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2007  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
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Heike Hempel
Annette Reisse
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Nikolaus Brender
Martin Ordolff
Stefan Raue
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Stefan Raue, Redaktionsleiter »blickpunkt«

Das ZDF und der G8-Gipfel in Heiligendamm

 
Stefan Raue
Stefan Raue


Das Gläserne Studio in Kühlungsborn
Das Gläserne Studio in Kühlungsborn


Heiligendamm: der Weg zum Gipfel
Heiligendamm: der Weg zum Gipfel


Heiligendamm: Vorbereitungen für die ZDF-Übertragung
Heiligendamm: Vorbereitungen für die ZDF-Übertragung
 

Es gibt wichtige Wahlen, große Staatsbesuche, internationale Gipfel, doch kaum ein politisches Ereignis findet ein derartiges Interesse wie der jährliche G8-Gipfel, der in diesem Jahr vom 6. bis 8. Juni in Deutschlands ältestem Seebad, in Heiligendamm, stattfand. Für ein paar Tage trafen sich die Staatschefs der acht wichtigsten Industrie­länder, als Gäste waren die Vertreter der sogenannten Schwellenländer wie China oder Brasilien und einige afrikanische Staaten dabei. Für kurze Zeit war Heiligendamm Ort und zugleich Ausdruck der global vernetzten Welt. Auf der Agenda standen Themen, die kein Land der Erde im nationalen Rahmen lösen und bewältigen kann: der Klimaschutz, die Entschuldung Afrikas, die Bekämpfung von Aids und der Umgang mit den weltweit operierenden Hedgefonds. Wo, wenn nicht beim G8-Gipfel, können diese Zukunftsthemen diskutiert werden? Ein derartiger Gipfel ist weniger auf Entscheidungen und Vertragsabschlüsse ausgelegt, sondern es geht um den Austausch der unterschiedlichen Lösungsansätze und Einschätzungen. Die Länder Afrikas haben gegenüber den westeuropäischen Vorstellungen zum Klimaschutz große Vorbehalte, sie fürchten, dass ein rigoroses internationales Klimaschutzregime ihre Bemühungen um wirtschaftliches Wachstum behindert.

G8 ist nicht nur ein höchstrangiges Forum, G8 ist auch eine Art Konzentrat der politischen Macht in der Welt und damit auch Ziel der internationalen Globalisierungskritiker. Nicht nur die wichtigsten Regierungen der Welt sind global vernetzt, auch die Gegenbewegung ist in vielen Regionen und Organisationen der Welt verankert. G8-Gipfel waren auch immer Schauplätze dramatischer und spektakulärer Gegendemonstrationen, die die Kritik an der internationalen Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik thematisierten. Die Anti-G8-Bewegung ist sehr vielfältig und teilweise widersprüchlich; eine Fraktion bestreitet die Legitimität des G8-Gipfels, die andere fordert von den Staatschefs konkrete Maßnahmen zur Entschuldung der Dritten Welt oder zur Fortführung des Kyoto-Prozesses zum Klimaschutz.

Frühzeitig zeichnete sich schon Ende 2006 ab, dass der G8-Gipfel unter Vorsitz der deutschen Kanzlerin unter riesiger öffentlicher Aufmerksamkeit stattfinden würde. Als Tagungsort war das Seebad Heiligendamm gewählt worden, weil es als repräsentatives Hotel- und Tagungszentrum ein angemessener Ort schien und weil es fern der Ballungszentren von Polizei und anderen Sicherheitsbehörden gut zu schützen war.

Das ZDF war beim G8-Gipfel in doppelter Funktion eingebunden. Zum einen sollte mit einem Mix aus aktueller und hintergründiger Berichterstattung über die Themen des Gipfels, über die Verhandlungen und Ereignisse in Heiligendamm und über die Argumente und Veranstaltungen der G8-Kritiker, die vor allem Rostock als Hauptort der unterschiedlichen Aktionen wählten, informiert werden. Zum anderen war das ZDF – gemeinsam vor allem mit dem NDR – zuständig für die Realisierung des sogenannten »Weltbilds« aus Heiligendamm und von anderen Orten des Gipfels.

Das ZDF war dabei zuständig für die Fernsehbilder aus dem Briefing-Center der Teilnehmerstaaten in Heiligendamm, für den UNICEF-Gipfel der G8-Jugendlichen in Wismar, für die Planung und Konstruktion der Weltregie und den Poolhubschrauber, der während des Gipfels spektakuläre Bilder bot. Das Poolangebot des Weltbilds wurde allen internationalen Medien im Internationalen Pressezentrum in Kühlungsborn live und auf Abruf zur Verfügung gestellt.

Um diese beiden Kernaufgaben erfüllen zu können, war eine technische und personelle Kraftanstrengung notwendig, die im Vergleich zu anderen politischen Ereignissen ohne Beispiel ist: zehn Übertragungseinheiten (darunter zwei EasyLinks), über 400 Mitarbeiter aus vielen Redaktionen, der Produktion und Technik und ein Gläsernes Studio am Hafen von Kühlungsborn. Allein die Disposition des Großgeräts forderte einen Planungsprozess, der mehrere Monate lang auf neue Entwicklungen und Anforderungen reagieren musste. Frühzeitig war ein zentrales Planungs- und Koordinierungsteam aus der Hauptredaktion Innen-, Gesellschafts- und Bildungspolitik gegründet worden, das sich im Wesentlichen auf das Personal stützte, das seit vielen Jahren für die Realisierung der ZDF-Wahlsendungen und anderer innenpolitischer Sondersendungen zuständig ist und daher vielfältige Erfahrungen mit großen Außenübertragungen und Gemeinschaftsproduktionen mit anderen Sendern hat. In regelmäßigen Planungstreffen wurden die Anforderungen der beteiligten Redaktionen, der Hauptredaktionen Aktuelles, Innen-, Gesellschafts- und Bildungspolitik, Außenpolitik, Neue Medien, des »ZDF-Morgenmagazins«, »Frontal 21«, »Berlin direkt«, »logo!« und 3sat-»Kulturzeit« aufgenommen und die technischen Voraussetzungen für die höchst unterschiedlichen Produktionen geschaffen.

In Kühlungsborn wurde ein Produktions- und Sendezentrum aus mobilen Produktionsmitteln und Containern geschaffen, das insgesamt die Realisierung von etwa zwölf aktuellen Programmstunden ermöglicht hat. In diesem Sendezentrum wurde das Bild- und Tonmaterial aller Übertragungseinheiten auf Servern aufgezeichnet, technisch und redaktionell ausgewertet und in den zahlreichen aktuellen Sendungen, vom »ZDF-Morgenmagazin« bis »heute nacht«, verwertet. Im Gläsernen Studio in Kühlungsborn wurden drei »heute«-Sendungen mit Anchor Petra Gerster produziert, hinzu kamen verschiedene »ZDF spezial«-Sendungen mit Bettina Schausten und große Teile des »ZDF-Morgenmagazins« mit Christian Sievers.

Nicht zu vergessen sind die umfangreichen Hintergrundinformationen der Hauptredaktion Neue Medien in den verschiedenen Onlineangeboten des ZDF. Eine große Bedeutung für die umfassende Berichterstattung hatte auch der Außenstandort des ZDF im Rostocker Hafen. Ganz nah am Veranstaltungsort der G8-Kritiker hatte die Crew um Studioleiterin Sylvia Bleßmann ein kleines Studio auf einem Büroschiff in Betrieb genommen. Von dort berichtete das ZDF für alle aktuellen Sendungen.

Der Produktionsort im Hafen erwies sich vor allem während der dramatischen Ereignisse rund um die Großdemonstration am 2. Juni als ideal, weil die installierten Kameras das Geschehen auf der Veranstaltungsbühne direkt einfangen konnten, dennoch die beobachtende Distanz zu den Kundgebungen und auch den Ausschreitungen gewahrt wurde. Das war für die beteiligten Kamerateams und Reporter eine besonders große Herausforderung, weil die gewalttätigen Gruppen innerhalb der Demonstrationszüge mehr denn je auch die Medien zum Ziel ihrer Angriffe machten.

G8 in Heiligendamm war ein Gipfel, der vor allem den elektronischen Medien und insgesamt der freien Berichterstattung spürbare Grenzen aufgezeigt hat. Die Aufarbeitung dieser Problematik hat bisher nur in Fachkreisen begonnen. Die professionelle Medienkritik hat sich zusammen mit den G8-Kritikern vor allem darauf konzentriert, den Medien eine einseitige und auf die gewalttätigen Ausschreitungen fixierte Berichterstattung vorzuwerfen.

Aus der Sicht der meisten Reporter eskalierte die Situation am 2. Juni, als eine größere Gruppe von vermummten Demonstranten unprovoziert ungeschützte Polizisten, die zur Verkehrsregelung eingesetzt waren, mit brutalster Gewalt angriffen und zur Flucht zwangen. Danach setzte sich ein großer »Schwarzer Block« in Bewegung, der Teile der Rostocker Innenstadt in der Nähe des Hafens verwüstete, Polizisten wie friedliche Demonstranten mit massiven Steinwürfen verletzte und erst nach Einsatz von Verstärkungskräften der Polizei mit Wasserwerfern eingedämmt werden konnte. Die Demonstrationsveranstalter und die Polizei haben die Großdemonstration in Rostock im Nachhinein als Ereignis gewertet, das den Verantwortlichen aus dem Ruder gelaufen ist. Die Polizei musste eingestehen, dass die Trennung von gewaltbereiten und friedlichen Demonstranten nicht gelang und die Versuche, Gewalttäter festzunehmen, vor den Augen der Öffentlichkeit weitgehend scheiterten. Die Organisationen, die die Großdemonstration veranstaltet hatten, räumten schon am Tag danach in seltener Offenheit ein, dass die Eskalation der Gewalt aus den Reihen der Demonstranten heraus begonnen hatte, dass einige Gruppen für die Veranstalter nicht erreichbar und integrierbar waren. Die ZDF-Berichterstattung hat schon am 2. Juni in allen aktuellen Sendungen und auch in der Sondersendung am 3. Juni die Botschaften der friedlichen Demonstration in erster Priorität, aber auch die gewalttätigen Ereignisse in der gebotenen Intensität dargestellt. Die Vertreter der Polizei kamen ebenso wie die Sprecher von ATTAC zu Wort, eine einseitige Fixierung auf Gewaltszenen ist im ZDF-Programm nicht nachzuweisen. Dennoch hatte die Berichterstattung über den gesamten G8-Komplex unter Reglementierungen und Pressionen zu leiden, die für Reporter und Kamerateams erhebliche Belastungen bedeuteten.

Die Arbeitsbedingungen vor allem in Heiligendamm waren aus Sicherheitsgründen stark eingeschränkt. Der Zugang zum Briefing-Center war nur über eine Sicherheitsschleuse im sieben Kilometer entfernten Kühlungsborn möglich. Unter »normalen« Verhältnissen hatten die Medienvertreter mit etwa zwei Stunden Transferzeit zu rechnen, während der Blockaden der Zugänge zur Sperrzone rund um Heiligendamm waren es für die Reporter und Kameraleute häufig bis zu sechs Stunden in Wartezonen ohne Recherche- und Arbeitsmöglichkeiten. Die Bewegungsfreiheit für Medienvertreter war innerhalb des Sperrzauns und vor allem innerhalb der Sperrzone Heiligendamm erheblich eingeschränkt. Teilweise wurde die Arbeitsmöglichkeit auch durch fehlende Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden erschwert. Nicht zuletzt war die Arbeit der Reporter nur im sehr isolierten Rahmen möglich, Kollegen wie Christian Sievers vom »ZDF-Morgenmagazin« oder Eberhard Piltz und Peter Frey standen oft Stunden auf den Aufsagerpositionen ohne Möglichkeiten zu umfassenderen Information. Interviews mit der Gastgeberin waren nur im Rahmen eines kleinen »Gemeinschaftsinterviews« von vier Reportern der großen deutschen Fernsehanstalten möglich. Eine kritische Aufarbeitung der Gipfelergebnisse konnte erst mit ausführlichen Interviews nach dem Ende des Gipfels am 8. Juni geleistet werden. Den meisten Berichterstattern blieben nur die spärlichen Informationen über das Gipfelgeschehen, die im Internationalen Pressezentrum in Kühlungsborn ankamen. Hinzu kamen die Übertragungen des »Weltbilds« des gemeinsamen NDR/ZDF-Pools, die zwar von hoher Qualität und außerordentlichem Umfang waren, die aber eine intensive eigene Filmberichterstattung nicht ersetzen konnten. Die Grenzen der Poolberichterstattung wurden in Heiligendamm deutlich, die berühmten »schönen Bilder« vom riesigen Strandkorb mit Staatschefs am Strand von Heiligendamm und die ritualisierten »Familienbilder« der G8-Mächtigen können die komplizierten, kontroversen und anspruchsvollen Inhalte und Diskussionen eines derartigen politischen Großereignisses nicht seriös transportieren. Die begründeten Sicherheitsanforderungen für ein Treffen der meistgefährdeten Politiker der Welt führen zu einer rigorosen Einschränkung der journalistischen Arbeit, auf die die Medien noch eine angemessene Antwort finden müssen, um eine umfassende Berichterstattung über alle Aspekte eines derartigen politischen Ereignisses sicherstellen zu können. Das ZDF hat darauf mit breiter Hintergrundberichterstattung, mit Reportagen und Berichten der Aus- und Inlandskorrespondenten zu den Gipfelthemen wie zum Klimaschutz oder zur Afrikapolitik reagiert, ganz auszugleichen sind die Einschränkungen während der eigentlichen Gipfeltage nicht.

Genau zu interpretieren ist aber auch eine besorgniserregende Entwicklung in der G8-Protestbewegung. Hier mussten alle Medienvertreter eine deutliche Gewaltbereitschaft von Demonstranten und Aktivisten auch gegenüber den Medien feststellen. Interviews mit Demonstranten in den Protestcamps waren meistens nur unter enger Beobachtung durch die Pressesprecher der Camps möglich, Interviewpartner wurden handverlesen, hinzu kam, dass journalistische Arbeit in den Camps und bei den dezentralen Protestaktionen vielfach nur in Anwesenheit vermummter Angehöriger des »Schwarzen Blocks« möglich war, was von den Medienvertretern als Einschüchterungsversuche empfunden wurde. Nach einem tätlichen Angriff auf einen ZDF-Mitarbeiter eines Übertragungswagens durch einen Vermummten am Camp in Reddelich wurde die Übertragungseinheit, die auch zur Steuerung des Poolhubschraubers diente, in einen geschützten Bereich zurückgezogen, die Berichterstattung aus den Protestcamps wurde auf das unbedingt notwendige Maß reduziert. Sämtliche Außenstandorte, auch die Außenstudios von ARD und ZDF in Kühlungsborn, wurden von Angehörigen der Protestbewegung observiert; so gelang es Demonstranten wiederholt, Sendungen der ARD und des NDR aus Kühlungsborn zu stören, die ZDF-Sendungen konnten störungsfrei realisiert werden.

Dennoch muss festgestellt werden, dass eine freie und uneingeschränkte Berichterstattung über die Anti-G8-Bewegung in diesen Tagen nicht möglich war. Die Pressesprecher der Protestorganisationen werden professioneller, die mediengerechten Inszenierungen von Aktionen sind unübersehbar, aber die repressiven Entwicklungen gegenüber den Medien machen gleichzeitig eine unaufgeregte, aufmerksame und seriöse Berichterstattung nicht einfach.

G8 in Heiligendamm 2007: eine große Kraftanstrengung von Redaktion, Produktion und Technik, die eine breite und umfassende Berichterstattung durch das ZDF ermöglicht hat. Viele Stunden Informationsprogramm sind aus Heiligendamm, Kühlungsborn, Wismar oder Rostock gesendet worden, mit enger Kooperation aller Beteiligten und hoher Professionalität. G8 und die Ergebnisse sind im ZDF-Programm umfangreich und kontrovers diskutiert worden, dennoch muss bei künftigen politischen Großereignissen dieser Art frühzeitig in die Planungen einbezogen werden, wie auf Beschränkungen, Restriktionen und Repressionen reagiert werden kann.
 
 
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