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Günther van Endert, Leiter der Redaktion Fernsehfilm II
Heike Hempel, Leiterin der Hauptredaktion Unterhaltung-Wort

Eine deutsche Familie – und vieles mehr
Der große Dreiteiler »Krupp – Eine deutsche Familie«

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Günther van Endert
Günther van Endert


Heike Hempel
Heike Hempel



Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (Thomas Thieme, Mitte) und Gemahlin Berta (Iris Berben) geben sich die Ehre
Gustav Krupp von Bohlen und Halbach (Thomas Thieme, Mitte) und Gemahlin Berta (Iris Berben) geben sich die Ehre


Iris Berben als Bertha Krupp
Iris Berben als Bertha Krupp


Anneliese (Mavie Hörbiger) überredet Alfried (Benjamin Sadler) zu einem gemeinsamen Ausflug
Anneliese (Mavie Hörbiger) überredet Alfried (Benjamin Sadler) zu einem gemeinsamen Ausflug


Bei der Flucht aus Essen gerät Gustav Krupp (Heino Ferch) in eine Straßensperre
Bei der Flucht aus Essen gerät Gustav Krupp (Heino Ferch) in eine Straßensperre
 Wenn über Historie im Fernsehen nicht nur informiert wird, sondern ein Fernsehereignis, ein Event, entstehen soll, so müssen einerseits die Kriterien populärer Fiction-Unterhaltung in besonderem Maße erfüllt werden. Andererseits gibt die Geschichte Personen, Fakten und Zusammenhänge vor, die nicht dem frei erfindenden, an den Kriterien des populären Erzählens orientierten Geist geopfert werden dürfen. Wenn der Spagat gelingt, bereichert Geschichte den anspruchsvoll unterhaltenden Fernsehfilm. Das Gelingen hängt entscheidend von der Auswahl des historischen Stoffes ab. Nicht jedes geschichtliche Ereignis, das den einschlägig Interessierten oder den Dokumentarfilmer anspricht, kann zu einem Fernsehereignis werden. Fiktionalisierte Geschichte muss die Zuschauer nach den Erfahrungsmustern heutigen Lebens ansprechen. Im Mittelpunkt stehen deshalb Figuren, die die Zuschauer – unter Berücksichtigung der historischen Differenz – zur Identifikation einladen.

Mit »Krupp – Eine deutsche Familie« hat das ZDF gemeinsam mit seinen Partnern ein fiktionales Programm realisiert, welches einem breiten Publikum Unterhaltung und gleichzeitig die Vermittlung historischen Wissens brachte. Durchschnittlich 6,8 Millionen Menschen sahen zu (Marktanteil 19,8 Prozent). Es ging um die einstmals mächtigste deutsche »Wirtschafts-Familie«, eine schon um 1900 globalisiert agierende industrielle Dynastie. Frühere Generationen müssen beim Namen Krupp genauso empfunden haben wie spätere bei den Namen General Motors oder Microsoft.

Aber nicht nur deshalb hat der Name auch heute nichts von seiner Faszination verloren. Der Dreiteiler »Krupp – Eine deutsche Familie« erzählt die Geschichte einer Familie, eines Clans mit außergewöhnlich prägnanten Figuren, einem starken Beziehungsgeflecht und einer noch stärkeren familiären Identität. In der Familie Krupp finden sich all die Leidenschaften und Zwänge, die Machtstrukturen und emotionalen Muster, die auch andere, die sehr viele Familien prägen. Von daher sind die Krupps für ein breites Publikum identifikationsfähig.

Darüber hinaus war das Leben in der Essener Großfamilie bis ins Innerste davon bestimmt, dass der Clan mit Kaisern und Königen auf Augenhöhe verkehrte sowie weltweit produzierte und handelte. Die familiären Akteure mussten so beschaffen sein, dass der Konzern in dieser Position dauerhaft erfolgreich war. Es war deshalb eine ganz besondere Familie, die sich von (fast) allen abgrenzte. Die »deutschen Kennedys« würden sich heute wahrscheinlich energisch dagegen wehren, laufend von der Boulevardpresse als glamouröse Sippe beobachtet und mythisch überhöht zu werden. Denn das Ethos der Krupps war die harte selbstdisziplinierte Arbeit und die aus viel Fleiß gewonnene Innovation. Man feierte Feste, aber das konnte nur das gesellschaftlich notwendige Beiwerk zu Machtausübung und Geschäft sein.

Die beiden im 20. Jahrhundert wichtigsten Gestalten der Krupp-Familie, Bertha Krupp (1886 bis 1957) und ihr ältester Sohn Alfried (1907 bis 1967), stehen im Mittelpunkt des Dreiteilers. In ihrer Beziehung spiegeln sich die prägenden Konflikte dieser »sehr deutschen Familie«: Konflikte zwischen extremem Pflichtbewusstsein und der Sehnsucht nach einem freieren Leben, zwischen erzieherischer Strenge und elterlicher Liebe, zwischen starkem Familienzusammenhalt und heftigem Streit über wichtige Fragen von Familie, Konzern, Ethos und Politik.

Alle konzeptionellen Überlegungen wären fruchtlos geblieben, wenn nicht ein fulminantes Schauspielerensemble den Dreiteiler mit Leben erfüllt und damit zum Erfolg geführt hätte. An erster Stelle ist eine großartige Iris Berben zu nennen, die als Bertha Krupp in verschiedenen Altersstufen glänzt. Sie bemerkt im Interview über ihre Rolle: »Die Härte, die Bertha Krupp ihren Kindern gegenüber gezeigt hat, hat sie immer auch von sich selbst eingefordert. Sie hat auf ihre eigenen Wünsche verzichtet (...). Ihr wurde mehr oder weniger ein Ehemann ausgesucht. Obwohl es zwar letztlich eine Liebesheirat war, hatte es auch sehr viel mit Vernunft zu tun ...«. Benjamin Sadler gibt den Alfried, die zweite Hauptrolle. Alfried war der Kronprinz. Er hatte als Kind unter dem elterlichen Drill mehr zu leiden als seine vier Brüder und zwei Schwestern. Dafür wurde er schließlich mit dem alleinigen Besitz des Konzerns belohnt.

Barbara Auer spielt Berthas Mutter, Margarethe Krupp. Sie vor allem sorgte dafür, dass der Krupp-Konzern ein beispielhaftes, werksgebundenes Sozialwesen aufbaute, mit Wohnungen, Einkaufsläden und Krankenhäusern. Krupp stand für einen fürsorglichen Kapitalismus. Fritz Karl ist als Fritz Krupp zu sehen. Dem genialen Konzernlenker wurden seine homosexuellen Neigungen zum Verhängnis. Heino Ferch stellt Gustav Krupp von Bohlen und Halbach dar, Berthas Mann. Der angeheiratete Adlige verkörperte das Krupp’sche Ideal der Selbstdisziplin noch mehr als die geborenen Krupps. Viele Rollen sind zweifach besetzt, weil der Film einen Zeitraum von 70 Jahren erzählt. Thomas Thieme gibt den gealterten Gustav, den seine spätere Demenz davor schützt, von den Alliierten verurteilt zu werden. Statt seiner wird sein Sohn Alfried bestraft. Mavie Hörbiger tritt als Anneliese Bahr auf. Sie war die erste Ehefrau von Alfried Krupp und seine große Liebe. Ihre Tragik besteht darin, dass die geschiedene Hamburger Kaufmannstochter von dem seelisch hartgesottenen Stahl-Clan aus dem Ruhrpott nicht akzeptiert wurde. Arndt von Bohlen und Halbach entsprang dieser zum Scheitern verurteilten Ehe. Nikolai Kinski spielt ihn und erinnert in seiner Spielweise nicht nur an seinen exzentrischen Vater Klaus Kinski, sondern markiert auch meisterhaft den letzten Erben der Dynastie, der mit geschminkten Augen gemeinsam mit seinem Gefolge im marokkanischen Palast der Familie seine Krönung zum bayerischen König spielen lässt. Auch Valerie Koch als die junge Bertha und Marie Zielcke sowie Sunnyi Melles als die jüngere und die ältere Variante von Berthas Schwester Barbara müssen erwähnt werden. Die Genannten stehen stellvertretend für den sehr großen Cast.

Für ein solch aufwändiges, ambitioniertes Projekt braucht man die wirklich Guten der Branche. Produzent Oliver Berben und vor allem auch Regisseur Carlo Rola realisierten das Projekt. Koproduzent Georg Feil sorgte dafür, dass die Angaben der historischen Fachberater, der Professoren Gall und Abelshauser, genauen Eingang in den Film fanden. Carlo Rola trieb die Produktion voran, für deren Größe Zahlen stehen: Gedreht wurde von Anfang September 2008 bis Januar 2009 an 81 Drehtagen plus sieben einer »2nd Unit«. 68 Schauspieler wirkten mit und exakt 2007 Komparsen. Es gab 112 Motive an 68 Drehorten. Es wurde gedreht in Salzburg und Innsbruck; in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Thüringen und Bayern; in insgesamt 31 Städten und Orten. Schloss Blühnbach in Österreich, ein Stammsitz der Familie, stand als Drehort zur Verfügung, ebenso die Plätze auf der italienischen Insel Capri, auf denen der Clan im Sommer urlaubte. In Los Angeles entstand ein Großteil der umfangreichen computergenerierten Teile. Der Film brauchte eine breite Finanzierung. Das ZDF ist dankbar, dass die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, das Medienboard Berlin-Brandenburg, der FilmFernsehFond Bayern, die Förderung des Landes Salzburg und die Mitteldeutsche Medienförderung das Projekt unterstützten.

Die Familiengeschichte der Krupps musste – will man der Aufgabe gerecht werden – selbstverständlich auch die einer politisch-ökonomisch außerordentlich wichtigen Familie sein. In ihr spiegeln sich gleichermaßen die Katastrophen wie die gelungenen Seiten der deutschen Geschichte.

Aufgrund seiner Größe, seiner schwerindustriellen Produktion und speziell seiner Rüstungsproduktion hatte der Konzern eine immense Bedeutung für die Mächtigen Deutschlands. Wilhelm II. war der Taufpate Alfrieds und ließ von Krupp U-Boote bauen. Hitlers Panzer entstammten der Essener Großwaffenschmiede. Die Engländer zerbombten denn auch die Krupp’schen Werke nach Kräften.

Krupp war unter der Führung des Generalbevollmächtigten Berthold Beitz früher als andere im Geschäft mit der Sowjetunion tätig. Der Dreiteiler webt die verschiedenen Komponenten des Phänomens Krupp ineinander und erzählt damit eine weite Strecke deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert.

Das Publikum konnte ein öffentlich-rechtliches Qualitätsprogramm sehen: eine facettenreiche Mutter-Sohn-Beziehung, eine fesselnde Familienstory und konzentrierte Augenblicke fiktionalisierter deutscher Historie.
 
 
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