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Peter Arens, Leiter der Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft

Der Mann aus der Pfalz
Eine Charakterstudie als großer Fernsehfilm

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Peter Arens
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Thomas Thieme als Helmut Kohl in seinem Büro im Kanzleramt
Thomas Thieme als Helmut Kohl in seinem Büro im Kanzleramt


Helmut Kohl (Stephan Grossmann) lernt Hannelore (Rosalie Thomass) beim Tanzen kennen
Helmut Kohl (Stephan Grossmann) lernt Hannelore (Rosalie Thomass) beim Tanzen kennen


Mitterand (Erick Desmarestz) und Kohl (Thomas Thieme) debattieren über die deutsche Wiedervereinigung
Mitterand (Erick Desmarestz) und Kohl (Thomas Thieme) debattieren über die deutsche Wiedervereinigung


Stephan Grossmann als Kohl im Jahr 1963
Stephan Grossmann als Kohl im Jahr 1963


Stephan Grossmann als der junge Kohl
Stephan Grossmann als der junge Kohl


Helmut Kohl (Stephan Grossmann) legt sich mit den »Alten« der Landes-CDU an
Helmut Kohl (Stephan Grossmann) legt sich mit den »Alten« der Landes-CDU an


Helmut Kohl (Thomas Thieme) mit Horst Teltschik (Jürgen Heinrich) und Rudolf Seiters (Erich Krieg) in der Kanzlersuite im Hotel Bellevue in Dresden
Helmut Kohl (Thomas Thieme) mit Horst Teltschik (Jürgen Heinrich) und Rudolf Seiters (Erich Krieg) in der Kanzlersuite im Hotel Bellevue in Dresden
 Unser Interesse an einem besonderen Filmporträt über den Kanzler der Einheit Helmut Kohl begann nach der Veröffentlichung des ersten Bands seiner Erinnerungen im Jahr 2004. Reportagen und Dokumentationen über den Regierungschef Helmut Kohl hatte es in den Jahren zuvor einige gegeben. Wir wollten ein anderes Bild des Politikers und des Menschen Helmut Kohl zeichnen. Etwa zur gleichen Zeit lernte der Dokumentarfilmer Thomas Schadt den Bundeskanzler bei einer Feier zu Ehren des langjährigen Bonn-Korrespondenten der Rheinpfalz, Klaus Hofmann, kennen. Gemeinsam mit dessen Sohn, dem Produzenten Nico Hofmann, trafen Helmut Kohl und Thomas Schadt an jenem Abend eine erste Vereinbarung zu einem umfassenden Filmprojekt, und das ZDF schlug ein.

2006 besuchte Thomas Schadt den Kanzler mehrere Male zu Hause in Oggersheim. Auf Grundlage dieser intensiven Gespräche – hinzu kamen Kohls Schriften, Reden, TV-Auftritte, außerdem Zeitungsartikel und Gespräche mit Zeitzeugen – schrieben Thomas Schadt und Koautor Jochen Bitzer das Drehbuch zu einem Film, der sich auf zwei Zeitachsen konzentrierte: den Aufstieg des jungen Pfälzers zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz 1969 und das dramatische Jahr 1989, als Kohl um den Erhalt seiner Macht ringen musste und der Fall der Mauer Europa veränderte. Der Film sollte verdeutlichen, wie unaufhaltsam es den jungen Kohl in die (Nachkriegs-)Politik drängte, und wie unmissverständlich er nach Gestaltung und Führung verlangte, erst in der unterschätzten Provinz, dann in Bonn auf nationaler Bühne.

Der junge Kohl, der Krieg, Not und Flüchtlingselend erlebt hat, profiliert sich früh als Lokalpolitiker. Idealistisch, frankophil, europäisch – Kohl ist ein Stürmer und Dränger. Sein Lehrer, Pfarrer Johannes Finck, bescheinigt ihm zwar, das politische Herz am rechten Fleck zu haben, hält ihn aber als Redner und politischen Führer für unreif. Der Film überrascht in der Rückschau mit stimmungsvollen Szenen, die Helmut Kohl in ungewohntem Licht zeigen. Etwa, wenn es der pfälzische Rabauke mit dem Gesetz nicht so genau nimmt und bei Nacht und Nebel die deutsch-französischen Schlagbäume der kleinkarierten Nachkriegswelt beiseite räumt. Oder, wenn er Holzkohle organisiert, um der hübschen Hannelore eine gut beheizte Tanzstunde zu bescheren. Als solch lässigen Draufgänger haben sich wohl nur wenige den jungen Helmut Kohl vorgestellt. Kohl ist ein Rebell, der die erstarrte rheinland-pfälzische CDU aufmischt und die Verwaltung eines ganzen Bundeslandes modernisieren wird.

Zeitsprung ins Jahr 1989. Während sich die Lage in der DDR immer weiter zuspitzt und eine wachsende Zahl von DDR-Bürgern gegen die Politik der SED protestiert, durchlebt Kohl politisch und gesundheitlich seine größte Krise. Nach einer Reihe von CDU-Wahlniederlagen wird er ausgerechnet in dem Moment, als sich eine ernst zu nehmende Opposition auch in den eigenen Reihen formiert, von einer schmerzhaften Prostataerkrankung heimgesucht. Doch gute Ärzte und unerschütterliche Disziplin halten ihn wach, und schließlich weiß er den unerwarteten Verlauf der Weltgeschichte in seinen größten politischen Erfolg umzumünzen. Die überraschende Öffnung der ungarischen Grenze, die mit dem Bremer Parteitag der CDU zusammenfällt, verhilft ihm zum Sieg über seine innerparteilichen Gegner.

Stephan Grossmann (junger Kohl) und Thomas Thieme (älterer Kohl) spielen diese historischen Szenen mit großer Überzeugungskraft. Sie treffen als Schauspieler die richtige Entscheidung, indem sie beschließen, Kohl nicht zu imitieren, sondern ihn zu interpretieren. Neben ihrer Schauspielkunst wartet der Film mit einer zweiten Besonderheit auf: Er wird aus der Perspektive des älteren Helmut Kohl erzählt. Indem die Stimme des Schauspielers Thomas Thieme aus dem Off in einem inneren, fiktiven Monolog den Film vorantreibt, kommt der Zuschauer mit den Gedanken und Absichten des Kanzlers in unmittelbare Berührung. Ursprünglich hatten wir an ein Dokudrama gedacht, das die szenischen Passagen mit dem Originalinterview Kohls kombinieren sollte. Als Helmut Kohl der Verwendung des Interviews für den Film aber nicht zustimmte – weil er diesen damit autorisiert hätte, was er nicht wollte –, entschieden wir uns für einen fiktionalen Fernsehfilm. Ein Glücksgriff, denn damit erreichte der Film eine innere, ästhetische Geschlossenheit, die einem Dokudrama nicht gelungen wäre.

Ein Fernsehfilm kann einer Dokumentation auch inhaltlich voraus sein. Er darf sich gestalteter Bilder und erzählter Geschichten bedienen und die entscheidenden Wendepunkte einer Biografie mit eigenen subjektiven, emotionalen Mitteln umsetzen. Mit Zwischentönen, auf die die faktisch-politische Berichterstattung in der Regel verzichten muss. Gerade im Fall Helmut Kohls führt der Fernsehfilm zu einer wesentlichen Blick­erweiterung: Es geht nicht allein um eine Chronik der fraglichen Ereignisse, sondern um eine mehr oder weniger stille Psychologie der Macht, ihre Spielformen und Wirkungsweisen, um den obsessiven Kraftaufwand, den ein Staatsmann aufbringen muss, seine Rastlosigkeit und sein Getriebensein. »Der Mann aus der Pfalz« ist eine Charakterstudie über Macht und Einsamkeit, über Vertrauen und Misstrauen, Erfolg und Scheitern, zudem ein Lehrstück politischen Denkens und Handelns. Stellvertretend für die vielen diesbezüglichen Szenen sei der Bremer Parteitag 1989 genannt. Der kranke Helmut Kohl erwehrt sich mit einer strategischen Meisterleistung seiner Kritiker und behauptet seine Macht.

Der Film zeigt, dass Helmut Kohl politische Entwicklungen häufig allein durch seine Persönlichkeit geprägt hat, mit einem intuitiven Sinn für das Praktische und den Gewinn – und für den Menschen auf der Straße. Als am 19. Dezember 1989 vor der Ruine der Frauenkirche in Dresden eine euphorisierte Menge den Kanzler-Namen skandiert, lässt Schadt – in der vielleicht beeindruckendsten Szene des Films – Helmut Kohl am Hotelfenster innehalten. Die Menschen erwarten einen Auftritt ihres Kanzlers, den dieser nicht vorbereitet hat. Schließlich sagt er sich nach innerem Kampf: »Ich gehe da jetzt raus, spreche als Mann aus dem Volk. Das war schon immer meine Stärke«.

Offen gestanden, gingen wir während der Produktion nicht davon aus, dass »Der Mann aus der Pfalz« bei Öffentlichkeit und Fernsehkritik einhelliges Lob hervorrufen würde. Dafür waren Protagonist und Sujet zu umstritten und war die geschilderte Vergangenheit zu frisch, um nicht mit den eigenen Vorstellungen und Erinnerungsmustern mancher Betrachter zu kollidieren.

Die Resonanz war schließlich überragend, von BILD bis taz. Der Spiegel lobte den Fernsehfilm als ein wegweisendes Beispiel für die »neue Souveränität beim Nachzeichnen historischer Porträts«. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung befand, durch den künstlerischen Ansatz komme man »der inneren Wahrheit näher als das bislang im Film Dagewesene«. Und die Süddeutsche Zeitung, sich der Authentizitätsprobleme historisierender Gegenwartsfilme bewusst, lobte: Man sehe in Kohl einen Mann, »der zweifelt, leidet, sich erinnert«. Und man spüre: »So wird es wohl gewesen sein in jenen Tagen der Jahre 1989/90«.

»So wird es wohl gewesen sein.« Ein besseres Arbeitszeugnis kann einem zeitgeschichtlichen Fernsehfilm kaum ausgestellt werden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 
 
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