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2005  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Michaela Pilters/ Robert Bachem
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Werner von Bergen
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Werner von Bergen

Comeback der Legenden
Friedrich Schiller, ein Schwerpunktprogramm und die Wiederkehr des »Literarischen Quartetts«

 
Werner von Bergen
Werner von Bergen


»Das Literarische Quartett« zu Ehren Schillers
»Das Literarische Quartett« zu Ehren Schillers


Marcel Reich-Ranicki und Iris Radisch
Marcel Reich-Ranicki und Iris Radisch
 

200 Jahre ist er tot, der große Friedrich Schiller. Aber dieser Klassiker ist natürlich in Wahrheit unsterblich. Dem ewig jungen, stürmischen Dichter, dem Bestsellerautor und Sprichwortlieferanten widmete die ZDF-Programmgruppe 2005 ein Kulturhighlight mit überraschenden Wiederbegegnungen: den Schwerpunkt »Schiller 05«.

Zu Besuch beim Literaturpapst im Frankfurter Dichterviertel. Nein, in der Schillerstraße wohnt er nicht, Marcel Reich-Ranicki, der leger im Pullover die Haustür öffnet. »Muss ich mich noch umziehen?«, fragt er mich. »Nein, Herr Reich-Ranicki, wir machen ein Interview ohne Kamera, für die Presse, für Schiller, für das ‚Literarische Quartett’«, antworte ich. »Na schön, beeilen Sie sich, ich habe zu tun«, knurrt der Meister. Und dann fängt er auch schon an zu schwärmen. Mit roten Backen habe er in seiner Jugend Schillers Tell und Die Räuber gelesen, die Stücke mindestens so spannend, wie die Krimiheftchen seiner Mitschüler. Fabelhaft, dieser Schiller, mit seinem unerhörten Gespür für Bühneneffekte! Unerreicht, dieser Kerl, der der eigentliche Theatermacher in der deutschen Geschichte sei, der große Effektesucher und Effektebieter noch vor Goethe! Reich-Ranicki gesteht entflammt: »Ich liebe Schiller!«.

Und die Liebe, die ja bekanntlich Berge versetzt, machte das Unmögliche möglich. Als frühlingshaften Höhepunkt des Schiller-Gedenkjahres bot das ZDF eine echte Überraschung. Reich-Ranicki & Co. waren nach einem kühnen Vorstoß der Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft sofort bereit, zu Schillers Ehren noch einmal mit dem legendären »Literarischen Quartett« aufzutreten. Die Supergroup der Bücherwelt noch einmal zu erleben in einer Reunion mit der aktuellen Besetzung, mit Marcel Reich-Ranicki, Hellmuth Karasek und Iris Radisch, wer hätte das gedacht! Und der Gast sollte das Gipfeltreffen erst so richtig perfekt machen: Elke Heidenreich, die Vorleserin der Nation, die mit ihrer Sendung »Lesen!« reihenweise literarische Geheimtipps in die Bestsellerlisten befördert und der Literatur im ZDF eine neue Stimme gegeben hat.

Vier Jahre hatte »Das Literarische Quartett« Sendepause, ehrenvoll eingetragen ins elektronische Geschichtsbuch der Fernsehlegenden. Das Quartett war in den Jahren 1988 bis 2001 die beliebteste und meistdiskutierte Literatursendung des deutschsprachigen Fernsehens. Gelobt als die »edelste Form von Infotainment, die das deutsche Fernsehen bereithält« oder respektvoll betrachtet als »Fegefeuer der Boshaftigkeiten«. In 13 Jahren und 77 Sendungen wurden über 400 Neuerscheinungen diskutiert. Nie zuvor hatten die Lobreden und Verrisse der Kritiker-Runde der Literatur eine solche öffentliche Aufmerksamkeit beschert. Gründungsmitglied Sigrid Löffler schied im Jahr 2000 aus dem »Literarische Quartett« aus, es folgte ihr die Kritikerin Iris Radisch. Auf Einladung des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau verabschiedete sich »Das Literarische Quartett« am 14. Dezember 2001 aus dem Schloss Bellevue in Berlin.

Umso größer die Wiedersehensfreude nun bei den Zuschauern und der Presse. Wie zu allerbesten Zeiten stürzten sich die Feuilletons auf die Ankündigung, noch einmal eine Extra-Ausgabe der Bücherrunde geboten zu bekommen. Das Ergebnis am Ende: rekordverdächtige 92 Artikel mit einer Gesamtauflagenhöhe von 47 Millionen. Am 29. April 2005 war es dann soweit. Im Wiesbadener Kurhaus ist die Stimmung gut, geradezu euphorisch, wie bei einem Klassentreffen nach langen Jahren der Trennung. Marcel Reich-Ranicki und seine Gattin fahren in einer schneeweißen Stretch-Limousine vor, ein ZDF-Kamerateam nutzt die Gelegenheit, letzte Takes für eine Dokumentation zu seinem 85. Geburtstag zu drehen, der am 2. Juni 2005 festlich begangen werden soll.

Die Wiederbelebung eines Mythos: Ist das nicht eine riskante Sache? Gefährlich, ja, aber wohl offensichtlich nicht für »Das Literarische Quartett«. Riskant eher für die anderen Literatur- und Kultursendungen des deutschen Fernsehens, wenn man dem überwiegenden Urteil der Presse folgen mag: »Denn an Dynamik, Rasanz, an Wissensfülle, Witz und Widerspruch der Viererrunde reicht bislang kein anderes Konzept einer Literatursendung heran«, kommentierte die FAZ. »Vier Köpfe für ein Hallelujah« dichtete die Süddeutsche Zeitung und machte eine Diskussion in vier Liebesakten aus, einer hitziger als der andere. Nein, zum Verreißen waren Reich-Ranicki und seine Mitspieler nicht angetreten. Schiller wird sich in seinem Dichterolymp gefreut haben. Elke Heidenreich machte den Anfang mit dem Drama Don Carlos und schwärmte gleich auch von Verdis genialer Opernumsetzung, Hellmuth Karasek ging auf die Knie vor dem Wallenstein und bekannte seine Rührung vor dem großen Stoff, Iris Radisch feierte das revolutionäre Feuer in den Räubern, gewürzt mit kritischen Seitenhieben auf Schillers Frauenfiguren, – und dann hatte Marcel Reich-Ranicki das letzte Wort bei Kabale und Liebe. Und legte wohlwollend den ganz großen Maßstab an, als er Shakespeares Romeo und Julia mit Schillers ewig jungem Drama in Beziehung setzte. Am Ende fiel wie immer der Vorhang, Standing Ovations für vier glücklich erschöpfte Kritiker. 1,2 Millionen Zuschauer sahen zu, das hatte noch nicht einmal die Abschiedssendung im Jahr 2001 geschafft.

Der ZDF-Schwerpunkt »Schiller 05« hatte seinen ersten Höhepunkt erreicht. Doch dabei wollte es die Programmfamilie ZDF, 3sat und ZDFtheaterkanal nicht belassen. Am 1. Mai 2005 feierte 3sat »24 Stunden Schiller«, die ZDF-Denkmalschutzsendung »Bürger, rettet Eure Städte« besuchte den Dichter in Weimar, das »nachtstudio« wanderte in einer langen Schillernacht »Von der Glocke bis zur Locke«, das Kulturmagazin »aspekte« schaute sich in der weiten Welt nach dem schwäbischen Hitzkopf um, eine Feiertagskurzdokumentation reiste zur besten Sendezeit und mit großem Quotenzuspruch am 5. Mai 2005 an den Vierwaldstätter See auf den Spuren von Wilhelm Tell. Reichlich Programm bot schließlich auch der ZDFtheaterkanal. Dem Programmbereich Theater gelang dann auch der große Coup zum Abschluss des Schiller-Jahres. Am 3. Oktober in 3sat und am 9. Oktober 2005 im ZDF kam die spektakuläre Verfilmung von »Kabale und Liebe« zur Aufführung. Die Münchner Abendzeitung jubelte über einen »emotional glühenden Klassiker in Edelbesetzung«. Regisseur Leander Haußmann durchlüftete den hinlänglich verstaubten Lieblingsstoff aller Deutschlehrer rasant und jugendfrisch mit einer hinreißenden 18-jährigen Paula Kalenberg und einem draufgängerischen August Diehl in den Hauptrollen, umrahmt von Schauspielstars wie Götz George, Katja Flint, Katharina Thalbach und dem lustvoll fies spielenden Detlev Buck. Unerschrocken, aber respektvoll, haben Haußmann und seine wunderbare Schauspieltruppe ihren Schiller beim Wort genommen. Tragisch und komisch, leidenschaftlich und erschütternd. Das haben die ZDF-Zuschauer wohl auch so gesehen; die Verfilmung erreichte einen ausgezeichneten Marktanteil von acht Prozent. »Kabale und Liebe«: ein auch finanziell ambitioniertes Großprojekt, das nur möglich wurde, weil es von der gesamten ZDF-Senderfamilie getragen wurde.

Soviel Schiller war noch nie im deutschen Fernsehen. Und das ZDF, so dürfen wir im Rückblick getrost feststellen, hat einmal mehr die Lufthoheit über die televisionäre Welt der Literatur behaupten können. Wer sonst kann auch schon die mächtigste Leserin der Republik oder gar einen Literaturpapst im Programm vorweisen! Übrigens: Schiller war so ansteckend, dass das ZDF dem neu entflammten »Literarischen Quartett« am 17. August 2005 Nachschlag gab. Zu Ehren des 50. Todestags von Thomas Mann kam die Expertenrunde mit dem Gast, dem Schriftsteller Robert Gernhardt, an einem Lieblingsort des Lübecker Patriziersohnes, in Travemünde, zusammen. Mit dem Blick auf die Ostsee kreiste die Diskussion in gewohnter Scharfzüngigkeit um die Erzählungen Thomas Manns.

Und auch 2006 kommt das »Quartett« zu einer Extra-Ausgabe zusammen. Heinrich Heine will zu seinem 150. Todestag geehrt sein, der romantische Poet und politische Kämpfer, der im Exil in Paris starb. Und der Marcel Reich-Ranicki sein ganzes Leben begleitet hat. ZDF, 3sat und ZDFtheaterkanal lassen sich von Ende Januar bis Anfang Februar 2006 in einem Schwerpunktprogramm auf Heine ein. Und es gilt dasselbe wie für Schiller: Unsere Sender bieten mit vereinten Kräften vielfältig Gelegenheit, einen der aufregendsten Dichter der deutschen Geschichte ganz neu zu entdecken.

Kehren wir zum Schluss zu Friedrich Schiller zurück, dem großen Sprichwortlieferanten. Auch für uns im ZDF hat er einen hilfreichen Spruch parat. Für alle Programme, die dazu beitragen möchten, dass es auch so etwas wie geistige Marktführerschaft geben kann, ein Zitat aus dem Tell: »Die Axt im Hause erspart den Zimmermann.«
 
 
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