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2007  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Caroline von Senden
Elke Müller/
Klaus Bassiner
Heike Hempel
Annette Reisse
Volker Panzer
Nikolaus Brender
Martin Ordolff
Stefan Raue
Susanne Biedenkopf-Kürten
Udo van Kampen
Britta Hilpert
Guido Knopp
Heiner Gatzemeier
Maybrit Illner

Thomas Bellut, Programmdirektor

»Neues aus der Anstalt«
Politisches Kabarett – eine Erfolgsgeschichte

 
Thomas Bellut
Thomas Bellut


Urban Priol und Georg Schramm in der »Anstalt«
Urban Priol und Georg Schramm in der »Anstalt«


Urban Priol
Urban Priol


»Anstaltsleiter« Urban Priol
»Anstaltsleiter« Urban Priol


Georg Schramm und Frank Markus Barwasser
Georg Schramm und Frank Markus Barwasser
 

Lachen gehört zum Fernsehen unbedingt dazu. Die Zuschauer haben ein Anrecht darauf, sich beim Fernsehen auch gut zu amüsieren und unterhaltsam vom Alltag abgelenkt zu werden. Diese Programmfarbe mag in den Augen gerade des jungen Publikums nicht zu den Kernkompetenzen des ZDF zählen, aber wir haben durchaus eine Historie komischer Programme, die sich sehen lassen kann: vom »Verrückten Paar« über »Lukas« bis zu unzähligen Filmkomödien. Wie aber sieht die Bilanz aus, wenn es gilt, Komik mit einem speziellen Tiefgang zu koppeln? Politisches Kabarett hat in Deutschland ja eine große Tradition – anders als beispielsweise in den angelsächsischen Ländern, deren Humor oft als internationaler Maßstab hingestellt wird. Auch beim Kabarett hat das ZDF für die fernsehgerechte Umsetzung Wegweisendes geleistet. »Notizen aus der Provinz« war 1972 die erste regelmäßige Satiresendung im deutschen Fernsehen und verhalf ihrem Macher Dieter Hildebrandt endgültig zum Durchbruch. Über das umstrittene Aus der Sendung 1979 ist viel geschrieben worden; eine erneute Betrachtung würde den Rahmen dieses Artikels sprengen. Fest steht, dass es danach lange Jahre kein Kabarettprogramm im ZDF gab. Ab Anfang der 80er Jahre war dieses Feld die Domäne der ARD mit ihrem »Scheibenwischer« sowie einigen Sendungen in den dritten Programmen. Zu dieser gehobenen, eher gutbürgerlichen Form der Komik gesellte sich mit dem Erstarken der kommerziellen Sender auch immer mehr Comedy – mal gut, mal schlicht, teils bieder, teils tabubrechend; auf jeden Fall verschob der Wettbewerb im dualen System die Grenzen dessen, was im Fernsehen komisch darstellbar ist. Auf den Bühnen der Republik hatte das politische Kabarett immer sein Publikum gefunden, wobei die Comedywelle auch hier einen gewissen Anpassungsdruck erzeugt hatte. Für das ZDF war spätestens nach den politischen Diskussionen über Aufbruch versus Stillstand in Zeiten einer Großen Koalition der Punkt gekommen, an dem politisches Kabarett wieder ins Programm musste. Diese bissige Form der Komik brauchte ein zeitgemäßes Ventil.

Darum ging es uns von Anfang an: Es musste eine moderne Form für dieses traditionelle Genre gefunden werden. Etwas, was das ZDF auf Anhieb vom in die Jahre gekommenen »Scheibenwischer« unterschied. Angefangen beim Bühnenbild über die Dynamik der Inszenierung, die Kameraarbeit und die Regie. Die vorhersehbare Dramaturgie einer Abfolge von Solonummern sollte erweitert werden um einen roten Faden, der eine komische Interaktion der Künstler ermöglichte. Auch sollte es mehr Grenzgänger aus dem Bereich der Comedy geben, um die Ansprache auf jüngere Zuschauer auszuweiten. Es ging schlichtweg um die innovative Fähigkeit des ZDF, ein Genre neu zu definieren und Unterhaltung auf höchstem Qualitätsniveau zu bieten. Der Entwicklungsprozess hat gedauert, aber das Ergebnis kann sich auf jeden Fall sehen lassen. Seit Januar 2007 ist »Neues aus der Anstalt« auf dem Schirm, dienstags um 22.15 Uhr, live zur besten Sendezeit, zehn Mal pro Jahr.

Urban Priol und Georg Schramm begeben sich auf eine satirische Visite: Beide Kabarettisten, herausragende Vertreter ihrer Zunft, betrachten die nationale und internationale Politik aus dem Foyer einer psychiatrischen Tagesklinik. Hier wird in einem Zustand zwischen politischer und psychischer Verstörtheit über den Zustand des Landes und seiner Mächtigen gewettert, geklagt, gelacht, hier werden die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse des Monats bissig aufs Korn genommen. Dabei sind die Figuren bewusst gegensätzlich gewählt, um komische Spannung zu erzeugen: der dynamische, leicht erregbare Urban Priol, der weder Kalauer noch Parodie scheut, und der scharfe Analytiker und ausgebildete Psychologe Georg Schramm, der für mitunter schmerzliche Erkenntnisse zuständig ist. Die beachtliche Bühnenpräsenz Priols als »Anstaltsleiter« ist sicherlich auch dem Umstand zu verdanken, dass er jahrelang bei 3sat abseits der ganz großen Aufmerksamkeit seine Fähigkeiten entwickeln konnte – ein Beispiel für gelungene Talentförderung in der ZDF-Senderfamilie. Neben den beiden Protagonisten sind in »Neues aus der Anstalt« drei bis fünf Kabarettisten und Comedians – sowohl junge als auch erfahrene – zu einem therapeutischen Kurzaufenthalt zu Gast. In Solobeiträgen, aber auch in gemeinsamen Dialogen und Szenen, verarbeiten sie die Lage der Nation in einem heilsamen und heiteren Prozess. Die Mischung macht die einzelne Sendung aus – grundlegend ist der unbedingte Qualitätsanspruch, der sich auch in der redaktionellen Betreuung und den umfangreichen Proben widerspiegelt.

Dass »Neues aus der Anstalt« frischen Wind in die Kabarettszene gebracht hat, haben viele registriert. Zuallererst das Publikum: Im Schnitt 2,8 Millionen Menschen haben die bisher acht Ausgaben gesehen und das Format somit auf Anhieb zum zuschauerstärksten des Genres gemacht. Auch die Presse hat sehr schnell die Qualitäten der Sendung erkannt und entsprechend gewürdigt – unabhängig von der politischen Ausrichtung. Einige hätten dem »guten alten« ZDF so etwas wohl kaum zugetraut, inklusive der hohen Dosen von Selbstironie: der doppeldeutige Titel, Dieter Hildebrandt als Stargast der Premiere, die Reduzierung der Volksmusiksendungen als Thema. Auch Mitglieder der ZDF-Gremien wurden bereits wiederholt zu Zielscheiben des satirischen Spotts. Dass dies keine erbitterten Auseinandersetzungen nach sich zog, ist auch ein Beleg dafür, wie sich die Zeiten seit »Notizen aus der Provinz« gewandelt haben. In der Kabarett-Branche ist »Neues aus der Anstalt« ebenfalls anerkannt; einer Einladung folgen die Künstler gerne oder bemühen sich sogar aktiv darum. Und auch ein »offizielles Qualitätssiegel« kann das Format bereits vorweisen: Nach nur sieben Ausgaben wurde Priol und Schramm sowie dem ganzen Team der Deutsche Fernsehpreis 2007 in der Sparte Beste Comedy verliehen. Ehre, wem Ehre gebührt.

Damit diese unzweifelhafte Erfolgsgeschichte weitergehen kann, ist intensive und kreative Arbeit aller Beteiligten erforderlich. Im Bereich komischer Unterhaltung wechseln sich Trends sehr schnell ab. Gerade weil vor allem die nicht beeinflussbare Realität vor den Anstaltstoren die thematischen Anregungen liefert, muss formal weiter experimentiert werden.

Beispielsweise ist die Akzeptanz beim jungen Publikum noch nicht da, wo wir sie gerne sähen. Die Gäste dürfen daher ruhig noch ein paar Grad schräger sein. Das spielerische Miteinander abseits etablierter Nummern kann noch gesteigert werden. Auch die fernsehspezifische Videowand kann aus ihrem Schattendasein noch deutlicher heraus. Unter solchen Modifikationen werden der Witz und die Bissigkeit mit Sicherheit nicht leiden. Da seien schon Priol und Schramm vor.
 
 
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