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2005  
ZDF Jahrbuch
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Detlev Jung

»Kriege, Katastrophen, traumatische Belastungen«
Psychologische Unterstützung in der Krisenberichterstattung im ZDF

 
Detlev Jung
Detlev Jung
 

Erfahren Menschen die Auswirkungen von Krieg, Verbrechen, Gewalt oder Naturkatastrophen am eigenen Leib, so entwickeln einige von ihnen ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS, englisch: posttraumatic stress disorder). Sie leiden dann unter Symptomen, die die Lebensqualität massiv beeinträchtigen.

So genannte »Flashbacks« bringen die erlebten kritischen Situationen als Realität mit allen Ängsten wieder zurück, sie provozieren entsprechende Reaktionen, zum Beispiel Verteidigung gegen die als bedrohlich erlebte, in Wirklichkeit aber friedliche Umgebung.
Einschneidend ist der Verlust an Lebensfreude und Emotionen, das Leben kann nicht mehr genossen werden.
Das Urvertrauen geht verloren, die Angstschwelle ist erniedrigt mit allen Auswirkungen auf Schlaf, Konzentration und Sicherheitsgefühl.

Die Menschen werden depressiv, im schlimmsten Fall kommt es zum Selbstmord. Dieses Krankheitsbild ist bei Kriegsveteranen, genauso aber bei Gewaltopfern und Überlebenden schwerer Unglücke bekannt und erforscht. Erst in jüngerer Zeit wird das Augenmerk darauf gerichtet, dass auch Personen, die nicht direkt von einer solchen Katastrophe betroffen sind, ihre Folgen aber aus bestimmten Gründen mit ansehen müssen (beispielsweise Helfer etwa beim Zugunglück von Eschede), unter den gleichen Symptomen des PTBS leiden können.

Zu dieser zweiten Gruppe gehören auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Medienanstalten, insbesondere, wenn sie in der aktuellen Berichterstattung mit Katastrophen, Kriegen und Gewalt konfrontiert sind. Anthony Feinstein zeigte 2002, dass vor Ort arbeitende Kriegsberichterstatter in zweierlei Hinsicht gefährdet sind:

Zum einen tragen sie am Ort des Geschehens ihre Haut zu Markte. Alle der 28 befragten Journalisten waren schon einmal unter Beschuss, drei schon einmal verwundet (einer allein vier Mal), drei waren beim Tod von Kollegen dabei, zwei erlebten Scheinexekutionen, auf zwei war Kopfgeld ausgesetzt, einer überlebte einen Flugzeugabsturz und wurde danach ausgeraubt und von zweien verübten Kollegen Selbstmord. Jede(r) vierte von ihnen entwickelte Anzeichen eines PTBS, 20 Prozent eine Depression, ein Siebtel einen Drogen- oder Alkoholmissbrauch.
Zum anderen ist es ihr Beruf, die Augen und den Geist sowie die Kamera eben auf das Leid und das Elend zu richten und auch gerade bei den schlimmsten Situationen nicht wegzuschauen. Letzteres betrifft unter anderem auch die Menschen zu Hause, die am Empfang und an der Weiterverarbeitung des Materials (an den Schnittplätzen) beteiligt sind. Auch durch dieses Mitleiden sind sie gefährdet. Umso mehr, da als das Idealbild in der Kriegsberichterstattung immer noch der taffe Journalist gilt, der alles unbeeindruckt wegsteckt, für den Gefühlsregungen eher karrieregefährdend sind (und der dementsprechend nicht oder zu spät eine Therapie in Anspruch nimmt). Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ZDF gilt dies genauso wie für jede andere Sendeanstalt.

Spätestens seit dem Irak-Krieg werden vom ZDF in solche Gebiete entsandte Personen auf die Aufgabe intensiv vorbereitet und geschult und in der Betriebsärztlichen Station auf ihre körperliche Belastungsfähigkeit untersucht. Die Tsunami-Katastrophe zur Jahreswende 2004/2005 zeigte auch die psychische Belastung solcher Expeditionen, so, wenn von den Zurückgekommenen zu hören war, dass sie auf die Konfrontation mit dieser Masse an Leichen nicht vorbereitet waren.

Mit den Auswirkungen solcher Eindrücke und mit Strategien zur Vermeidung gesundheitlicher Folgen bei den Betroffenen hat sich in diesem Jahr die Betriebsärztliche Station in enger Kooperation mit den betroffenen Redaktionen und Produktionsbereichen befasst. Den Beteiligten war bewusst, dass das »System Mensch« im Grunde eine hohe Reservekapazität hat, wenn es darum geht, psychische Belastungen zu ertragen. Wichtig war es herauszuarbeiten, dass es zudem Möglichkeiten der Hilfestellung gibt, »wenn das Maß des Erträglichen voll ist«. Mit dem Psychologen Dr. Christian Lüdke wurde ein führender Experte für das ZDF gewonnen, der unter anderem auch schon Opfer und Helfer der Katastrophen von Eschede und vom 11. September 2001 in New York betreut hatte.

Herr Lüdke erreichte Anfang des Jahres in zwei Vorträgen fast 100 ZDFler, 35 testeten per Fragebogen ihre Gefährdung, an einem PTBS zu erkranken, und elf nahmen die Gelegenheit zu einem persönlichen Gespräch mit ihm oder seiner Kollegin, Frau Clemens, wahr.
Er bildete mit Dr. Verena Bopp (Betriebsärztliche Station), Saartje Hahn (EPL Aktuelles/Neue Medien) und Claudia Wohland (Programmbereich reporter/reportage) drei Erstbetreuerinnen aus, die im Bedarfsfall unkompliziert und vertraulich angesprochen werden können.
Wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Versendung in Krisengebiete in der Betriebsärztlichen Station vorstellig werden, so wird ihre psychische Konstitution mittels Fragebogen analysiert und bei Bedarf mit ihnen besprochen.
In Zusammenarbeit mit dem zuständigen Unfallversicherungsträger, der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG), wurde ein Pilotprojekt in Angriff genommen, in dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Entsendung im Umgang mit den Belastungen und ihren eigenen Reaktionen darauf geschult werden.
Die Wege der Betreuung bei Anzeichen eines PTBS wurden mit der VBG geklärt.
Das ZDF hat mit diesem Projekt als erster deutscher Sender Pilotfunktion; andere Sender zeigen jetzt Interesse. Das ZDF wird Katastrophen, Leid und Elend der Welt kaum verhindern können. In seiner Aufgabe, diese aufzuzeigen und zu dokumentieren, setzt es aber alles daran, dass seine ihm anvertrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Konfrontation unbeschadet überstehen.
 
 
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