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2007  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Caroline von Senden
Elke Müller/
Klaus Bassiner
Heike Hempel
Annette Reisse
Volker Panzer
Nikolaus Brender
Martin Ordolff
Stefan Raue
Susanne Biedenkopf-Kürten
Udo van Kampen
Britta Hilpert
Guido Knopp
Heiner Gatzemeier
Maybrit Illner

Udo van Kampen, Leiter des Studios Brüssel

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und deren Umsetzung im Fernsehen

 
Udo van Kampen
Udo van Kampen


Bundeskanzlerin Angela Merkel (Mitte) zwischen Hans-Gert Pöttering (links) und José Manuel Barroso
Bundeskanzlerin Angela Merkel (Mitte) zwischen Hans-Gert Pöttering (links) und José Manuel Barroso
 

Jeder möchte gerne erfolgreich sein. Da geht es Staats- und Regierungschefs und deren Ministern nicht anders als uns Journalisten und auch jedem Bürger.

Wie für die Politiker, ging auch bei uns in Brüssel die Vorbereitung weit vor dem 1. Januar 2007 los. Aus Hunderten Thesen- und Absichtspapieren filterten wir das heraus, was Europa sich für seine Bürger auf die Fahnen geschrieben hatte. Gemeinsam mit den Mainzer Redaktionen wurden Themenschwerpunkte gesetzt, wieder verworfen und neue gefunden, eng in Zusammenarbeit mit der Zentrale.

Hat man als Brüsseler Korrespondent manchmal Schwierigkeiten, uns ach so interessant erscheinende Themen unterzubringen, konnten wir uns plötzlich vor Anfragen und Anregungen nicht mehr retten. Bereits in der Vorwoche des Präsidentschaftsjahres liefen unsere Stücke über Energie, Verfassung, Entbürokratisierung, Rechtssicherheit für Bürger – über all die Themen, in denen die Deutschen unbedingt eine Lösung herbeizaubern wollten.

Und so begann das Jahr am 1. Januar mit Ereignissen, die lange vor der Präsidentschaft entschieden waren: dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zur EU, Sloweniens zum Euro und der Wahl von Hans Gert Pöttering zum Präsidenten des Europäischen Parlaments. Überall waren ZDF-Korrespondenten mit dabei.

Am Ende im Juni sah man in Brüssel nur strahlende Gesichter. Die Spaltung Europas wurde in letzter Minute abgewendet. Die mehr als zweijährige Lähmung der EU überwunden. Das halbe Jahr der deutschen EU-Ratspräsidentschaft war für die Bundesregierung und Kanzlerin Angela Merkel ein großer Erfolg. Nichts anderes hatte das Ausland von den Deutschen erwartet – doch selten stand eine Präsidentschaft unter so hohem Druck.

Und was ist da schon eine durchwachte Nacht mit voller Produktion am nächsten Tag gegen so geschichtsprägende Verhandlungen. Am Ende fieberte jeder Journalist, Kameramann, Tontechniker und Cutter um den Inhalt der Sendeminuten, die wir alle gemeinsam zu füllen hatten.

Doch kaum waren nach Ende des dramatischen Verfassungsgipfels in Brüssel die Kameras abgeschaltet, wurde aus Rom und Warschau Unmut kolportiert. Ganz offen sagte der italienische Regierungschef Romano Prodi, noch nie habe er in so schmerzhafter Klarheit gesehen, dass es zwei Europas gebe – eines, das an die weitere Integration glaube und das andere, das die nationale Politik wiederbeleben möchte. Dieses andere Europa meldete sich prompt aus Warschau. Kein Wort von Integration – Regierungschef Jaroslaw Kaczyński forderte weitere Zugeständnisse und weigerte sich, die Charta der Grundrechte zu unterschreiben. Das sind nur zwei Unwägbarkeiten, die an der Ratifizierung des Reformvertrags wieder Zweifel aufkommen lassen. So scheint es fraglich, ob »Europa zu neuer gemeinsamer Kraft« zurückfinden kann.

Außerordentlich das Zusammenspiel aller ZDF-Redaktionen bei den Feierlichkeiten zu 50 Jahren Römische Verträge in Berlin. Bereits zwei Wochen vorher konnte man in fast jeder Sendung sehen, was sich die Deutschen von Europa wünschen und wie wichtig es ist, dass Brüssel für jeden verständlich arbeitet. Eine Sondersendung nach der anderen aus Berlin, und bei »Berlin direkt« sogar mit der Bundeskanzlerin – beobachtet nicht nur an den Bildschirmen, sondern von Hunderten Schaulustigen am Gläsernen ZDF-Studio neben dem Hotel Adlon in Berlin.

Und es war nicht nur die volksnahe Rede der Bundeskanzlerin, nicht nur die Berliner Erklärung, die mit den Worten begann: »Wir Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, wir sind zu unserem Glück vereint«, nicht nur das Volksfest unter dem Brandenburger Tor, sondern auch die klare Absichtserklärung der Präsidentschaft, den Reformvertrag bis 2009 in Kraft zu haben, die diese Tage unvergesslich machen. Doch es wäre unfair, die Bilanz der deutschen Ratspräsidentschaft allein an dem Reformvertrag bewerten zu wollen.

Unter Angela Merkels Führung wurden gewaltige Fortschritte in der Klima- und Energiepolitik erzielt. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU ist dieses Politikfeld überhaupt Bestandteil des Vertragswerks. Auf dem Frühjahrsgipfel haben sich die Staats- und Regierungschefs erstmals auf die »20-2020«-Regel verpflichtet. Das heißt: 20 Prozent Energieeinsparung, 20 Prozent erneuerbare Energien und 20 Prozent weniger CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2020. Und auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm konnten erstmals auch die wichtigsten Industriestaaten – vor allem die USA und China mit ins Boot geholt werden. Nimmt man den EU-Gipfel und das G8-Treffen zusammen, dann darf die Kanzlerin den Einstieg in den Klimaschutz mit Recht als großen politischen Erfolg feiern. Dass die UN ihren zweiten Klimabericht ausgerechnet in Brüssel diskutierte, war kein Zufall – denn niemals vorher stand der Klimaschutz so sehr im Mittelpunkt des europäischen Interesses.

Für unsere Beiträge standen wir immer wieder vor der Frage, wie ist das, was man sich in Brüssel da vornehmen will, auch innenpolitisch umzusetzen – welche Einschnitte und welche Zugeständnisse erwartet man von der Energiewirtschaft, der Industrie und jedem einzelnen Bürger? Fieberhaft suchten wir europaweit die richtigen Beispiele.

Es liegt in der Natur der Brüsseler Sache, dass Präsidentschaften auch Erfolge einfahren können, die von anderen Präsidentschaften lange vorbereitet wurden. So gelangen in der Innen- und Rechtspolitik große Fortschritte. Die Strafverfolgungsbehörden haben nun gegenseitigen Zugriff auf die Datenbanken in Europa, und kurz vor Ende der Präsidentschaft gelang noch eine Einigung mit den US-Behörden über die Weitergabe europäischer Fluggast- und Finanzdaten an die Amerikaner. Das Luftverkehrsabkommen mit den USA macht den Weg frei für mehr Wettbewerb bei Transatlantikverbindungen. Künftig können Flugzeuge von jedem Flughafen der EU Richtung USA starten, egal, wo ihre Heimatbasis ist.

Auch in der Verbraucherpolitik gab es Erfolge zu verzeichnen. Mit der neuen Verbraucherkredit-Richtlinie wird europaweit ein echter Angebotsvergleich bei Krediten möglich sein. Der effektive Jahreszins eines Kredits wird nach einheitlichen Maßstäben berechnet; außerdem unterliegen Anbieter einheitlichen Transparenzregeln.

Auch das Telefonieren mit dem Handy außerhalb des eigenen Netzes in anderen Ländern wird erheblich preiswerter: Die Anbieter mussten ihre Roaming-Gebühren deutlich senken. Weil es um das Wohl der Verbraucher ging und die EU dringend einen populären Erfolg brauchte, wurden marktliberale Einwände gegen einen staatlichen Eingriff in die Preishoheit der Unternehmen zurückgestellt.

Doch nicht nur über die Erfolge, auch über die Misserfolge hat das ZDF berichtet. Weniger Fortune hatte die deutsche Ratspräsidentschaft beim Satelliten- und Navigationssystem Galileo, das Europas Wirtschaft und jeden Autofahrer vom amerikanischen GPS-System unabhängig machen sollte. Nach dem spektakulären Ausstieg der Industrie hängt das Projekt in der Luft und ist wohl nur noch durch Milliarden aus dem Gemeinschaftshaushalt zu retten.

Und auch ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland wird es vorerst nicht geben. Der EU-Russlandgipfel Mitte Mai in Samara ließ keine lockere Ferienstimmung aufkommen. Die Ratspräsidentin geißelte öffentlich das Demonstrationsverbot. Stand bis ins letzte Glied hinter den Polen, deren Fleischimporte das wichtigste Hindernis einer neuen Regelung schienen. Das Verhältnis zu Russland in der Menschenrechtsfrage wie in der Energiepolitik wird die größte Herausforderung der EU für die kommenden Jahre sein.

Und bei den Betriebsrenten und der Angleichung des europäischen Scheidungsrechts wurde der Enthusiasmus der Präsidentschaft durch glatte Abfuhr der anderen Mitgliedsstaaten ausgebremst.

Dafür hat sich das Verhältnis zu den USA entspannt. Erst der Machtwechsel in Berlin, dann jener in Paris brachte einen neuen Umgangston und eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA bei der Terrorbekämpfung. Merkel schlug eine transatlantische Wirtschaftskommission vor, die eine Fülle nutzloser Regeln zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken beseitigen soll. Darauf hatten beide Seiten kontinuierlich hingearbeitet.

Und sonst? Die Türkeifrage trat in den Hintergrund; das Postmonopol bleibt vorläufig. Die großen Linien der deutschen Ratspräsidentschaft waren Klimaschutz, Reformvertrag, Russlandpolitik. Harte Misserfolge blieben den Deutschen erspart. Angela Merkel darf erhobenen Hauptes auf das halbe Jahr in Brüssel zurückblicken und dabei ruhig ein wenig stolz sein.

Die Sendung »heute – in Europa« hat mit ihrem schon jahrelang praktizierten Konzept viele Redaktionen mitgezogen und bewiesen, dass ihnen die Ideen längst noch nicht ausgegangen sind. Die Kooperation zwischen dem Brüsseler Studio und dem in der Hauptstadt hat gezeigt, dass der deutsche Blickwinkel sehr oft mit dem europäischen deckungsgleich ist.

Wir in Brüssel bilanzieren 1 140 Sendeminuten in sechs Monaten, die ohne die Zusammenarbeit mit allen Auslands-, Inlands- und Mainzer Redaktionen wohl nie so reibungslos funktioniert hätte. Und so ist die deutsche Ratspräsidentschaft auch ein Riesenerfolg für die ZDF-Berichterstattung.
 
 
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