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2008  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Klaus Bassiner/
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Heike Hempel
Doris Schrenner/
Norbert Himmler
Günther van Endert
Sibylle Bassler
Alexander Hesse
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Thomas Reichart
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Marcel Bergmann

Günther van Endert, Leiter der Redaktion Fernsehfilm II

Programm-Marke Samstagskrimi
Anmerkungen zu einem deutschen Erfolgsprogramm

 
Günther van Endert
Günther van Endert


Rosa Roth (Iris Berben) und ihr Assistent (Zacharias Preen) am Tatort
Rosa Roth (Iris Berben) und ihr Assistent (Zacharias Preen) am Tatort


Bella Block (Hannelore Hoger) mit SEK-Einsatzleiter Fred Schubert (Henning Baum)
Bella Block (Hannelore Hoger) mit SEK-Einsatzleiter Fred Schubert (Henning Baum)


Hauptkommissar Lutter (Joachim Król, rechts) mit seinen Freunden Höcki (Timo Dierkes, links) und Sunny (Jochen Nickel, Mitte)
Hauptkommissar Lutter (Joachim Król, rechts) mit seinen Freunden Höcki (Timo Dierkes, links) und Sunny (Jochen Nickel, Mitte)


Verena (Maja Maranow) und Otto (Florian Martens, Mitte) mit Scholler (Jan Andres). Szene aus »Ein starkes Team«
Verena (Maja Maranow) und Otto (Florian Martens, Mitte) mit Scholler (Jan Andres). Szene aus »Ein starkes Team«
  Die weltweite Finanzkrise verstärkt die Lebensängste. Der globalisierte Alltag ist ein sich bedrohlich schnell wandelnder Alltag. Die Menschen fühlen, dass ihnen die Verhältnisse und damit ein Teil ihres Lebens entgleiten. Das verstärkt beim Publikum das Bedürfnis nach einem Genre, in dem es sich einerseits verstanden fühlt, in dem es andererseits erst recht bedrohlich zugeht: Im Krimi wird gemordet, unter Druck gesetzt und öfters fürchterlich gelitten. Die Paradoxie ist, klar, eine scheinbare, denn mit Sicherheit kann erwartet werden, dass in dem Genre das Böse gebannt wird und die Bedrohung keine Dauer hat. Mit dem Tod lässt sich unterhaltsam leben, wenn er fiktional entschärft ist. Das Unheil wird zur Frage, wie dem Kommissar das Ergreifen des Täters gelingt. Der Krimi verspricht zuverlässig Unterhaltung, denn das Genre garantiert per definitionem eine spannende Zeit. Krimis in allen Formen bilden das populärste Genre im deutschen Fernsehen.

Der Samstagskrimi ist die Königssparte im umfangreichen seriellen und »verreihten« Krimiangebot des ZDF. Er ist ein Gemeinschaftsprojekt der drei fiktionalen Hauptredaktionen. Mitte der 90er Jahre begonnen, nähern sich die ersten Reihen der 40. Folge oder haben diese Grenze schon überschritten.

Der Samstagskrimi ist ein Erfolgsprogramm. Die Akzeptanz ist mit einem Marktanteil von über 18 Prozent und annähernd 5,5 Millionen Zuschauern seit Jahren hoch und stabil. Ein Grund für den Erfolg ist die Beständigkeit. Weil das ZDF die Krimireihen seit fast eineinhalb Dekaden immer zur gleichen Zeit in hoher Stückzahl sendet, wissen die Zuschauer, wo sie am Samstagabend ein qualitativ hochwertiger Krimi erwartet. Wenn Otto und Verena vom »Starken Team« vor zehn Jahren ein Stammpublikum von zirka dreieinhalb Millionen hatten, so sind es heute fünf. Der Samstagskrimi braucht den Vergleich mit dem Mitbewerber, dem ARD-Sonntagskrimi, auch in quantitativer Hinsicht nicht zu scheuen. Unter anderen Sendebedingungen liegen »Tatort« und »Polizeiruf« durchschnittlich etwas über zwei Prozent vor dem Samstagskrimi (18,3 beziehungsweise 20,5 Prozent im Jahr 2008 bis Ende September; jeweils Erstsendungen und Wiederholungen).

»Bella Block«, »Rosa Roth«, »Stubbe« und »Wilsberg« sind Namen, die den Zuschauern etwas sagen. Dass der Samstagskrimi als ZDF-Programm-Marke ihnen (noch) zu wenig sagt, deutet auch auf seine Stärke hin, nämlich seine Vielfalt in mehrerer Hinsicht. Die Ermittler unterscheiden sich in ihren Charakteren, ihrem Selbstverständnis und ihren Topografien. Vor allem aber geben großartige Schauspielerinnen und Schauspieler ihnen markante, nicht austauschbare Profile: Iris Berben als Kommissarin »Rosa Roth«, Hannelore Hoger als »Bella Block«, Ulrike Kriener als Kommissarin Ellen Lucas und Senta Berger als Eva Maria Prohacek in »Unter Verdacht«; Wolfgang Stumph als Kommissar »Stubbe«, Joachim Król als »Lutter« und Leonard Lansink als Privatdetektiv »Wilsberg«; Maja Maranow und Florian Martens im »Starken Team«, Lisa Martinek und Charlotte Schwab als »Das Duo« und Aglaia Szyszkowitz, Hannes Hellmann und Rainer Strecker in »Einsatz in Hamburg«. Die Samstagskrimis weichen darüber hinaus in ihrer Tonalität voneinander ab, in ihren Spielarten des Genres, die auch innerhalb einer Reihe differieren können. Es gibt das dezidierte Kriminaldrama, den raffinierten Plot, den actionbetonten Film, den Thriller, die kriminalkomödiantische Geschichte und meist die Kombination mehrerer Arten. Jede einzelne Reihe kann für sich einen singulären Charakter in Anspruch nehmen und könnte grundsätzlich auch auf anderen Sendeplätzen in der Primetime laufen. Der Samstagskrimi bündelt sie, macht sie zu einer Programm-Marke, gibt ihnen einen festen und dauerhaften Platz und nützt damit dem ZDF sowie jeder einzelnen Reihe.

Georges Simenon sagte, man brauche für einen guten Krimi einen guten Anfang und ein paar Telefonbücher, damit die Namen stimmten. Daran ist richtig, dass ein Krimi gutes Handwerk sein muss. Ansonsten traf dieser kleine Hieb für überambitionierte Nacheiferer schon für seinen Kommissar Maigret nicht zu. Auf den modernen Fernsehkrimi passt sein Wortlaut erst recht nicht. Die einzelnen Samstagsreihen verbindet, dass sie handwerklich auf der Höhe der Zeit sind: mit plausibler Handlung, gut besetzt, aufwändig produziert, attraktiv visualisiert, von Produzenten, Autoren und vor allem auch Regisseuren erstellt, die es können. Der Samstagskrimi zieht die Guten und Besten der Branche an.

Vor allem aber verbindet sie bewegende Geschichten aus der modernen Gesellschaft und dem heutigen Leben. Der Samstagskrimi unterhält, weil Erzählhaltung und Handlungsstruktur mit Themen zusammenfallen, welche die Zuschauer ansprechen, weil sie sie im Alltag interessieren oder die Themen ihres eigenen Lebens sind. Es geht um Familiendramen, Babywunsch und Einsamkeit in der Großstadt; um Sinnsuche, Exis­tenzangst und miese Jobs; es geht um Ausländerhass, politische Ränkespiele, Korruption und Fehler von Polizisten; um das organisierte große Verbrechen und die kleinen Delikte. Thema und Genre bedingen und befruchten sich gegenseitig. Auch der Krimi mit dramatischem Kern unterliegt dem obersten Krimigebot: der Spannung durch Logik.

Die Themen des Samstagskrimis lesen sich wie ein breit gefächertes Gesellschaftspanorama der Bundesrepublik Deutschland seit Mitte der 90er Jahre. Denn es sind eindeutig deutsche Krimis: Die Milieus, die Schauplätze oder auch die Perspektive auf Tat und Täter charakterisieren, dass die Filme im wiedervereinigten Deutschland entstanden sind. Sie sind regional verortet, aber nicht provinziell, führen das moderne, mit teils tiefen Konflikten behaftete, aber wandlungsfähige Deutschland vor Augen. Das breite, das Primetime-Publikum erkennt sich in diesen Erzählungen wieder. Die tradierte Vorstellung vom Krimi als Sozialgeschichte trifft auch auf den ZDF-Samstagskrimi zu.

Das Problem des zu alten Publikums hält sich beim Samstagskrimi in Grenzen. In der Zielgruppe der 30- bis 59-Jährigen beträgt der Marktanteil 15 bis 16 Prozent, bei den Zehn- bis 49-Jährigen um die zehn Prozent. Doch Selbstzufriedenheit ist immer schlecht. Auch diese Programm-Marke muss stets weiterentwickelt werden. Amerikanische, skandinavische und englische Serien bringen neue oder verbesserte Erzählformen. In der Ermittlungsarbeit tritt die Wissenschaft verstärkt an die Seite der Psychologie. Längerfristig wird das Internet die audiovisuelle Wahrnehmung und in der Folge die fiktionale Dramaturgie verändern.

Alfred Hitchcock wurde einmal als »Architekt der Angst« bezeichnet. Der Krimi und der Thriller sind die einzigen Seinsformen, in denen man Angst genießen kann. Hitchcocks Humor ist ein Trost für kommende schlimmere Zeiten.
 
 
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