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2005  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Bettina Eistel
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Bettina Eistel

Lebenslust

 
Bettina Eistel
Bettina Eistel


Bettina Eistel mit Schauspieler Wolfgang Göttsch
Bettina Eistel mit Schauspieler Wolfgang Göttsch


Gespräch mit Schauspielern des Blaumeier-Ateliers
Gespräch mit Schauspielern des Blaumeier-Ateliers


Einstimmung auf die Kamera: Redakteurin Ramona Sirch mit Bettina Eistel
Einstimmung auf die Kamera: Redakteurin Ramona Sirch mit Bettina Eistel
 

Als ich im Oktober 2004 die Anfrage erhielt, als Interviewpartnerin für die 40-Jahre-Geburtstagssendung der Aktion Mensch mitzuwirken, war ich innerlich erst einmal zurückhaltend. Was hatte ich schon mit der Aktion Mensch zu tun, nicht mal ein Los besaß ich? Der nette Fernsehspot zur Änderung des Namens von Sorgenkind zu Mensch fiel mir ein – mit der hübschen Frau ohne Arme –, also gut, ich versuche es, werde es als neue aufregende Erfahrung nehmen und mich auf diese Gesprächsrunde offen und neugierig einlassen. Wenn ich damals schon geahnt hätte, was dabei alles entstehen würde …

Aber das ist ja gerade das Tolle am Leben, dass vieles sich ganz unberechenbar in erstaunlichste Richtungen bewegt. In den letzten drei Jahren hatte ich mich wie ein Surfer von Welle zu Welle bewegt, ohne die Erfolge im Leistungssport Dressurreiten (wie die Medaillen bei den Paralympics) und die damit verbundene Medienaufmerksamkeit überhaupt geplant oder erahnt zu haben!

Viele meiner Freunde und Mitmenschen fragen mich oft, woher ich denn meine Energie nähme, meine Ideen und die offensive Herangehensweise. Ganz ehrlich, das weiß ich nicht wirklich. Manche vermuteten einen Hang zur Kompensation, Selbstdarstellung als Pflaster für einen erlebten Mangel? Ich kann dazu nur sagen, wenn schon alle hinsehen, dann werden sie auch etwas zu sehen bekommen! Und es gehört auch zu den Erkenntnissen in meinem Leben, dass Neid und Missgunst die andere Seite der Medaille »Bewunderung« sind.

Als Kind war ich sehr zugewandt, aber doch eher still und zurückhaltend. Doch jedes Hindernis, das ich überwand, verdoppelte die Freude und Energie, die mir jetzt zur Verfügung steht: »Disability creates ability«. Was mich früher antrieb, war mein Streben nach Unabhängigkeit und freier Entscheidung, was mich heute nach vorne zieht, ist meine unendliche Neugier, mein Wunsch nach kreativem Ausdruck und meine Leidenschaft, sich im Kontakt mit anderen gegenseitig anzuregen, zu ermutigen und zu begeistern! So war es auch im Mai 2005 in Mannheim:

Durch die Krankheit meiner Freundin startete ich ganz allein mit meinem Pferd Aaron auf die 700 Kilometer zum Qualifikationsturnier für die Europameisterschaft. Ich schleppte mit den Zähnen Zehn-Liter-Wassereimer für mein Pferd übers Turniergelände, während meine Teamkollegen mit ihrem eigenen Lampenfieber kämpften, putzte mich und mein Pferd schon in den frühen Morgenstunden auftrittsfertig heraus und konnte mich mit einem zweiten Platz hinter England tatsächlich für Ungarn qualifizieren.

In diesem Trubel traf ich die beiden ansteckend gut gelaunten ZDF-Redakteurinnen von »Menschen – das Magazin« im brummend vollen Turnierrestaurant, die mich sofort für ihr Projekt, vier Sommerspecials ihrer Sendung von mir moderieren zu lassen, begeistern konnten. Beide waren so unterstützend und überzeugt von der Idee, dass ich nicht den leisesten »Verdacht« schöpfte, was auf mich zukommen würde.

Fernseherfahrung hatte ich ja viel, Berichte über mich als Puppenspielerin, Malerin und nicht zuletzt Erfolgsreiterin waren schon in diversen Sendungen gelaufen, und ich hatte schon gelernt, mein Konterfei und meine Stimme mit dem Hamburger Einschlag zu ertragen und mich frei vor der Kamera ausdrücken zu können.

Wie gut, dass ich diese neue Aufgabe so leichthin unterschätzte! Vielleicht wäre ich sonst nicht so mutig gewesen, diese neue Herausforderung anzunehmen. So aber fuhr ich mit meinen Textkarteikarten im Koffer und im Kopf und mit abenteuerlichem Kribbeln im Magen nach Dresden zur ersten Aufzeichnung, während mein Pferd Aaron und die Reitausrüstung schon auf dem Weg ins tiefste Bayern zur deutschen Meisterschaft unterwegs waren.

Nun sollte ich also die »Blaumeiers« vorstellen, eine bunte Truppe verrückt-normaler Schauspieler, die mit ihrer »Carmen«-Inszenierung den Intendanten der renommierten Dresdener Musikfestspiele so überzeugt hatten, dass sie eine Einladung für dieses traditionsreiche und hoch angesehene Festival bekamen. Als ich dann die ersten Texte vor laufender Kamera mitten im Gewühl auf Dresdens Straßen sprechen sollte, kam ich mir vor, als müsste ich vor einem Riesenpublikum vom Zehn-Meter-Turm springen – verhaspelt, Text ausgelassen, lieblos runtergeleiert, zu spät geatmet und wieder verpatzt. Statt ein Fenster zu den vielen interessierten Zuschauern zu sein, war das kleine schwarze Auge der Kamera eher mein schlimmster Kritiker. Selten habe ich mich so inkompetent gefühlt, das war ja schlimmer, als in Athen in die Prüfung zu reiten, da kann man seine innere Spannung wenigstens in körperlicher Bewegung abbauen!

Doch das ganze Team gab mir mit Ruhe, Kompetenz und fröhlicher Geduld die Sicherheit, mich in die neue Situation einzufühlen. Und dann die Interviews! Da war ich wieder in meinem Element, was dachten und fühlten diese Schauspieler, die sich so anders bewegten und ausdrückten? Ich hätte noch 1000 weitere Fragen gehabt, aber die Sendezeit – ich weiß. Als ich abends die Aufführung sah, musste ich mir selbst eingestehen, die Fähigkeiten zum künstlerischen Ausdruck dieses Ensembles, die Möglichkeiten der Darstellung intensiver Gefühle und der Leidenschaft schlicht unterschätzt zu haben. So ist auch in meinem Kopf eine Grenze gefallen, von deren Vorhandensein ich nicht einmal wusste.

Ich hoffe, das ist auch beim Zuschauer angekommen. Ich bin stolz, Teil einer so engagierten Sendung gewesen zu sein, die Projekte konnte ich vollen Herzens unterstützen und nicht zuletzt habe ich lauter verwandte, »lebenslustige« Seelen getroffen, die mich persönlich bereichert haben.

Auf einem Segeltörn traf ich eingefleischte Seebären, die mit technischen Studenten und rahkletternden geistig behinderten Menschen ein Team bilden mussten, voll Unsicherheit und gleichzeitig voll zutiefst menschlichen Zugewandtseins. Der Christopher-Street-Day offenbarte hinter dem bunten Spektakel die isolierte Einsamkeit homosexueller Menschen, bestehende knallharte Vorurteile, aber auch die Geschichte zweier Jugendlicher, die mutig zu ihren Bedürfnissen zu stehen wagten. Die besten Szenen des Weltjugendtags kamen spontan und unerwartet zustande, durch inspirierende Begegnungen mit Menschen aus aller Herren Länder.

Ich möchte mich bei allen ZDF-Kollegen herzlich bedanken, die mir sprachunausgebildetem Laien ein »Immer noch ein bisschen besser und lebendiger« abforderten, soweit dies in der knappen Zeit möglich war! Erstaunlich, wie das Material von zwei Tagen Dreh auf zwölf Minuten gekürzt, doch immer die Stimmung und den Kern der Sache traf, erleichternd, wie ich von Kamera, Licht, Ton und Maske ins beste Licht gerückt wurde – ich komme ja doch ganz lebendig rüber!

Die für mich überwältigende Reaktion der Presse auf dieses Experiment des ZDF gibt der innovativen Idee Recht, den Zuschauern eine »andersfunktionelle« Moderatorin zuzumuten, deren natürliche Neugier anzusprechen und nicht vornehme Ausklammerung in falsch verstandener Political Correctness zu üben. In diesem Fall, wie sehr oft in meinem Leben, bin ich nicht erfolgreich trotz, sondern gerade wegen meiner offensichtlichen körperlichen Einschränkung.

Vielleicht verkörpere ich damit für alle das Prinzip, in Ressourcen zu denken und zu handeln und nicht im jammerigen Mangeldenken verhaftet zu bleiben. Lebendigkeit und Ausdruckstiefe begründet sich meiner Meinung nach auf intensives Einlassen auf Erfahrungen (auch die negativen) und visionäre Vorstellungskraft, nicht auf aufgesetzten Zwangsoptimismus oder intellektuell aufgewertetes Problemgeschwafel.

Ich empfinde im Älterwerden zunehmend eine fröhliche Erleichterung, nicht meine Umwelt auf Biegen und Brechen meinen Plänen und Vorstellungen anpassen zu wollen, eher lasse ich jetzt die Ereignisse auf mich zukommen und surfe auf den kommenden Abenteuern und Herausforderungen, auch wenn ich manchmal ganz schön baden gehe!

Vielen herzlichen Dank für diese Welle, ich hoffe, Sie verführen mich zu weiteren »Ritten«!
 
 
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