwartung erfüllt, planbar war das wohl nicht. Offenbar gibt es ein Bedürfnis, den Facettenreichtum deutscher Geschichte kennenzulernen, neben der wichtigen Betrachtung von Geschichte und Vorgeschichte historischer Abgründe des 20. Jahrhunderts. Die Menschen haben den »Geschichtsfelsen Nationalsozialismus« (Hagen Schulze), der stets zu allgemeinen Berührungsängsten mit deutscher Geschichte führte, etwas zur Seite gerückt. Ihnen ist bewusst, dass es auch davor etwas gab, das nicht als etwas Totes und Abgestorbenes hinter ihnen liegt, sondern das in ihnen lebendig bleibt. Und wir haben versucht, den Stoff klug und fantasievoll zu erzählen, die Vergangenheit in den Köpfen und Herzen der Leute zu verankern. Nur wer fasziniert ist, lernt auch. Otto mit seinem Sohn zu Pferd im sächsischen Wald, mit dem Reisekönigstross nach Aachen, auf altsächsisch im Gespräch mit einem Bauer (hat man bisher in Film und Fernsehen jemals Althochdeutsch gehört?): Welch schöne Szenen, die sich auch für den Geschichtsunterricht in den Schulen anbieten. Da wir die Reihe explizit als ein Bildungsangebot konzipierten, haben wir erstmals mit dem Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) zusammengearbeitet. Lehrer entwickelten für Lehrer eigens Unterrichtsmaterialien zu den zehn Folgen. Sie sind online beim ZDF abrufbar, eine Chance, die mehr als 30 000 Mal genutzt wurde, um Schulstunden zur deutschen Geschichte interessanter zu machen. Für Dr. Peter Lautzas, Präsident des Geschichtslehrerverbands, ist die Reihe ein »herausragendes Beispiel, wie es gelingen kann, die Möglichkeiten des Fernsehens mit dem Geschichtsunterricht zu verbinden«.

»Die Deutschen« haben ein Thema gesetzt, über das man in der Öffentlichkeit spricht, das auch in den Familien zur Diskussion anregt und mehrere Generationen vor dem Bildschirm versammelt. Sicher wissen nun einige Zuschauer mehr, wer diejenigen mit den seltsamen Namen Ottonen, Salier und Staufer waren – nämlich unsere frühen Vorfahren aus dem Mittelalter. Und seine Vergangenheit zu kennen, seine Identität, kann so verkehrt nicht sein.

DIE DEUTSCHEN
Titel und Autoren:
Otto und das Reich (Christian Feyerabend)
Heinrich und der Papst (Friederike Haedecke)
Barbarossa und der Löwe (Friedrich Klütsch und Daniel Sich)
Luther und die Nation (Friedrich Klütsch und ­Daniel Sich)
Wallenstein und der Krieg (Martin Carazo Mendez)
Preußens Friedrich und die Kaiserin (Annette Tewes)
Napoleon und die Deutschen (Stefan Brauburger)
Robert Blum und die Revolution (Peter Hartl)
Bismarck und das Deutsche Reich (Friedrich Scherer)
Wilhelm und die Welt (Ricarda Schlosshan)
Serienproducer: Christian Feyerabend
Redaktion: Stefan Brauburger
 
 
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