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2007  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Caroline von Senden
Elke Müller/
Klaus Bassiner
Heike Hempel
Annette Reisse
Volker Panzer
Nikolaus Brender
Martin Ordolff
Stefan Raue
Susanne Biedenkopf-Kürten
Udo van Kampen
Britta Hilpert
Guido Knopp
Heiner Gatzemeier
Maybrit Illner

Guido Knopp, Leiter des Programmbereichs Zeitgeschichte/Zeitgeschehen

»Die Wehrmacht – Eine Bilanz«
Neueste Erkenntnisse, sorgfältig aufbereitet

 
Guido Knopp
Guido Knopp


Spielszene in Trent Park mit Armin Dillenberger (Mitte) als General Dietrich von Choltitz
Spielszene in Trent Park mit Armin Dillenberger (Mitte) als General Dietrich von Choltitz


Drei britische Abhörspezialisten bei der Arbeit
Drei britische Abhörspezialisten bei der Arbeit
 

Über sechs Jahrzehnte nach Kriegsende und über zehn Jahre, nachdem eine brisante Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht eine hitzige Debatte in Deutschland entfacht hat, war es für die Redaktion Zeitgeschichte an der Zeit, eine aktuelle Bilanz zu ziehen. Viele Zeitzeugen sind nun in einem Alter, in dem sie noch befragt werden können, in dem die Zurückhaltung früherer Tage dem Bedürfnis weicht, die oft bedrückenden Erlebnisse mitteilen zu können. Doch nicht nur sie lenken den Blick zurück. Inzwischen ist eine Generation junger Historiker auf den Plan getreten, die mit neuen Fragen an das Thema »Wehrmacht« herangeht. Und diese Forscher präsentierten in unserer Reihe Erkenntnisse, die auf neuen Aktenfunden basieren. Es mag befremdlich klingen, doch je ferner die Zeit rückt, umso vollständiger wird das Bild, das sich aus der Auswertung der erhaltenen Dokumente ergibt. Nicht mehr Meinung und Ideologie prägen – wie noch vor einem Jahrzehnt – die Debatte über die Wehrmacht, sondern faktengesättigte Studien. Das war für uns Anlass genug, diese Erkenntnisse zur zuschauerintensivsten Zeit dem Publikum zugänglich zu machen. Denn gerade im ZDF finden solche Sendungen eine hohe Zuschauerakzeptanz – stehen für hohe Erklärungskompetenz und für journalistische und handwerkliche Qualität, die vertiefende Hintergrundinformationen und emotional ansprechendes Fernsehen miteinander verbindet. Exemplarisch dafür ist im Jahr 2007 unsere Reihe »Die Wehrmacht – Eine Bilanz«.

Mehr als 17 Millionen Männer dienten in der Wehrmacht, mehr als fünf Jahre führte sie den wohl blutigsten Krieg der Weltgeschichte, hielt zeitweise halb Europa besetzt. Sie war nicht nur die größte kriegführende Armee der deutschen Geschichte. Sie war ein Millionenheer, das einen größeren Machtbereich besetzte als je eine deutsche Streitmacht zuvor. Auf die Person des Tyrannen persönlich vereidigt, ließ sie sich zum Werkzeug einer Diktatur und zum Erfüllungsgehilfen eines wahnhaften Rassefeldzugs machen, im mörderischsten Krieg der Weltgeschichte. Bereitwillig folgte sie menschenverachtenden Befehlen – gehorsam bis zum eigenen Untergang: Mehr als fünf Millionen Wehrmachtssoldaten kamen im Krieg oder in der Gefangenschaft ums Leben.

So intensiv wie nie zuvor sind neueste Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung in diese fünfteilige ZDF-Reihe eingeflossen. Überdies wurde ein großer Fundus von Protokollen des britischen Geheimdienstes ausgewertet, der deutsche Generäle und hohe Offiziere in der Gefangenschaft abgehört hat. In Trent Park bei London, einem idyllisch gelegenen Herrensitz, wurden sie interniert – und ihre vertraulichen Gespräche untereinander vom britischen Geheimdienst systematisch aufgezeichnet. Diese Gesprächsprotokolle geben auf einzigartige Weise Aufschluss darüber, was namhafte Militärs damals wirklich dachten, wie sie den Kriegsverlauf beurteilten und wie sehr sie selbst in Verbrechen verstrickt waren. Diese Protokolle wurden für die Dokumentation in szenischen Rekonstruktionen authentisch umgesetzt. Schauspieler in den Rollen der beteiligten Generäle bringen in ihren Dialogen die Akten zum Sprechen und bieten einen unmittelbaren Einblick in das Denken dieser Militärführer.

Auch aus ihren unverblümten Gesprächen in Gefangenschaft lässt sich belegen, dass sich die Wehrmacht an Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung in ganz Europa ebenso mitschuldig machte wie am millionenfachen Tod von sowjetischen Kriegsgefangenen. Und auch über ihre Beteiligung am Holocaust redeten die Generäle erstaunlich freimütig. So General Dietrich von Choltitz, der als Stadtkommandant von Paris in Gefangenschaft geriet. Er gestand: »Der schwerste Auftrag, den ich je durchgeführt habe, ist die Liquidation der Juden. Ich habe diesen Auftrag allerdings auch bis zur letzten Konsequenz durchgeführt.« Der General gehörte freilich auch zur Minderheit deutscher Offiziere, die begannen, ihr Handeln kritisch zu hinterfragen: »Wir sind mitschuldig«, erklärte er. »Wir haben ja mitgemacht. Ich habe meine Soldaten verführt, an diesen Mist zu glauben. Ich fühle mich auf das Äußerste beschämt!« Doch die Mehrheit der Offiziere versuchte, die Verantwortung für die Mordtaten allein der SS anzulasten. Schon in Trent Park legten sie sich eine entsprechende Verteidigungslinie zurecht, wie etwa General Edwin Graf von Rothkirch: »Bei allem, was ich aussage, habe ich mir vorgenommen, es immer so zu drehen, dass das Offizierskorps reingewaschen wird. Rücksichtslos!«.

Jahrzehntelang prägte das Bild von einer – im Gegensatz zur SS – »sauberen Wehrmacht« den öffentlichen Diskurs. So behaupteten beispielsweise viele ehemalige Soldaten, der berüchtigte »Kommissarbefehl«, der die sofortige Erschießung der politischen Kommissare der Roten Armee verlangte, sei nur in Ausnahmefällen angewandt worden. Tatsächlich erbringen namhafte Historiker im Verlauf dieser Reihe den Beweis, dass der Kommissarbefehl bei über 80 Prozent der deutschen Divisionen ausgeführt worden ist. Nach neueren Schätzungen waren mindestens fünf Prozent der Wehrmachtssoldaten unmittelbar an Verbrechen beteiligt. Das ergibt an der Ostfront eine Gesamtzahl von einer halben Million Mann.

Und vergessen wir eines nicht: Es gab innerhalb der Wehrmacht auch Widerstand. Allein die Armee hatte während des Kriegs die Mittel, dem NS-Regime die Stirn zu bieten. Eine kleine Gruppe von Offizieren um Henning von Tresckow und Claus Schenk Graf von Stauffenberg handelte mit höchster Entschlossenheit – diese einsamen Verschwörer sahen im Tyrannenmord den einzigen Ausweg.

Wohl kaum ein Datum der deutschen Zeitgeschichte wurde so nachhaltig Gegenstand von Mythen und Legenden wie der 20. Juli 1944. Wäre das Attentat auf Hitler gelungen, hätte es ein Wendepunkt des Zweiten Weltkriegs und das Signal zur Beendigung des Völkermordes werden können. Unsere Reihe zeigt, wie einige wenige Militärs in die verbrecherische Befehlskette des Dritten Reichs verstrickt waren und dennoch – oder gerade deshalb – den Entschluss fassten, sich gegen Hitler zu wenden. Was sie von der Masse ihrer Kameraden unterschied, war die Entschlossenheit, mit der sie traditionelle militärische Werte wie Gehorsam und Eidestreue in Frage stellten.

Was also war die Wehrmacht? Eine Truppe gehorsamer Ja-Sager? Eine mordende und brandschatzende Verbrecherbande? Ein Millionenheer missbrauchter junger Männer? Ein letzter Hort preußisch-konservativer Tugenden? Keine dieser unterschiedlichen Annahmen spiegelt das ganze Bild wider – doch die fünf Teile der ZDF-Dokumentarreihe »Die Wehrmacht – Eine Bilanz« präsentieren schlüssige und differenzierte Antworten auf die wichtigsten Fragen.
 
 
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