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2005  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
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Wolfgang Herles

40 Jahre »aspekte«

 
Wolfgang Herles
Wolfgang Herles


Walther Schmieding
Walther Schmieding


Luzia Braun und Wolfgang Herles
Luzia Braun und Wolfgang Herles
 

40 Jahre lang ist »aspekte« immer wieder neu aufgebrochen, das Fernsehen durch kulturelle Kontraste zu bereichern. »aspekte« versteht Kultur nicht als Summe von Fakten und Ereignissen, sondern als den Geschmack, den Sound, die Rhythmen der Zeit. Es hat sich als Journal des wahren Luxus und der Moden ebenso bewährt wie als Instrument des öffentlich-rechtlichen Bildungs- und Informationsauftrags. Ob Kant oder Mozart, Gentechnik oder Fundamentalismus: »aspekte« widersetzt sich bei allem Bemühen um ein Massenpublikum dem bequemen Zugang zu den Themen. »aspekte« ist Spiegel, aber niemals Spielball des Zeitgeistes. Der Aufbruch aus der Enge der Nachkriegszeit, die wilden »68er«, die goldenen Jahre der Republik und ihre Krisen, Nation und Europa, Postmoderne und Globalisierung: Dies alles findet sich in »aspekte« auf umfassendere Weise wieder als in anderen Formaten.

Am 17. Oktober 1965 kam das Kind unter dem Arbeitstitel »Kulturbericht« zur Welt und wurde kurz darauf auf den Namen »aspekte« getauft. Moderator und erster Leiter der Redaktion war Walther Schmieding. Er schaffte es, ein Millionenpublikum für kulturelle Themen zu gewinnen, ohne sich dem Massengeschmack anzubiedern. Ernst Jünger, Zuckmayer, Chagall, Beckett, Böll – wer Rang und Namen hatte, trat bei Schmieding auf. Schmieding, »der Dicke mit der markanten Warze«, wurde zur Kultfigur. Damals kam die Sendung live. Die Form war spartanisch. Vorspann: weiße Schrift auf schwarzer Pappe, Moderation vor grauer Wand. Dazu Prokofjews »Symphonie Classique«, noch weit entfernt vom postmodernen, schräg-ironischen Pfiff aus Beethovens Fünfter.

Mit Walther Schmiedings Nachfolger Reinhard Hoffmeister geriet »aspekte« in den Strudel der Studentenbewegung und stieß dabei manchem Schirmherren des ZDF sauer auf. Hausintern machte das Schimpfwort »Rotz-As« (Rote Zelle »aspekte«) die Runde. Zu allen Seiten ging der »Kulturkampf in Deutschland durch den Magen von ‚aspekte’« (Daniel Cohn-Bendit 2005). Oftmals war »aspekte« Trendsetter und Pionier auf erfolgreichen Programmfeldern. Es erschloss das Thema Archäologie für das Fernsehen und gründete als Spin-off das »Literarische Quartett«. Immer versuchte es den Spagat zwischen populär und elitär, zwischen Mainstream und Avantgarde. Seit sechs Jahren kommt »aspekte« mit erneuertem Konzept aus Berlin. Aktueller, populärer und politischer. Damit gewann das Kulturmagazin 50 Prozent Zuschauer hinzu. Die Erneuerung ist nie zu Ende. »aspekte« ist schneller geworden und kommt seit Sommer 2005 aus der futuristischen Architektur, die I. M. Pei für das Historische Museum in Berlin entworfen hat.

Aber nicht nur »aspekte« hat sich ständig verändert. Die Verfassung des Mediums Fernsehen als Ganzes drängt Kulturjournalismus an den Rand der Hauptprogramme. Die Quote allein ist es jedoch nicht, die »aspekte« ebenso wie den ARD-Kulturmagazinen die Arbeit erschwert. Der allgemeine Bildungsstandard sinkt. Weil immer weniger junge Leute in der Schule Noten lesen und Instrumente spielen lernen, sinkt das Interesse an klassischer Musik. Auf ähnliche Weise leidet die Massenattraktivität von Theater und Literatur. Logischerweise ist auch das Feuilleton davon betroffen. Es ist aber auch eine Gegenbewegung zu beobachten: Bildung gilt wieder mehr – allerdings nur bei den Leistungseliten. Es ist genau jene Bevölkerungsschicht, die ihre Freizeit immer weniger vor dem Fernsehapparat verbringt, passen sich dessen Programme doch dem generellen Trend zur banalen Unterhaltung an. Ein Dilemma für Kulturmagazine wie »aspekte«: Die Kerngruppe schrumpft und wird durch das schlechtere Programmumfeld nicht leichter erreichbar. Dadurch wiederum wird es immer schwerer, im Wettbewerb um Quoten einigermaßen mitzuhalten.

Würde »aspekte« in diesem Rennen sein Anspruchsniveau noch weiter senken, würde es gegen Comedy, Serien-Unterhaltung, Talkshows kaum Boden gut machen, das Stammpublikum jedoch abschrecken. Die vielfältige Spaltung der Gesellschaft lässt sich auch am Auseinanderdriften zwischen den an Bildungseliten und einer intellektuell zunehmend verwahrlosten Masse beobachten. Kulturprogramme in Massenprogrammen leiden darunter. Für das Fernsehen gilt aber letztlich nichts anderes als für jedes attraktive Einkaufszentrum. Zwar machen die Ketten und Supermärkte den großen Umsatz, aber ohne die feinen, teuren Boutiquen ließe die Attraktivität des Ganzen nach. Nicht alles ist am Umsatz zu messen.

Deshalb tut jeder, zumal dem öffentlich-rechtlichen Auftrag verpflichtete Sender gut daran, sein empfindlichstes Kulturformat zu schützen und zu pflegen. Kulturjournalismus ist eben nicht zu kompensieren mit Infotainment. Und umgekehrt wird »aspekte« auch in Zukunft versuchen, eine Brücke zu schlagen zu jenen Zuschauern, die sich nicht täglich mit Kultur beschäftigen. Bei »aspekte« muss niemand das Gefühl haben, in einer abgeschlossenen Kulturveranstaltung gelandet zu sein. Im Unterschied zu anderen, eher am Special Interest orientierten Kulturmagazinen, gewinnt »aspekte« ein Millionenpublikum für kulturelle Themen, ohne sich dabei dem Massengeschmack anzubiedern. Es wird sich dem Populären nicht verweigern, aber auch nicht anstecken lassen vom grassierenden Quotenwahn.

Ein Wunder also fast, dass es »aspekte« überhaupt noch gibt, und noch immer im Haupt-Abendprogramm. Es ist das letzte Magazin seiner Art in einem der großen nationalen Programme in der Primetime. Vergleichbares ist im privaten Fernsehen nicht zu finden. »aspekte« bietet etwas, was das ZDF von anderen Programmen unterscheidet und unverwechselbar macht. In einer Zeit, in der zunehmend hinterfragt wird, wozu Sender Gebühren kassieren, ist das kein schlechtes Argument. Deshalb gehört »aspekte« nach wie vor zum Kern des ZDF-Programms.

Wie lange noch? Die Sendeplatzdebatte ist fast so alt wie »aspekte« selbst. Totgesagte leben nicht länger, wenn sie sich abschieben lassen ins Sterbezimmer der Nacht. Sie dürfen sich mit dem Urteil der Schulmedizin nicht abfinden und müssen ungeahnte Lebenskräfte entwickeln. Dafür ist »aspekte« ein Beispiel.
 
 
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