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Nikolaus Brender, Chefredakteur

Tour de France 2007: Doping ohne Ende?

 
Nikolaus Brender
Nikolaus Brender
 

Mittwoch, 18. Juli 2007, 10.53 Uhr, dpa-Eilmeldung: »T-Mobile-Fahrer Patrik Sinkewitz ist bei einer Trainingskontrolle am 8. Juni positiv auf Doping getestet worden. Dies gab der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) bekannt.« Diese knappen Zeilen waren – so lässt sich im Rückblick feststellen – der Anfang vom Ende unserer Liveberichterstattung von der Tour de France 2007. Einige Telefonate und zwei Stunden später stand fest: Wir steigen vom Rad, ZDF und ARD verabschieden sich von der Liveberichterstattung von der Tour. Ein einmaliger Vorgang: ein Sender-Rücktritt von der Übertragung eines laufenden Sport-Großereignisses.

Eigentlich hatten wir – wie viele andere auch – auf einen echten Neuanfang im Radsport gehofft. Nach unseren intensiven Gesprächen mit Verbänden, den deutschen Profimannschaften und dem Veranstalter hatten wir uns zunächst entschlossen, umfangreich von der Tour de France zu berichten, um den einsetzenden Selbstreinigungsprozess zu unterstützen. Unsere Bedingungen für die langen Livestrecken hatten wir dabei immer klar benannt: Wir haben einen Vertrag für die Übertragung eines sportlichen Wettkampfs abgeschlossen und keinen Vertrag über eine »Pharmaleistungsschau«.

Alle Beteiligten – Fahrer, Betreuer, Rennställe, Verbände und Veranstalter – müssen gewillt und in der Lage sein, den Dopingsumpf trocken zu legen, unter anderem mit einem umfassenden und funktionierenden Kontroll- und Sanktions-system. Die Bereitschaft zur Veränderung und Aufklärung war bei allen Gesprächen deutlich zu spüren. Für unsere anfängliche Haltung, an der Übertragung festzuhalten, sind wir von vielen Seiten kritisiert worden. Wir hatten uns aber einen Ausstieg vorbehalten, sollten wir erkennen, dass sich trotz der Zusagen System und Einstellungen der Beteiligten nicht geändert haben.

Erste Zweifel daran gab es schon in der ersten Tour-Woche: Die Kollegen der Sportredaktion konnten aufdecken, dass das Kontrollsystem nach den jeweiligen Etappen gar nicht den Richtlinien der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) entsprach: Mehrere zur Dopingkontrolle bestimmte Fahrer kamen zum Teil erst mit erheblicher Verspätung und ohne die vorgeschriebenen offiziellen Begleiter zu den Kontrollstellen. Die ständige Beaufsichtigung der Fahrer nach den Etappen – das sogenannte »Chaperon«-System – wurde erst nach Aufdeckung der Defizite durch das ZDF eingeführt. Ein schwerer Schlag für alle, die vollmundig einen Neuanfang versprochen hatten.

Der Fall Sinkewitz war dann der aktuelle Anlass für unseren Ausstieg. Nach allen Diskussionen vor und während des Rennens mussten wir hier konsequent bleiben und handeln. Die angeblich so vorbildlichen internen Kontrollen beim Team T-Mobile hatten nicht gegriffen, der als »sauber« vermarktete Jung-Profi Sinkewitz war genauso gedopt wie seine alten Kollegen. Und schließlich hatte es sechs Wochen gedauert, bis das Testergebnis veröffentlicht wurde – auch das nährte Zweifel am Erfolg des Dopingkontrollsystems und sprach Bände über die keineswegs verbesserte Zusammenarbeit von Rennställen, Verbänden und Veranstaltern. Später stellte sich noch heraus, dass Sinkewitz bereits seit Mai 2007 unter Dopingverdacht stand. Von einem Neustart konnte also endgültig nicht mehr die Rede sein.

Jeder weitere Tour-Tag bestätigte unsere Entscheidung: Der Ex-Telekom-Profi Alexander Winokurow wurde des Dopings überführt und sein Team Astana reiste ab. Ebenso wurde der Italiener Cristian Moreni erwischt, auch sein Team verabschiedete sich. Auf Druck seines Team-Sponsors wurde der Däne Michael Rasmussen suspendiert und musste das Gelbe Trikot abgeben. Das streifte sich dann der umstrittene Spanier Alberto Contador über, der sich in Paris als Sieger feiern ließ. Wie sauber seine Leistung wirklich war, wurde heftig diskutiert.

Um die Kosten zu senken, packte das Tour-de-France-Team des ZDF in Frankreich nach der Ausstiegsentscheidung die Koffer. Über die European Broadcasting Union gaben wir die Liverechte frei – Sat.1 griff zu und ging am 19. Juli mit der Tour auf Sendung. Dazu nur so viel: Der erhoffte Quoten- und Image-Erfolg war das sicher nicht. Das ZDF setzte – mit verkleinerter Mannschaft vor Ort – die kritische Berichterstattung über die sportlichen und nichtsportlichen Ereignisse rund um die Tour de France fort.

Das Presse-Echo auf den Ausstieg war beeindruckend. Die, die es schon immer besser gewusst hatten, sahen sich natürlich bestätigt. Andere widersprachen sich ganz offensichtlich: Erst hatten sie ARD/ZDF für die Liveübertragung kritisiert, dann warfen sie den öffentlich-rechtlichen Anstalten eine Bevormundung der Zuschauer vor. Inte­ressant waren die Reaktionen der ausländischen Presse: Das anfängliche Unverständnis hinsichtlich der »überzogenen« Reaktion der deutschen öffentlich-rechtlichen Sender wich der Erkenntnis, dass man die Augen vor der Dopingproblematik nicht mehr verschließen dürfe. Die Zuschauerredaktion wurde regelrecht bestürmt: Insgesamt gingen über 6 000 Reaktionen von Zuschauern ein! Aber auch hier gab es einen Stimmungswandel: Einige, die zunächst sehr verärgert waren, revidierten nach den weiteren Dopingmeldungen ihre ursprüngliche Meinung.

Konsequenz forderten auch die Vorgänge um die Rad-WM in Stuttgart. Nach dem Gezerre um Ehrenerklärung, einstweilige Verfügung, Start oder Nichtstart zwischen der Stadt Stuttgart, der Internationalen Radsport-Union und dem Bund Deutscher Radfahrer haben wir unsere Liveberichterstattung stark eingeschränkt. Bei der letzten Entscheidung im Männer-Straßenrennen haben wir ganz auf Livebilder verzichtet und nur eine Zusammenfassung gezeigt. Die Ereignisse um die Rad-WM hatten mit vielem zu tun, aber nicht mit Sport. Mit dem Ausstieg aus der Liveberichterstattung über die Tour de France haben wir klargemacht, dass wir an der Seite des Radsports stehen. Wenn er sich selbst reinigt. Da dies bislang nicht ausreichend geschehen ist, mussten wir so handeln.

In Zukunft werden wir ebenso konsequent bleiben. Mit unserem Handeln ist auch für andere Sportarten ein Signal gesetzt worden: Das ZDF will einen fairen und sauberen Sport. Deshalb werden wir genau beobachten, welche Anti-Doping-Maßnahmen die unterschiedlichen Sportverbände mit Blick auf die Olympischen Spiele in Peking 2008 umsetzen. Hier werden wir genau prüfen und je nach Einzelfall und Sportart entscheiden. Auch wenn wir realistisch feststellen müssen, dass es immer wieder Dopingfälle geben wird: Systematischen Betrug aber können und wollen wir nicht unterstützen. Dies sind wir unseren Zuschauern und Gebührenzahlern schuldig.
 
 
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