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2007  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Guido Knopp
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Maybrit Illner

Volker Panzer, Redaktionsleiter »nachtstudio«

Über den Tag hinaus
Zehn Jahre »nachtstudio« – eine Erfolgsgeschichte

 
Volker Panzer
Volker Panzer


Das neue »nachtstudio«-Dekor
Das neue »nachtstudio«-Dekor


Volker Panzer am Kamin
Volker Panzer am Kamin


Robert Gernhardt zu Gast im »nachtstudio«
Robert Gernhardt zu Gast im »nachtstudio«
 

Fernsehen – der Kult im Kasten
Am 3. September 1997, Null Uhr 15, ging das Gesprächsforum mit dem schlichten Titel »nachtstudio« zum ersten Mal auf Sendung. Das Thema hieß: »Fernsehen – der Kult im Kasten«. Gefragt wurde: »Werden wir auch in Zukunft noch klassisch fernsehen können?«. »Nein«, sagte der TV-Kultautor Wolfgang Menge, »jeder wird sich sein eigenes machen«. Was heute, zehn Jahre später, den Medienschaffenden den Schweiß auf die Stirn treibt, die Digitalisierung der Welt, wurde schon 1997 prognostiziert. Der Zeit voraus sein, Themen aufgreifen, die nicht auf der Straße liegen, war Anspruch und Zielvorgabe des neuen Formats »nachtstudio«: »Es soll aufgreifen, was über den Tag hinausgeht, was lange zurückreicht, tiefliegende Wurzeln und weitreichende Konsequenzen hat«, sagte der damalige Hauptabteilungsleiter Hans Helmut Hillrichs. Das »kulturelle Gesprächsforum bis zur Jahrtausendwende«, so der offizielle Untertitel, erwies sich als robustes Kulturformat. »Das ›nachtstudio‹ mit seiner Vielfalt, seiner Aktualität und Seriosität erfüllt den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in ganz besonderer Weise«, bilanziert Peter Arens, Leiter der Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft, heute.

Verlässlichkeit, Neuigkeit, Zugänglichkeit
Worauf gründet sich der attestierte Erfolg des »nachtstudios«? Nicht unbedingt auf die Zuschauermassen, die gibt es nach Mitternacht nicht mehr. Er beruht auf drei Kriterien: Verlässlichkeit, Neuigkeit, Zugänglichkeit. Verlässlichkeit heißt, dass die Sendung spät, aber regelmäßig ausgestrahlt wird, wöchentlich am späten Sonntagabend. Verlässlichkeit bedeutet auch, Gesprächskulturstandards einzuhalten. Es heißt zwar: Im Seichten kann man nicht ertrinken – aber auch nicht schwimmen lernen. Neuigkeit meint: Jede einzelne Ausgabe des »nachtstudios« bietet neue, so noch nicht gehörte Überlegungen oder auch Spekulationen zum jeweiligen Thema. Neu war und ist besonders die Zusammensetzung der Gäste: Was heute als Königsweg mancher Talkshow gilt, hatte im »nachtstudio« seine Uraufführung: der Politiker und der Wissenschaftler, der Promi und der Fernseh­unerfahrene, die Alten und die Jungen. Einziges Auswahlkriterium: Kenntnis vom Thema, die Lust am Thema und Freude an der Debatte. Das führt zum dritten Punkt: Zugänglichkeit. Das Thema kann noch so abgelegen, noch so schwierig sein, immer kommt es darauf an, das Fernsehpublikum ernst zu nehmen. Nicht abgehoben nur für die »happy few« der Wissenden diskutieren, sondern den Zuschauerinnen und Zuschauern die Chance geben, Mitdenken als Unterhaltung erleben zu können. Im Laufe der Jahre hat sich gezeigt, dass zumindest, was Quote, Zuschauerreaktion und Presseecho betrifft, gerade solche Sendungen erfolgreich waren, die herausforderten, verwegene Thesen aufstellten, illustre Gäste oder »schräge« Ansichten zuließen. Dieser »Dreisprung« ging auf, denn die bis jetzt (September 2007) ausgestrahlten Sendungen erreichten im Schnitt weit über 300 000 Zuschauer und einen Marktanteil von sieben Prozent. Im Ranking aller zeitgleich ausgestrahlten Sendungen liegt das »nachtstudio« oft an dritter Stelle

Zeuge des Jahrzehnts
Mit seinen bis Jahresende rund 300 Sendungen mit etwa 1 200 Gästen entstand im Lauf der Jahre ein Panorama von Zeitgenossen und Zeitthemen: Elisabeth Mann-Borgese, jüngste Tochter von Thomas Mann, diskutierte schon 1998 über Klimawandel. Dennis Meadows, Autor von Die Grenzen des Wachstums, erklärte, warum seine Prognosen doch nicht so falsch waren. Peter Sloterdijk machte uns mit seinen Regeln für den Menschenpark vertraut. Benjamin von Stuckrad-Barre und junge Pop-Literaten höhnten über die Spießergesellschaft. Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeld imitierte den Ruf der Graugänse. Joschka Fischer, Joachim Fest und Heinrich August Winkler sangen das Loblied auf Preußen. Alice Schwarzer plädierte für die Rebellion. Heiner Geißler und Reinhold Messner suchten vergeblich nach dem Sinn der Berge und Wolf Singer nach der Gedankenfreiheit im Gehirn. Hans Magnus Enzensberger machte Propaganda für Alexander von Humboldt, Martin Walser misstraute jeglichen Rezepten zum Glücklichsein. Zoe Readhead, Tochter von A. S. Neill, machte deutlich, dass »antiautoritäre Erziehung« bis heute falsch verstanden wird. Eva Herman und Thea Dorn versuchten, ihre Ansichten auszutauschen. Der Hollywoodstar Jeff Goldblum erzählte von seinen Jugendhelden und Jean Ziegler zählte die Strategien der Weltverbesserung an einem Finger ab: Armut bekämpfen. Viele heute bekannte Wissenschaftler und Querdenker hatten ihren ersten Auftritt bei uns. Ich behaupte, wer zehn Jahre lang ausschließlich »nachtstudio« gesehen hätte, hätte sich nicht nur amüsiert, sondern ihm wäre vermutlich außer den aktuellen Bundesligatabellen nichts Wesentliches entgangen. Das »nachtstudio« machte nicht nur Fernsehen, sondern als Zeuge des Jahrzehnts auch Geschichte. 85 Sendungen (September 2007) beschäftigten sich mit Kultur im weiteren Sinn, 48 Mal stand Wissenschaft im Mittelpunkt und 25 Mal waren die Medien selbst im Fokus des Interesses.

... und der Zukunft zugewandt
Was das »nachtstudio« einzigartig in der Fernsehlandschaft gemacht hat, war auch sein unverwechselbares Bühnenbild, in dessen Zentrum der flackernde Kamin stand. Ist der Kamin echt? So lautete die immer wieder gestellte Frage. Natürlich nicht. Von Anfang an flackerte ein Video in der Kaminkulisse: Das Kaminfeuer hat dem »nachtstudio« eine eigene, ruhige und doch bewegliche Identität gegeben. Die Idee, dem »flanierenden Nachtzuschauer« einen Eyecatcher anzubieten, ist aufgegangen. Die »Sendung mit dem Kamin« kennt mittlerweile jeder. Deshalb war bei der Renovierung des Bühnenbildes der Kamin unbedingt beizubehalten. Allerdings erlösten wir ihn aus seinem Holzrahmen und präsentieren das Kaminfeuer seit dem 19. August 2007 offen auf einem 16:9-Breitbandscreen. Vielleicht mit der Folge, dass ein Mysterium aufgelöst wird. Im »Kamin« sieht man immer mal etwas anderes: Einmal rollt eine Surfwelle auf uns zu. Dann schwimmen Fische in blauem Wasser, und ungefähr nach 30 Minuten wackeln verschwommene Mondlandungsbilder über den Monitor. Alles ironische Anspielungen auf die Programme, als das Fernsehen in der Nacht noch träumen durfte. Noch niemand hat mich auf die »Doppelbödigkeit« des Kamins angesprochen, es gehört wohl zu den ewigen Mysterien der Fernsehbildwahrnehmung. Was wird sich ändern? Das neue Studio weist den Weg: heller, klarer, moderner, schnörkelloser, neugieriger. Denn nichts ist langweiliger als Selbstgewissheit in einer Zeit der medialen Umbrüche. Durch Wiederholungen in 3sat, PHOENIX, ZDFdokukanal, ZDFtheaterkanal und ZDFmediathek sind wir sogar über die Nacht hinausgewachsen und präsenter denn je. Wolfgang Menge, den Stargast der ersten Stunde, wird es freuen.
 
 
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