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Susanne Gelhard

»Ihre Meinung zählt« – der ZDF-Wahlbus unterwegs

 
Susanne Gelhard
Susanne Gelhard


Die Wahlbusroute
Die Wahlbusroute


Das Wahlbusteam
Das Wahlbusteam


Vorbereitungen für die Interviews
Vorbereitungen für die Interviews
 

»Ich finde es so gut, dass das ZDF vor den Wahlen die Menschen hier fragt«, sagt mir eine Passantin auf dem Fischmarkt in Erfurt. »Jahrzehntelang durften wir in diesem Teil Deutschlands nicht richtig wählen, jetzt ist alles anders geworden – sogar im Fernsehen können wir unsere Meinung sagen – wunderbar.«

Nur eine von vielen zustimmenden Reaktionen auf unserer Reise durch das Deutschland vor den Wahlen. Als sich der ZDF-Wahlbus am 28. August 2005, genau drei Wochen vor dem Wahltag, nach einem Auftritt im »Fernsehgarten« auf seinen 5 555 Kilometer langen Weg durch alle Bundesländer macht, fahren wir ins Ungewisse: Wie werden uns die Wählerinnen und Wähler empfangen? Welche Überraschungen, welche Schwierigkeiten warten auf uns?

Jeden Tag eine neue Region, eine neue Stadt, ein neues Wahlthema, dazwischen oft hunderte von Kilometern Reise: ein Riesenprojekt, bisher einmalig im Mainzelmännchen-Land. Gerade mal zehn Wochen liegen zwischen Idee und Start. Ausstattung und Personal kommen fast ausschließlich vom ZDF – und alle machen selbst in Anbetracht der drohenden Strapazen freiwillig mit, einige sogar begeistert.

Das Technikteam von Patrick Murphy ist Tour-de-France-erprobt. Und Redaktion und Produktion unter Ralph Schumacher und Klaus Weindorf bringen einiges an Erfahrungen von den Außenübertragungen des »Länderspiegels« mit. Beste Voraussetzungen also für unsere Reise kreuz und quer durch die Republik, bei der wir die Wählerinnen und Wähler, unsere Zuschauerinnen und Zuschauer, nach ihren Meinungen, Wünschen und Erwartungen fragen wollen.

Der ZDF-Wahlbus wird begleitet von einem Tross von 13 Fahrzeugen. Auch die Kollegen der Öffentlichkeitsarbeit sind mit dabei. Ein mobiles »heute«-Studio, der ZDF-Wahl-O-Mat, die ZDF-Torwand, eine Großleinwand: All das gehört zum Wahlbus. Auch einer der Kollegen von ZDFonline kommt zur Berichterstattung mit. Unsere Route wird ins Netz gestellt, dazu täglich Berichte und Videos.

Schließlich fährt ein wahrer Wanderzirkus vom Lerchenberg los. Mehr als 30 Kolleginnen und Kollegen gehören zum Team.

Unsere erste Station ist die Fußgängerzone von Gelsenkirchen, der ehemaligen Bergbau-Stadt, die heute mit der höchsten Arbeitslosigkeit im Westen zu kämpfen hat. Menschen ohne Arbeit, misslungener Strukturwandel, keine Lehrstellen. All das wird uns auf unserer Reise immer wieder begegnen: im Arbeitsamt Berlin Mitte, auf dem Marktplatz von Sangerhausen, vor dem Brandenburger Tor – dieses Mal nicht in Berlin, sondern in Potsdam –, auf dem Hauptmarkt im traditionsbewussten Nürnberg.

Die hohe Arbeitslosigkeit ist das wichtigste Thema dieser Wahl. In Nord und Süd gleichen sich wie in Ost und West auf traurige Weise Enttäuschung, fehlende Perspektiven und Ärger. Viele jedoch wollen sich nicht entmutigen lassen, setzen auf Eigeninitiative – und hoffen, dass die Politik sie dabei unterstützt. Die Erwartungen an die kommende Bundesregierung sind hoch. Weniger Parteien und Personen sind wichtig, vielmehr ganz konkrete Lösungen.

Bäckermeister Zipper in Gelsenkirchen spürt durch die wachsende Arbeitslosigkeit die Kaufkraft schwinden – und fürchtet eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die nach seiner Meinung alles nur noch schlimmer macht. »Wir brauchen kein Flickwerk – wir brauchen mutige Reformen«, sagt er. Und der ehemalige Bergmann Rondelli meint: »Verlasst Euch bei der Jobsuche nicht auf die Arbeitsagentur.« Er hat auf eigene Faust umgeschult.

Wir treffen die erfolgreiche Berliner Inhaberin der Ich-AG »Reinigen nach Hausfrauenart« genauso wie den Nürnberger AEG-Arbeiter, der die Welt nicht mehr versteht, weil ausländische Investoren sein alteingesessenes Werk gekauft haben und es jetzt schließen wollen. Wir sprechen mit der Inhaberin eines Friseurladens in Potsdam, die sich nichts mehr wünscht als Planungssicherheit für den Mittelstand – damit sie wenigstens ihren Lehrling nicht fortschicken muss. Und wir lassen die Einwohner von Sangerhausen zu Wort kommen, wo jeder Vierte arbeitslos und fast jede Familie davon irgendwie betroffen ist.

Mehr als 150 Liveinterviews gehen auf Sendung, dazu hunderte Umfragen, thematisch sortiert und geschnitten, Livebilder und Berichte mit den Themen aus den einzelnen Regionen. Der Wahlbus taucht überall im Programm auf, mehrmals täglich, von früh morgens bis spät in den Abend: im »Morgenmagazin«, »Mittagsmagazin«, »drehscheibe Deutschland«, der »heute«-Sendung, dem »ZDF spezial«, zum »TV-Duell«, in den ZDF-Wahlforen, »Berlin Mitte«, »WISO«, »Länderspiegel«, »blickpunkt«, »ML Mona Lisa«, »TOP 7« und natürlich in den ZDF-Wahlsendungen.

Jeder der Themenblöcke, die der Wahlbus aus den Regionen der Republik liefert, ist von mehreren Kolleginnen und Kollegen sorgfältig vorbereitet. Ralph Schumacher hat die Route mit den Kollegen vom »Länderspiegel« und den einzelnen Redaktionen ausgetüftelt. Bernd Nied leitet die redaktionelle Umsetzung vor Ort, hält den Kontakt mit den Redaktionen und den Landesstudios, die die Berichte liefern, macht mit Aufnahmeleiter Veit Quack letzte organisatorische Korrekturen für die nächsten Tage. Saskia Schüring und Cutter Burkhard Gerwin stellen unermüdlich Umfragen zusammen, die die Liveinterviews ergänzen. Lynn Gogolin ist ständig auf der Suche nach geeigneten Gesprächspartnern. Britta Buchholz überprüft letzte Fakten, telefoniert mit den Pressestellen der Städte, Betriebe und Organisationen, über die wir berichten, stimmt die Feinheiten ab.

An den Tagen, an denen wir für das »Morgenmagazin« berichten, ist für die Kollegen von Technik und Produktion Dienstbeginn um vier Uhr. Der Redaktion geht es etwas besser: Sie muss erst um 5.30 Uhr am Set sein. Während Regie (drei Regisseure wechseln sich in den drei Wochen ab: Andreas Beuermann, Klaus Heim und Rolf Lauschke) und unsere Kameraleute Nadja Schex, Yvonne de Fries und Stefan Plöger die Einstellungen aussuchen und ausleuchten, bereiten wir von der Redaktion uns noch im Hotel vor. Das ist auch die Stunde von Maskenbildnerin Anett Hoffmann. Sie schafft es, selbst um fünf Uhr morgens stets fröhlich und gut gelaunt erst mal eine Tasse Kaffee zu organisieren und mich dann selbst nach all den langen Tagen und wenig Schlaf schön zu schminken.

Am Set hat Aufnahmeleiter Utz Spaeth dann alles im Griff. Ein Mann wie ein Schrank, Respekt einflößend, gleichzeitig umsichtig und freundlich wie kein anderer. Er sorgt dafür, dass es bei den Kollegen an nichts fehlt, dirigiert die Zuschauer, achtet auf Kleinigkeiten wie ausgeschaltete Handys oder eine Jacke, wenn mir kalt wird. »Noch eine Minute, 30 Sekunden, noch zehn Sekunden« – wir sind auf Sendung.

In jedem der Liveinterviews sind meine Gesprächspartner unglaublich sachlich und präzise. Alle bleiben beim Thema. Keiner schweift ab, keiner überzieht die Sendezeit. Dabei sind das keine Politprofis, die meisten stehen zum ersten Mal vor der Kamera. Für uns alle eine überraschende und erfreuliche Erfahrung.

In den einzelnen ZDF-Sendungen werden Politiker und Experten mit den Wählermeinungen konfrontiert. Das Motto »Ihre Meinung zählt« wird ernst genommen – die Zuschauer wissen es zu schätzen. Die Redaktionen berichten von steigenden Einschaltquoten, sobald der Wahlbus im Programm auftaucht. Er wird zu einer der Marken der ZDF-Wahlberichterstattung.

Mit dem »Morgenmagazin« beginnen wir an vielen Tagen, am Nachmittag meist bauen wir ab und machen uns auf den Weg zur nächsten Station. Unterwegs im Bus werden Telefonate geführt, Absprachen mit den Redaktionen für den nächsten Tag getroffen. Den Laptop auf den Knien, schnell eine Moderation geschrieben, ein paar Interviewfragen notiert.

Ich sitze im »Mädchenbus« mit Britta, Saskia, Lynn und Anett. Er wird zum fahrenden Redaktionsbüro – und zum gruppendynamischen Entspannungsort. Kritik, Ärger, Freude, Frust – all das können wir auf den langen Fahrten hier wunderbar loswerden. Trotz steigender Nachfrage kommt außer uns niemand rein in den »Mädchenbus«. Nur unser Fahrer Marc Braun natürlich. Und der ist sehr verschwiegen.

Die Ankunft am Sendeort des nächsten Tags ist oft spät abends. Nach und nach trudeln alle Fahrzeuge ein. Sofort folgen Regiebesprechung und Vorbereitungen für den nächsten Tag. Dann Einchecken im Hotel, Abendessen, ein paar Stunden schlafen, bevor der nächste Mammut-Tag beginnt.

So fahren wir die entscheidenden Themen dieser Bundestagswahl an. Um Gesundheitspolitik geht es in der Altstadt von Bad Wildungen und im Kurviertel von Bad Elster. »Gesundheit ist auch volkswirtschaftlich ein wichtiges Kapital, wir müssen behutsam damit umgehen«, sagt uns der Masseur Olpmanns auf dem Marktplatz von Bad Wildungen. »Keine Gesundheitsvorsorge nur für Reiche«, hören wir immer wieder. Aber auch: »Unser Gesundheitswesen muss bezahlbar und konkurrenzfähig bleiben.« Gerade in Bad Elster, nahe der Grenze zu Tschechien, ist das ein wichtiger Gesichtspunkt.

Für »Morgenmagazin« und »Mittagsmagazin« fahren wir an den Strand von Kühlungsborn, wo Ost auf West trifft. 15 Jahre nach der Deutschen Einheit sind auch vor dieser Wahl die Befindlichkeiten im ehemals geteilten Land wieder Thema geworden. In Kühlungsborn schauen wir nach, wie es der Deutschen Einheit geht. Wir finden sie auf der Touristenpromenade und in Strandkörben. Das Fazit unserer Gesprächspartner: Es geht ihr gut. Vielleicht so gut, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl gar nicht mehr zum Thema gemacht werden muss. Mir bleibt mit Abstand am eindrucksvollsten der Kommentar eines jungen Pärchens mit Kleinkind vor blauem Meer in Erinnerung: »Wir leben die Einheit«, meint der junge Familienvater. »Meine Frau kommt aus Rostock, ich aus Hannover. Wir haben uns in Leipzig kennen gelernt. Und unser Kind ist das Ergebnis.«

Um Bildung geht es in der Universitätsstadt Münster, um Familienpolitik im kinderstarken Cloppenburg, um den Abbau von Subventionen in Kaiserslautern und der ehemaligen Kohle- und Stahlstadt Saarbrücken, um Integration im ausländerreichen Mannheim, um Energiepolitik in Potsdam und Brunsbüttel, wo eines der ältesten Kernkraftwerke Deutschlands steht – aber auch die größte Windkraftanlage der Welt.

In Erfurt macht der Wahlbus gleich zwei Mal Halt. Auf dem Wenigemarkt schauen wir uns zusammen mit Erfurtern das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder an. Zwei Wochen später, am Tag der Entscheidung, kommen vom Erfurter Fischmarkt Erwartungen und Reaktionen der Bürgerinnen und Bürger in die ZDF-Wahlsendungen.

Wo auch immer der ZDF-Wahlbus hinkommt – er wird freundlich empfangen, oft sogar bereits erwartet. So erfolgreich ist das Projekt, dass wir uns zur Nachwahl in Dresden – wegen des Todes der NPD-Direktkandidatin musste im Wahlkreis 160 (Dresden I) am 2. Oktober 2005 nachgewählt werden – nochmals auf den Weg machen. Fast alle vom Team sind wieder mit dabei, verschieben freie Tage, brechen den Urlaub ab.

In Dresden sind viele, mit denen wir sprechen, wahlkampfmüde – aber auch stolz, dass ihre Stadt im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. In einem sind sich fast alle einig: »Trotz schwierigem Wahlergebnis, es muss eine regierungsfähige Koalition gefunden werden. Auf keinen Fall Neuwahlen!«

Da können wir vom Wahlbusteam nur zustimmen. Als alles vorbei ist, stellen wir den Bus erst mal in die Garage – und schlafen ein paar Tage aus. Manche träumen da schon von der nächsten Tour.
 
 
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