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2007  
ZDF Jahrbuch
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Susanne Biedenkopf-Kürten, Redaktionsleiterin »heute – in Europa«

Europa – was geht mich das an?

 
Susanne Biedenkopf-Kürten
Susanne Biedenkopf-Kürten


Kristina Hansen und Peter Kunz, das erste Moderatorenteam von »heute – in Europa«
Kristina Hansen und Peter Kunz, das erste Moderatorenteam von »heute – in Europa«


Andreas Klinner
Andreas Klinner
 

Es ist schon manchmal mühsam, das europäische Geschäft. Kaum waren im März die Geburtstagskuchen für Europa verspeist, die Tinte auf der Berliner Erklärung getrocknet, da verdrängten auch schon wieder Nörgelei und nationaler Kleinmut den festlichen Geist, der für einige Tage den europäischen Alltag durchweht hatte. Da gibt es den Streit im Energiesektor und um eine gemeinsame Verteidigungspolitik, die Diskussion um Marktwirtschaft und Kontrolle und immer wieder die Frage, ob und wie der Vereinigungsprozess weitergehen soll und was man in der Europäischen Union gemeinsam tun und lassen will oder kann. Es lässt sich leicht meckern über Europa – aber erinnert die Europäische Union damit nicht an die meisten Haushalte? Man sieht immer nur das, was nicht erledigt und nicht das, was alles bewältigt wurde. Das Erreichte ist schnell selbstverständlich – nicht mehr der Rede wert. Europa ist besser als sein Ruf.

Allein der Blick in die Geschichte unseres Europamagazins – immer noch das einzige seiner Art auf dem europäischen Kontinent – macht deutlich, wie sehr sich Europa allein in den vergangenen acht Jahren geändert hat, was geplant, angekündigt, umgesetzt wurde. Als sich die Geschäftsleitung des ZDF im Frühjahr 1999 entschloss, »heute – in Europa« ins Nachmittagsprogramm zu nehmen, stand Europa am Anfang einer beispiellosen Konkretisierung seiner Politik. Der Euro war in weiter Ferne, die Erweiterung für Viele ein Wolkenschloss. Viele Journalisten – mich selbst eingeschlossen – hatten einen engen, abstrakten und auf die Welt der Brüsseler Institutionen beschränkten Europabegriff. Brüssel war so weit weg, dass die Meisten nicht einmal darüber meckern konnten. So trug das Projekt eines täglichen Europamagazins für Viele Merkmale eines Albtraums. »Was wollt Ihr denn da jeden Tag senden?«, so die häufige Frage von ratlosen Kollegen und anderen Fernsehkonsumenten. »Erklärstücke zum Kohäsionsfonds oder zu Absatz 10 der neuen Chemierichtlinie? Brüssel – Europa, das ist doch der Abschalter!«. Diese Binsenweisheit war wenig hilfreich.

Und so stellten wir ins Zentrum unserer Berichterstattung die Frage, die wir ständig hörten: »Was geht mich Europa an?«. Wir definierten Europa nicht als Welt der Brüsseler Institutionen, sondern als einen gemeinsamen Lebensraum, der von der Kultur und Vielfalt seiner Bewohner inspiriert ist. Wir gingen auf Entdeckungsreise, nahmen uns die Zeit, die Spielräume zu erkunden, die uns der geografische Begriff Europa von Portugal bis Russland eröffnet. Der Fall des Eisernen Vorhangs hatte uns alle wieder zu geografischen Anfängern gemacht. Reisen bildet – wir fuhren mit dem Zug die neue Verbindung von London nach Kiew, 42 Stunden, zwei Mal umsteigen und staunten – auch über die eigenen Vorurteile.

Wir entdeckten – und entdecken bis heute – Eu­ropa, indem wir über die Grenzen schauten. Was regt unsere Nachbarn auf und was beglückt sie – was ist ihnen die Erziehung ihrer Kinder wert? Wie arbeiten Mütter in Frankreich oder Belgien und warum wird an Schwedens Schulen schon seit Jahren das Fach Aktienkunde gelehrt, und warum investieren Finnlands Hausfrauen in die Umwelt? Mit den Jahren wurde der Vergleich, der Blick über den eigenen Tellerrand zu einem der wichtigsten Elemente unserer Berichterstattung über Europa. Wie gehen unsere Nachbarn mit den Problemen um, die sie genauso betreffen wie uns? Warum kriegen die Franzosen plötzlich wieder mehr Kinder, die katholischen Italiener aber nicht? Was können wir von den Holländern in Sachen Rente lernen und wie hält es der Schwede mit dem Kombilohn? Was heißt Integration in Irland oder in Spanien? Wir sitzen alle in einem Boot, oder besser gesagt, auf einem Kontinent – bei immer mehr Themen lässt sich das darstellen: beim Kollaps der Sozialsysteme, der Suche nach den richtigen Ausbildungsmodellen für die Wissensgesellschaft – oder der Verlagerung von Arbeitsplätzen in- und außerhalb des Binnenmarkts. Überall in Europa gibt es ähnliche Probleme und manchmal ganz unterschiedliche Lösungsansätze. Am Anfang fürchteten wir noch die Langeweile, heute haben wir häufig die Qual der Wahl. Europäische Visionen sind Wirklichkeit geworden, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Der Euro, die Osterweiterung haben unser Leben sehr konkret verändert. Und wo es konkret wird, so die Erfahrung der letzten Jahre, bleibt auch der Zuschauer am Ball.

Europa ist ein Verbund unterschiedlicher Wahrnehmungen – nur, wer diese zu begreifen versucht, wird sie auch verstehen können. Die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Anforderungen an ein europäisches Sozialsystem, die unterschiedlichen Vorstellungen von Marktwirtschaft oder die so anderen, historisch gewachsenen Beziehungen zu den Nachbarn in Ost und West. Die Unterschiede zu sehen, hilft zu begreifen, warum es häufig so schwierig ist, in einer Europäischen Union der 27 Nationen eine einheitliche europäische Linie zu finden. Vielleicht braucht Europa auch manchmal einfach ein bisschen mehr Gelassenheit.

Zuschauerbefragungen zu »heute – in Europa« haben gezeigt, dass sich das Europaverständnis unserer Zuschauer verändert hat. Sie erleben Europa nicht mehr allein als überreguliertes, bürgerfernes Raumschiff, sondern auch als einen dynamischen Kontinent, dessen Zusammenwachsen historisch einmalig und von neuen Chancen, aber auch vielen Risiken begleitet ist. Das Interesse an Europa wächst. In einer Umfrage der Europäischen Kommission mit 25 000 Europäern halten 66,4 Prozent der Befragten Informationen zur Europäischen Union in den Medien für interessant – bemängeln aber die Informationen als unzureichend, wünschen sich also noch mehr Europa in den Medien.

Der Prozess der europäischen Integration hat mit der Osterweiterung eine neue, konkrete Qualität erreicht, die die Europäer im doppelten Sinne des Wortes betrifft. Ob es der Gemeinschaft auf der Grundlage der »Berliner Erklärung« und der Verabschiedung eines Verfassungsvertrags gelingen wird, den Reformprozess wieder anzuschieben, damit die Zukunftsfähigkeit der Europäischen Union glaubwürdig zu machen und auch die Europäerinnen und Europäer für diesen Prozess zu gewinnen, werden die kommenden Monate zeigen. Die europäische Integration ist kein zeitlich begrenztes Ziel, sondern ein offener Prozess, eine unendliche Geschichte. Dieser Prozess kann Irrtümer enthalten – birgt aber auch die historisch einmalige Chance, sie zu korrigieren. Das ZDF wird auch in den kommenden Jahren diesen Prozess kontinuierlich und selbstverständlich begleiten und in seinen vielen Facetten beleuchten – immer mit der Frage im Hinterkopf, die uns von Anfang an begleitete: »Europa, was geht mich das an?«.
 
 
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