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2007  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
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Nikolaus Brender
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Britta Hilpert
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Britta Hilpert, Leiterin des Studios Moskau

Pressefreiheit in Russland

 
Britta Hilpert
Britta Hilpert
 

Wir Moskauer Korrespondenten werden oft gefragt: »Ist es nicht gefährlich, in Russland zu arbeiten?«. Denn im Ranking von Reporter ohne Grenzen steht Russland inzwischen auf Platz 147 – hinter Zimbabwe und Sudan. 21 Journalisten kamen seit dem Jahr 2000 um, also seit Beginn der Amtszeit von Präsident Putin, drei allein im letzten Jahr. Ein trauriger Hinterbänklerplatz, der vor allem von der Lebensgefahr zeugt, die unseren russischen Kollegen droht. Sie kommen auf rätselhafte Weise um, durch Gift oder »Autounfälle«, oder ihnen lauert ein bezahlter Auftragskiller vor der eigenen Haustür auf und erschießt sie. Sie sind aber auch diejenigen, die in den Krisengebieten des Kaukasus ihr Leben riskieren, wie Inguschetien und Dagestan, die inzwischen gefährlicher sind als Tschetschenien, und in die wir selten fahren, weil in den Heimatredaktionen für »einen weiteren« Kaukasuskonflikt wenig Inte­resse besteht.

Die Arbeit von unabhängigen Journalisten wird von der Obrigkeit nicht geschätzt. Keine Beweise gibt es dafür, dass »ganz oben« eine aktive Rolle bei der Bedrohung oder gar der Ermordung von Journalisten spielt. Sicher ist aber, dass der Schutz der unabhängigen journalistischen Arbeit alles andere als eine staatliche Priorität ist. Seinen allerhöchsten Ausdruck fand diese Prioritätensetzung, als Präsident Putin den Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja mit den Worten kommentierte, ihr Tod habe dem Ruf Russlands mehr geschadet als alle ihre Artikel. Folgerichtig ist es da aus Kreml-Sicht, dass die russische Staatsanwaltschaft den Mord an dieser mutigen Journalistin den »Feinden Russlands« anhängen will, die »im Exil leben«, ohne dafür stichhaltige Beweise liefern zu können. Die Arbeit der Journalistin eine Plage, ihr Tod eine Rufmordkampagne – zynischer kann man mit unabhängigem Journalismus nicht umgehen.

In diesem Klima haben nur noch wenige russische Journalisten den Mut, kritisch und unabhängig zu berichten. Es gibt keinen offiziell bestellten Zensor in Russland – aber der Obrigkeit ist es gelungen, eine Art innere Zensur zu errichten: Wer eine gewisse Grenze überschreitet, muss mit Problemen rechnen: Maulkorb, Entlassung oder körperliche Bedrohung, ausgesprochen oder wortlos vermittelt von der Redaktionsleitung oder dem Eigner des Blattes oder des Senders. Die Chefredakteure der großen Medien stehen »im steten Kontakt« mit dem Kreml und wissen so, was genehm ist und welche Linie verfolgt wird. Die Medienstruktur in Russland begünstigt das Klima: Die großen Fernsehsender sind inzwischen alle staatlich oder in den Händen kremlnaher Medienkonzerne (beispielsweise gehört NTV der Gasprom-Media), für die meisten überregionalen und regionalen Zeitungen und Radiosender gilt Ähnliches.

Auch wir Auslandskorrespondenten bekommen die ablehnende Grundhaltung der Machthaber immer stärker zu spüren, manchmal sogar ganz handfest. Unser Kamerateam wurde bei einer Oppositionsdemonstration im April 2007 festgenommen, ohne Grund und ohne Erklärung. Die Kollegen waren klar als Presse zu erkennen, konnten sich ausweisen und waren akkreditiert. Doch zu keinem Zeitpunkt erklärte man ihnen, aus welchem Grund man gerade sie vom Gehsteig in einen Bus zerrte und dann fast zwei Stunden festhielt.

Und dabei erging es ihnen ja noch vergleichsweise gut – der Kollege von der ARD musste am nächsten Tag bei einer ähnlichen Oppositionsdemonstration sogar Prügel einstecken. Auch schreibende Kollegen berichten von Prügeln, wie zum Beispiel am Rande der Demonstrationen von Samara im Mai.

Da es aber nicht gelingt, uns einzuschüchtern und zu gängeln, versucht man zunehmend, uns zu kontrollieren. Seit kurzem müssen wir uns stets bei der Polizei abmelden, wenn wir Moskau für länger als drei Tage verlassen wollen. Am Ankunftsort müssen wir uns natürlich entsprechend anmelden. Bei Nichterfüllung droht eine empfindliche Geldstrafe.

Immer öfter müssen wir den Geheimdienst FSB um Drehgenehmigung bitten, denn die Liste der »strategischen Objekte und Orte«, die dieser Genehmigung bedürfen, wird immer länger. Selbstverständlich gilt die Auflage für militärische Einrichtungen, für Flughäfen, Häfen, allerdings auch im zivilen Bereich. Sie gilt aber auch für immer mehr industrielle Komplexe, insbesondere im Gas- und Ölbereich, und sie gilt entlang der Grenze 30 Kilometer ins Inland. Deswegen ist zum Beispiel in Kaliningrad ein Drehgeschäft ohne Genehmigung des FSB fast nicht mehr möglich.

Diese Genehmigung beinhaltet natürlich, dass man genau auflistet, was man drehen will und mit wem man spricht. Praktisch unmöglich ist für Fernsehteams eine unabhängige Reise nach Tschetschenien. Dort kann man immer noch nicht ohne Sonderakkreditierung und ohne staatliche Begleitung einreisen, obwohl dort doch angeblich der Frieden ausgebrochen ist.

Typisch sind die Art von Behinderungen, die angeblich auf eine Kette unglücklicher Zufälle zurückgehen, aber der Obrigkeit zu genehm kommen, als dass man an »Zufall« glauben mag: Mein Kollege Roland Strumpf reiste zum Beispiel zur Amtseinführung des neuen tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow nach Grosny. Der Sohn des vor dreieinhalb Jahren ermordeten Präsidenten Achmat Kadyrow steht schon lange in der Kritik der internationalen Presse wegen der brutalen Art, mit der er seine Macht in der Republik durchsetzt. Das Außenministerium organisierte die Reise und garantierte eine Rückkehr am Nachmittag – eine Produktion des Berichts vor Ort sei angeblich nicht möglich (dabei hat Grosny einen Abspielort, der von den russischen TV-Sendern sehr wohl benutzt wird). Sofort nach der Amtseinführung hatte sich das ZDF-Team am Flughafen einzufinden. Von weiteren, nicht organisierten Dreharbeiten wurde dringend abgeraten, mit dem Hinweis, das ZDF wünsche doch keine Probleme mit seinen Akkreditierungen. Letztlich kam der ganze Bericht nicht zustande, denn das Flugzeug flog erst ab, als sowohl für das Fernsehen als auch für die Zeitungen die Deadline verstrichen war.

Typisch sind auch Probleme mit der Bürokratie, deren Zusammenhang mit der journalistischen Arbeit schwer beweisbar ist. Als ein amerikanischer Sender einen Bericht über Tschetschenien zeigte, in dem Ausschnitte eines Interviews mit dem tschetschenischen Terroristen und Rebellenführer Bassajew verwendet wurden, empörte sich der Kreml ganz allgemein über Auslandskorrespondenten, die einem Terroristen ein Forum geben. Kurz darauf erfuhren wir von einer Neuregelung der Zollgesetze. Jedes Jahr sollten wir danach unser gesamtes eingeführtes Equipment beim Zoll vorzeigen: nicht nur die transportablen Kameras, sondern auch die Schnitträume und Computertürme. Wir wären tage-, vielleicht sogar wochenlang sendeunfähig gewesen, wenn wir Avid und Co. hätten ausbauen müssen. Dieses Schicksal blieb uns erst nach Intervention »ganz oben«, auf politischer Ebene, erspart.

Das neue russische Selbstbewusstsein und die Furcht vor »Versuchen der westlichen Einflussnahme« hat für ausländische Korrespondenten in der täglichen Arbeit also diese konkreten Folgen: Man reagiert immer empfindlicher auf »unfreundliche Berichterstattung«, die bürokratischen Hürden werden immer zahlreicher und höher, und man kann leider auch nicht mehr darauf zählen, als Ausländer tabu für Handgreiflichkeiten der Vertreter der Sicherheitsorgane zu sein.

Aber damit nehmen wir in der russischen Mediengemeinde immer noch eine vergleichsweise privilegierte und unabhängige Position ein.
 
 
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