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2005  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Guido Knopp

»Die letzte Schlacht« – 60Jahre nach Kriegsende

 
Guido Knopp
Guido Knopp


Ein Leutnant der Roten Armee verkündet die Anweisungen
Ein Leutnant der Roten Armee verkündet die Anweisungen


Die DRK-Krankenschwestern (Irm Hermann und Anna Maria Mühe)
Die DRK-Krankenschwestern (Irm Hermann und Anna Maria Mühe)
 

»Und dennoch, die Stunde ist groß – nicht nur für die Siegerwelt, auch für Deutschland – die Stunde, wo der Drache zur Strecke gebracht wird, das wüste und krankhafte Ungeheuer, Nationalsozialismus genannt, verröchelt und Deutschland von dem Fluch wenigstens befreit, Hitlers Land zu heißen«. Mit diesen Worten begrüßte der in die USA emigrierte Schriftsteller Thomas Mann die deutsche Kapitulation am 8. Mai 1945.

Nur wenige seiner Landsleute, die in »Hitlers Land« verblieben waren, haben damals ähnlich empfunden. Die meisten Deutschen erlebten die Kapitulation mit zwiespältigen Gefühlen. Sie waren erleichtert, dass die Bombenangriffe auf die Städte und Dörfer, die Kämpfe und das Töten an der Front ein Ende hatten. Doch für die große Mehrheit der Deutschen war dieser Tag zunächst die Stunde des Zusammenbruchs und nicht die Stunde der Befreiung, wie auch die Sieger sich damals nicht als Befreier der Deutschen, sondern als Befreier von den Deutschen gefühlt haben.

Nur eine positive Erfahrung verband Sieger und Besiegte am Ende des Kriegs: die Erleichterung, überlebt zu haben – einen Krieg, der im Ganzen über 50 Millionen Opfer gefordert und zugleich deutlich gemacht hatte, wozu Menschen fähig sind und was sie ihresgleichen antun können.

Als am 8. Mai 1945 die Waffen schwiegen, waren mehr als sieben Millionen Deutsche tot. Von den deutschen Städten blieben nur noch schwelende Ruinenfelder. Über zehn Millionen Menschen waren Opfer der Vernichtungswut der Nazis. Die Stunde der bitteren Wahrheit war gekommen – bitter auch deswegen, weil sich nun das ganze Ausmaß der Verbrechen offenbarte, die von Deutschen begangen worden waren. Als die Welt erfuhr, was in deutschem Namen geschehen war, kehrte sich der Zorn der Völker gegen Hitlers ganzes Volk. Die Deutschen, so schien es, würden auf ewig im Kreis der Völker geächtet sein.

Heute hat sich die Sicht auf die Ereignisse von damals gewandelt. Die Besiegten von einst und ihre Nachgeborenen haben sich von Hitlers mörderischem Reich längst losgesagt. Sie sind heute in ihrer großen Mehrheit bereit, die schweren Leiden, die die militärische Niederlage den Deutschen aufbürdete, nicht mehr den alliierten Siegern, sondern vor allem der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anzulasten, die den Krieg im deutschen Namen und von deutschem Boden aus entfesselte.

Die Sieger von einst dagegen haben das Nachkriegsdeutschland als friedliche Demokratie kennen gelernt – und ihm allmählich vertraut. Sie sind zunehmend bereit, die Deutschen nicht nur als Vollstrecker, sondern auch als Opfer von Hitlers Wahn zu begreifen – nicht nur als Besiegte, sondern auch als Befreite. Die Feinde von damals reichen sich heute die Hand zur Versöhnung.

60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs war die Zeit reif für eine Bilanz. Noch sind viele Menschen, die diesen Krieg erlebt haben, am Leben und können erzählen, »wie es war«. Noch haben wir die Chance, ihnen zuzuhören, wenn sie von den Grenzerfahrungen ihres Lebens berichten: Deutsche und Amerikaner, Polen und Russen, Briten und Franzosen, Soldaten und Zivilisten, Frauen, Männer und Kinder, die ein für uns heute kaum noch vorstellbares Inferno durchlebt haben.

Bislang wurde dieser Krieg in der Regel meist aus nationaler Sicht geschildert. Nun, da die Zeitgenossen hoch betagt sind, war es an der Zeit, dass einst verfeindete Nationen gemeinsam zeigten, was den Zweiten Weltkrieg ausgemacht hat. Die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte hat sich dieser Aufgabe gestellt: gegen das Vergessen – für Versöhnung und Verständigung.

Den Anfang machte bereits im Jahr 2004 die Reihe »Die Befreiung«, die das letzte Kriegsjahr im Westen schilderte. Die Filme beleuchteten die wichtigsten Etappen von der Landung in der Normandie bis zur Entscheidung in Hitlers Reich. Nach harten Kämpfen an der Kanalküste glich der Vormarsch der Amerikaner, der Briten und ihrer Verbündeten durch die von den Deutschen besetzten Länder Frankreich, Holland und Belgien einem Triumphzug. Zuletzt ging für die Wehrmacht Anfang 1945 in den Ardennen auch die letzte große Schlacht vor der deutschen Grenze verloren. Als US-Truppen Anfang März kampflos die Rheinbrücke von Remagen eroberten, war der Weg ins Innere des Reichs frei. Vielerorts gab es kaum noch Gegenwehr der kriegsmüden deutschen Soldaten – sie wollten nicht noch »fünf Minuten vor zwölf« den »Heldentod« sterben.

Ganz anders im Osten, wie unsere Anfang 2005 ausgestrahlte Reihe »Der Sturm« aufzeigte. Nach drei Jahren Krieg und Millionen Toten an der Ostfront war die Wehrmacht im Oktober 1944 auf die alten Reichsgrenzen zurückgedrängt worden. Nach dem sowjetischen Großangriff Mitte Januar 1945 bekamen die Menschen in den Ostgebieten den Hass zu spüren, den Deutsche selbst gesät hatten. Millionen Menschen flüchteten, doch der überhastete und schlecht organisierte Aufbruch endete oft im Chaos. Hunderttausende, vor allem Frauen, Kinder und Alte, kamen durch Hunger, eisige Kälte und brutale Gewalt um. Nach dem Ende der Kämpfe begann die Rache der Sieger. Es waren vor allem die Frauen, die für Hitlers Krieg bezahlen mussten: Vergewaltigungen, Plünderungen und Morde waren an der Tagesordnung.

Mitte April 1945 begann der Großangriff der Roten Armee auf Berlin. Die letzten Tage der Reichshauptstadt standen im Mittelpunkt unseres Doku-Dramas »Die letzte Schlacht«. Keinen Meter Boden preisgeben – so lautete der sinnlose Befehl Hitlers. Seine Manie vom »Alles oder Nichts«, vom »Sieg oder Untergang« sollte bis zum bitteren Ende zehntausende Opfer fordern. Der Kampf in Berlin geriet zum jämmerlichen Abgesang eines Reichs, das tausend Jahre währen sollte und nach zwölf zusammenbrach. Während die Hauptstadt im Straßenkampf unterging, entzog sich der Verantwortliche »fünf nach zwölf« durch Selbstmord – wie er angekündigt hatte. Und mit einem Schlag versank das Nazi-Reich. Es überdauerte seinen »Führer« um ganze acht Tage. Am Ende lag Deutschland in Trümmern, der Krieg war dorthin zurückgekehrt, wo er entfesselt worden war.

War der 8. Mai ein Tag der Befreiung oder der Niederlage? In seiner Rede zum 40. Jahrestag der Kapitulation im Jahr 1985 hat der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker diese Frage in einer weithin akzeptierten Formel beantwortet: »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Kriegs die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Krieg führte.« Der lange Weg zum 8. Mai 1945 begann am 30. Januar 1933.
 
 
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