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Markus Schächter, Intendant des ZDF

Umbruch, Aufbruch, Durchbruch
2010 – Ein Schlüsseljahr auf dem Weg in die digitale Welt

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Markus Schächter
Markus Schächter
 
 Das Jahr 2010 war ein Jahr des Umbruchs in der Medienbranche. Es war damit auch ein Schlüsseljahr zum Beginn eines neuen Jahrzehnts mit einschneidenden Veränderungen. Fernsehen und Internet werden zusehends verschmelzen. Fernsehen wird Teil eines deutlich größeren Markts. Es wird auch Teil eines neuen Ökosystems digitaler Kommunikation. Die Digitale Revolution macht Ernst. Geltende Gewohnheiten der alten Fernsehwelt werden fast ins Grenzenlose erweitert. Daraus ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, allerdings auch neue Probleme. Während an den Stellschrauben des globalen Medienmarkts mächtig gedreht wird, darf das Fernsehen seinen zentralen gesellschaftlichen Kernpunkt nicht aus dem Auge verlieren:

2010 war das Jahr, in dem sich der Internetriese Google anschickte, noch größer zu werden und auch den Inhalte-Markt des TV zu erobern. Auf der Suche nach entsprechenden Bewegtbildern wurde ein erster Großangriff auf etablierte Inhalte-Anbieter gestartet. Das Ziel: als Internetportal im Netz die Definitionshoheit über das Fernsehen zu erringen, um möglichst die gesamte Distributionskette in eigener Hand zu haben. Auch wenn der neue Markteintritt zum Internetfernsehen nicht auf Anhieb gelungen ist, ist doch der Kampf eröffnet und das Szenario absehbar: Wenn die Bildschirme der neuen Generation schon in Kürze internetfähig standardisiert sind, verändern sich Fernseh- und Internetangebot automatisch. Man wird Netz und Schirm zusammen bald ähnlich einfach bedienen können wie das klassische Fernsehen. Ist der Angriff siegreich, kann die Suchmaschine zum gigantischen Staubsauger für sämtliche Inhalte werden. Das Problem: Klassische Sender und etablierte Programm-Macher drohen mit ihren publizistischen Marken auf den Listen des algorithmischen Suchlaufs unter »ferner liefen« zu verschwinden.
2010 war auch das Jahr, in dem das iPad den Markt neu aufgemischt hat: Das flache, leichte Tablet ist E-Reader, Spielekonsole und Arbeitsrechner in einem. Mithilfe von Apps vereinigt es das Beste aus den Print-, Online-, Video- und Spielewelten im Kleinformat. Es ist das erste Gerät, das auf der Couch die Zeitung ersetzen kann. Zur praktischen Handhabung und Vermarktung der neuen Nutzungsmöglichkeiten ist es Apple mit seinem App-Store gelungen, die Gratiskultur im Internet zu verändern: Die relativ einfach geregelte Einkaufsstruktur des Billings kann auch in der breiten Masse reibungslos funktionieren. Ein neues Geschäftsmodell zeichnet sich ab. So bezeichnen deutsche Medienhäuser das iPad schon heute als die wichtigste Innovation der digitalen Zeit. Das Problem hier: Wie verhält sich ein öffentlich-rechtlicher Inhalte-Anbieter mit seiner bereits gebührenfinanzierten, also bezahlten »Ware« in einem offensiv, ja aggressiv expandierenden Markt allgegenwärtiger Bewegtbilder?
2010 war schließlich auch das Jahr des Durchbruchs von Social Media. Das Schlagwort des Jahres hat die gängigen Vorstellungen von Kommunikation komplett auf den Kopf gestellt. Als scheinbar »soziale« Kommunikation steht Social Media in Wirklichkeit für eine hoch individuelle, sehr persönliche, meist subjektive Kommunikation mit all ihren Bedingtheiten und auch Belanglosigkeiten. Fachleute schätzen, dass die Sozialen Netzwerke das Internet tiefprägender verändern als alles, was wir bisher erlebt haben. Mit 500 Millionen »Fans« vereinigt Facebook als netzbasierte Kommunikationszentrale bereits im Jahr 2010 – mit stark steigender Tendenz – mehr Menschen, als Gesamteuropa Einwohner hat. Dabei entsteht durch die Verknüpfung von persönlicher Kommunikation und massenmedialer Nutzung auf einer einzigen Plattform nicht nur eine Art zweites Netz, sondern quasi ein personalisiertes Massenmedium mit einem gesellschaftspolitisch nicht zu unterschätzenden Potenzial. Das Problem für uns: Mit seiner nahezu flächendeckenden Individualkommunikation bedroht Social Media die klassischen Formen und Formate der Massenkommunikation, also jener eigentlichen »sozialen«, gesellschaftsorientierten Kommunikation, bei der das Fernsehen traditionell Leitmedium war und es ist.

Internetfernsehen, App-Store und Social Media sind drei exponierte Beispiele einer neuen Ära, in der die digitale Welt des Netzes unsere Fernsehwelt auf unterschiedliche Weise erreicht, bedrängt, verändert, ja stellenweise umstürzt. Dabei geht es weniger um eine äußerliche Umschichtung von Marktanteilen, sondern um eine substanzielle Umstrukturierung von Massenkommunikation. Die Zeiten des gewohnten Sendesystems »One to many« sind weitgehend vorbei. Im integrierten Hybridfernsehen aus Netz und Schirm entstehen neue Angebotsformen und Nutzungsstrukturen: Die User sind längst keine bloßen Empfänger mehr, sondern suchen ihrerseits das Gespräch mit den Sendern, aber auch mit anderen »Empfängern« – kommentierend, kritisierend, reflektierend, bewertend, aber auch ergänzend und vor allem weiterempfehlend. So können die »heute«-Nachrichten bereits während der Ausstrahlung auf der gleichen Bildschirmseite von Nutzern extern weiter»verarbeitet« werden. So kann Facebook für Dritte aus der Fan-Community zu einem neuen Portal für ZDF-Programme werden, die von ihnen sonst niemals eingeschaltet würden. Allerdings ist man damit auch nicht mehr alleiniger Kontaktgeber und Türöffner für das eigene Programm. Folglich muss sich auch unsere Angebotsstruktur ändern, muss die Ansprache differenzierter und individueller werden, auch wenn der öffentlich-rechtliche Anspruch natürlich gesamtgesellschaftlich, sprich: integral, bleibt.

Doch nicht nur der globale Markt hat im Jahr 2010 die Wettbewerbslage und die eigene Positionierungsfrage weiter zugespitzt. Auch die nationalen Marktentwicklungen und Rahmenbedingungen haben sich strukturell verändert:

2010 war das Jahr, in dem die kommerzielle TV-Konkurrenz in Deutschland ihr erfolgreiches Comeback gefeiert hat: RTL ist zurück. Es hat – trotz Supersportjahr für die Öffentlich-Rechtlichen mit den Olympischen Winterspielen in Vancouver und der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika – seit 2003 erstmals wieder die Marktführerschaft übernommen. Der planmäßige Erfolg ist das Ergebnis einer ebenso radikalen wie konsequenten, sprich: unterhaltungsorientierten, unterhaltungsdominierten Programmstruktur mit einer homogenen, quasi eindimensionalen Zuschaueransprache, also mit einem geringen Publikumsaustausch über den Tag hinweg. Die Konsequenz für uns: Das öffentlich-rechtliche Programmangebot ist als mehrdimensionaler Vielfaltsgarant gerade in Zeiten eines forcierten digitalen Wettbewerbs unverzichtbar gefordert.
Bei einem gleichzeitig rasanten Anstieg des Marktvolumens im Bereich der Fernsehwerbung kann man auch wirtschaftlich von einer Renaissance des Privatfernsehens sprechen. In diesem Kontext war Sat.1 vor allem damit beschäftigt, seinen immensen Schuldenberg zu reduzieren und seinen Aktienkurs zu stabilisieren. Zusammen mit ProSieben, aber ohne den verkauften Nachrichtenkanal N24, kam es zu einer massenattraktiven Programmierung unter weitgehendem Verzicht auf journalistische Konzepte. So betrachtet, beleben die kommerziellen Vollprogramme von heute vielleicht das Geschäft, jedoch weniger den publizistischen Wettbewerb. Die Konsequenz hier: Der gesellschaftliche Programmauftrag ist und bleibt im Bereich der elektronischen Medien nach Umfang, Inhalt und Vielfalt, nach Qualität und Stabilität eine öffentlich-rechtliche Domäne.
Im Printbereich hat das Jahr 2010 den Optimismus in die Zeitungs- und Zeitschriftenbranche zurückgebracht nach dem Motto: »Print is back, Print war nie weg.« Die Verleger sprechen – ähnlich wie die Gesellschafter und Eigentümer der kommerziellen Sender – von rekordverdächtigen Bilanzzahlen. Mit dem Vor- und Kennzeichen des Internetzeitalters trifft das Kunstwort »i-Phorie« genau das neue Hochgefühl der Printbranche. Nach dem Horrorjahr 2009 schauen die deutlich erholten Verlage nahezu »euphorisch« in die digitale Zukunft. Durch das Internet ist auch ihre eigene Branche variabler, multifunktionaler, wettbewerbsstärker und damit zukunftsfähiger geworden. In diesem Entwicklungs- und Erwartungskorridor kaum nachvollziehbar ist die völlig unbegründete Angst einiger Verleger vor den elektronischen Textangeboten von ARD und ZDF, die auf diesem Feld eine geradezu marginale Größe darstellen. Das vom ZDF-Fernsehrat in Auftrag gegebene Goldmedia-Gutachten vom Frühjahr 2010 hatte bestätigt: Ein Verzicht auf öffentlich-rechtliche Onlineangebote würde sich, selbst im größten betroffenen Werbemarkt, dem für Onlinenachrichten, mit marginalen 0,433 Prozent auswirken, wäre also für die Konkurrenz kaum wahrnehmbar.
Mit dem Abschluss des Drei-Stufen-Tests durch den Fernsehrat war das Jahr 2010 auch für das ZDF von richtungsweisender Bedeutung. Es hat künftig Orientierungs- und Planungssicherheit für seine Onlineangebote, also für das mediale Miteinander im Netz in der bisherigen Grauzone zwischen Bild und Text. Wir wissen nunmehr, in welchem Umfang wir uns in der digitalen Welt auf dem Boden unseres Funktionsauftrags und im Rahmen unseres Telemedienkonzepts bewegen können. Alle aktuellen Onlineangebote sind fortan konkret beauftragt und rechtlich abgesichert. Die Weichen sind gestellt und die Wegweiser für eine erfolgreiche Ansprache auch jüngerer Netznutzer beschriftet. Dies ist die gute Nachricht. Die schlechte muss jedem neutralen Beobachter als nahezu grotesk, jedenfalls als widersinnig erscheinen: So mussten alleine im ZDF rund 110 000 Textseiten mit zum Teil zeitgeschichtlich wertvollen Dokumenten aus dem Netz gelöscht werden. Solche Depublizierung zeigt, dass es auch Grenzen gibt im vermeintlich grenzenlosen, omnipräsenten und ubi­quitären Netz. Sie verstoßen eigentlich sogar gegen dessen Prinzip einer denkbar vielfältigen Offenheit. Und so spricht es für den Wert der Inhalte, dass bestimmte Nutzergruppen versuchen, gelöschte oder bedrohte Inhalte wieder ins Netz zurückzuholen oder auf anderem Wege zu sichern. Auch wenn dies illegal geschieht, scheint es doch zu bestätigen: Das Netz hat seine eigene Logik. In ihm geht nichts verloren. Einmal Netz, immer Netz.
Schließlich hat das ZDF, hat das öffentlich-rechtliche System auch durch die Neuordnung der Rundfunkfinanzierung für seine wirtschaftliche Zukunft Sicherheit erlangt: Ende 2010 haben die Ministerpräsidenten die Reform der Rundfunkfinanzierung beschlossen. Sie war durch die Flut neuer multifunktionaler Endgeräte unumgänglich geworden. Ab dem 1. Januar 2013 wird es statt der bisherigen gerätebezogenen Rundfunkgebühr nur noch einen geräteunabhän­gigen Wohnungs- und Betriebsstättenbeitrag geben. Das neue Beitragsmodell ist gegenüber der Erosion des alten Systems alternativlos. Es ist einfacher, effektiver und gerechter. Es entspricht sowohl dem technologischen Fortschritt wie auch der vom Verfassungsgericht immer wieder betonten Entwicklungsgarantie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Somit ist es auch ein tragfähiger Stabilisator für unsere finanzielle Basis: Es macht uns zwar nicht reicher, aber es soll uns auch nicht ärmer machen, sondern solider, belastbarer und damit zukunftssicherer.

Alles zusammengenommen, war das Jahr 2010 mit seinen weichenstellenden und wegweisenden Umbrüchen auch ein Jahr des Aufbruchs: Es hat die Medienbranche in eine neue Umlaufbahn gebracht. Die Korridore einer künftigen Kommunikation haben an Kontur gewonnen. Die massiven Veränderungen schlagen Breschen, setzen Zeichen. Damit die Zeichen nicht zum Menetekel an der Wand werden, hat das ZDF bereits vor einigen Jahren proaktiv seinen Transformationsprozess auf den Weg gebracht. Das Konzept mit dem Kurznamen »Trafo 2012« hat ein ambitioniertes Ziel: den Umbau des alten, vergleichsweise statischen Einkanalsystems »ZDF« zu einem wettbewerbsfähigen Multimediahaus mit digitaler Dynamik. Der Umbau betrifft das gesamte Haus, auf allen Ebenen. Drei Maßnahmen sind dabei von entscheidender strategischer Bedeutung und sollen schon im Jahr 2011 weitgehend umgesetzt sein:

Auf der konzeptionellen Ebene muss das ZDF künftig strukturell beziehungsweise infrastrukturell, dazu technisch, organisatorisch und programmlich auf allen erforderlichen Plattformen präsent sein, sprich: über die passenden Kanäle und Portale seine Inhalte ebenso zielgerichtet wie zielgerecht an die Nutzer bringen. In einer umsichtigen und umfassenden 360-Grad-Strategie geht es um eine crossmediale Produktions- und Verwertungskette, die auf zeitgemäße Weise konsequent und systematisch das öffentlich-rechtliche Leitziel verfolgt, als »Rundfunk für alle« auch im digitalen Zeitalter möglichst die Gesamtgesellschaft zu erreichen.

In dieser Absicht ist das Hybrid Broadcast Broadband TV, kurz: HbbTV, ein zukunftsweisendes Projekt: Es ist der Versuch europäischer Fernsehveranstalter – mit maßgeblicher Beteiligung des ZDF –, der früher oder später erfolgenden Landnahme von Google- oder Apple-TV durch die technische Alternative eines offenen europäischen Hybridsystems Grenzen zu setzen. Das auf der IFA 2010 in Berlin vorgestellte Konzept bietet standardisierte Möglichkeiten, alleine mit der Fernbedienung, also ohne Tastatur und Maus, Fernsehinhalte und Internetangebote zu verknüpfen. Es zielt dabei bewusst nicht auf eine Interaktivität der Massen, sondern auf eine optimierte Interaktivität im traditionellen Kontext eines TV-Programms. Es ist somit der einfachere, logischere und deshalb vielleicht gangbarere Weg in eine digitale Zukunft, in der die Medienwelt nicht alleine den Marktgiganten überlassen werden darf.

Ein bereits etabliertes Grundelement einer solchen Synthese oder Symbiose ist die ZDFmediathek als Flaggschiff unserer digitalen Zusatzangebote. Mit durchschnittlich 23,35 Millionen Sichtungen pro Monat hat sie im Jahr 2010 eine Nutzungssteigerung von 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr erreicht. Die dadurch gewonnene Erfahrung und Erkenntnis, dass das Abruffernsehen für die Zuschauer deutlich an Bedeutung gewinnt, hat das ZDF veranlasst, im Jahr 2011 die Mediathek auch als App-Angebot für alle gängigen mobilen Endgeräte zu präsentieren. Dabei sind uns einige Zuschauer sogar ein Stück zuvorgekommen, indem sie bereits eigene Apps für den Zugriff auf ZDF-Programme selbst installiert haben. Nicht nur die Mediennutzung ist interaktiv, sondern auch die Medienentwicklung.

Ein dritter substanzieller Baustein unserer Transformationssystematik ist die verbreitungstechnische Diversifikation unserer Inhalte durch digitale Kanäle und nichtlineare Portale. Längst ist die zusehends fragmentierte Gesellschaft nicht mehr über ein einziges Hauptprogramm zu erreichen. Darum hatten wir Ende 2009 die Babylonische Gefangenschaft des Einkanalsenders verlassen und unseren vormaligen Dokumentationskanal zum neuen Digitalkanal ZDFneo umgestaltet. Komplementär zum Hauptprogramm ist ZDFneo mit über 30 eigenen Formatinnovationen und über 50 weiteren Synergieprojekten ein qualitätsvolles und innovatives Programmangebot für jüngere Zuschauer. Als Synergie- und Kreativkanal, als Innovations- und Entwicklungsmotor ist er innerhalb von nur zwölf Monaten zu einem sowohl beim Publikum wie auch in der Publizistik außerordentlich neugierig und freundlich aufgenommenen Zukunftsmodell geworden. Mit seinen beachtlichen Zugewinnen im Digitalmarkt liegt ZDFneo quotentechnisch deutlich vor allen anderen Digitalkanälen von ARD und ZDF und spielt als »Aufsteiger des Jahres« bereits in einer Liga mit Sendern wie EUROSPORT oder n-tv, die seit über 20 Jahren auf dem Markt sind.

Der Weg, der mit ZDFneo begonnen wurde, wird 2011 Schritt für Schritt konsequent fortgesetzt: Wie die Synergien der Programmdirektion für ZDFneo sinnvoll verwertet und kreativ weiterentwickelt wurden, wird auch die Chefredaktion im Falle von ZDFinfo sowie die 3sat/ARTE-Direktion mit ZDFkultur verfahren. Dabei entstehen in den Nischen der Digitalkanäle Talenträume für das ganze Haus, die dann auch ins Hauptprogramm zurückstrahlen. Nach erfolgreicher Transformation soll das ZDF 2012 als Programmfamilie für das Digitalzeitalter gerüstet sein: eine homogene Einheit in differenzierter Vielfalt.

All dies kostet Geld, allerdings kein zusätzliches: Die neuen Digitalkanäle sollen aus dem Bestand finanziert werden. Da man Geld allerdings immer nur ein Mal ausgeben kann, müssen Prioritäten gesetzt werden. Entsprechend wird in einer strikten hausinternen Priorisierungsdiskussion genau definiert, auf was wir künftig verzichten, um das, was wir machen müssen, auch solide finanzieren zu können. Dabei geht es um Sendeplätze und ihre finanzielle Ausstattung, um die dazu nötigen Konzepte und Investitionen, um größere Synergiepotenziale und nicht zuletzt um Einsparmöglichkeiten. Unser Haushalt 2011 ist auf Kante genäht. Wir sind an der Grenze unserer ökonomischen Flexibilität angekommen. Dennoch bleibt bei allem Aufbruch in Zeiten des Umbruchs unsere Maxime bestehen: Das ZDF will und wird am Ende der Gebührenperiode eine schwarze Null schreiben und damit als eines der wenigen Fernsehhäuser in Europa schuldenfrei bleiben.

Das Priorisierungskonzept belegt, dass es insgesamt nicht um Expansion geht, sondern um Wertigkeiten und Wichtigkeiten inhaltlicher Art: Programminhalte sind das entscheidende Priorisierungskriterium einer öffentlich-rechtlichen Programmfamilie. So nehmen wir aus allen Neuerungen des Umbruchjahres 2010 dann doch die alte Gewissheit mit: Der Inhalt zählt – »Content matters.« Hier liegt unser Vorteil und unser Mehrwert als Inhalte-Profi gegenüber den technik- und profitgetriebenen »Global Players«. Und hierin werden wir uns gemäß unserem Gesellschaftsauftrag stets von allen nationalen wie internationalen Geschäftsmodellen unterscheiden. Dabei werden wir uns auch weiterhin von der kommerziellen Konkurrenz im eigenen Land abheben: Wir werden Fehler aus den 90er Jahren nicht wiederholen, als wir mit »Me too«-Imitaten unseren eigenen Erfolg zu stabilisieren suchten. Mit einem neuen Programmschema setzen wir 2011 noch exponierter auf die drei Kernkompetenzen des »Public Service«: auf umfassende Information mit Hintergrund, auf orientierunggebenden Service und auf hochwertiges, zeitgemäßes Erzählfernsehen von gesellschaftlicher Relevanz. Das heißt: Wir müssen nicht nur technisch und strategisch, sondern vor allem auch inhaltlich auf der Höhe unserer schnelllebigen Zeit bleiben und den rat- oder orientierungsuchenden Menschen von heute mehr denn je ein zuverlässiger Wegweiser sein und bleiben.

Wie erfolgreich wir dabei sind, sagt uns längst nicht mehr die klassische Quote. Wir begegnen unseren Zuschauern, im Unterschied zu früher, als Kunden und immer weniger als »Masse«. Er hat einen individuellen Zeitplan, der sich auch immer weniger nach einem fixen Programmschema richtet. Und er sitzt kaum mehr im Wohnzimmer auf der Couch, sondern ist ständig unterwegs, mobil mit mobilen Endgeräten. Wir müssen auf ihn zugehen und ihn abholen, wo immer er sich gerade befindet. Dabei verschieben sich einige Parameter erheblich: Fast ein Drittel der Nutzung unserer Satire »Neues aus der Anstalt« findet bereits zeitversetzt statt, also auch mittels Wiederholungen auf anderen Kanälen oder online mithilfe der ZDFmediathek. Dort hatten alle Ausgaben des Jahres 2010 zusammen 3,22 Millionen Abrufe, die »heute-show« sogar 4,27 Millionen. Damit belegen die beiden Satire-Hits im Netz nicht nur obere Plätze, sondern bestätigen auch, dass dort ein anderes Ranking stattfindet als auf dem Bildschirm.

Dies bedeutet: Der Quotenerfolg eines Programms hängt nicht alleine vom Programm selbst ab, sondern maßgeblich auch vom Medium, über das es verbreitet wird. Die Quote des ZDF-Hauptprogramms – das nach wie vor der Kern- und Schwerpunkt unseres Angebots bleibt – besagt, für sich genommen, nur bedingt etwas über den Erfolg der Marke »ZDF«. Man wird TV-Erfolge künftig nicht separat bewerten, sondern muss das gesamte Netzangebot ins Auge fassen. Das bedeutet weiter: Ein nächster Umbruch zeichnet sich in Form einer neuen Quotendiskussion mit neuen Koordinaten ab. Wenn durch die Vielzahl der Kanäle und durch die Vielfalt des Angebots die Quote klassischer Hauptprogramme zwangsläufig sinkt, kann die Programmfamilie sehr wohl dazugewonnen haben.

Dabei geht es nicht um eine neue Additionsakrobatik, sondern um den eigentlichen öffentlich-rechtlichen Auftrag. Er wäre klassisch verfehlt, wenn man sich mit der Erkenntnis begnügte: Fernsehen als Teil des Netzes fördert und forciert durch sein Vielfalts­angebot die Fragmentierung unserer Gesellschaft, sprich: den »Digital Divide«. Dies wäre geradezu kontraproduktiv ohne die zweite Erkenntnis: Das Netz schafft gleichzeitig neue Wege, um dem Integrationsauftrag für die Gesamtgesellschaft zielgerichteter denn je nachzukommen. Aus der herkömmlichen Einkanalstruktur »One to Many« wird die neue Distribu­tionsstruktur »Few to Many«. Von der Ausspiel­basis der Senderfamilie aus sollen über »einige« Verteilwege »viele« Menschen, am liebsten »alle«, erreicht werden. Der »Rundfunk für alle« muss auch, und gerade im digitalen Zeitalter der Globalisierung, in möglichst allen Gesellschaftskreisen ringsum ankommen. Seine Technik ändert sich, auch seine Struktur ändert sich, aber sein Auftrag bleibt. Er muss – so eine alte sizilianische Weisheit – sich ändern, um zu bleiben, was er ist.

Vor diesem Hintergrund haben wir im ZDF die klassische Balance zweier unterschiedlicher, zuweilen gegenläufiger Legitimationen neu zu justieren: die Legitimation einerseits durch publizistische Relevanz gegenüber einem kommerziell dominierten Markt; und die Legitimation andererseits durch gesellschaftliche Akzeptanz als gebührenfinanziertes »Massenmedium« auf eben diesem Markt. Die Messlatte für den öffentlich-rechtlichen Programmerfolg liegt entsprechend hoch: Wir laufen mit jedem Sendetag neu auf sie zu. Wir müssen uns bei diesem Anlauf gleichzeitig 360 Grad um die eigene Achse drehen, ohne die eigene Orientierung zu verlieren. Hinter den täglichen Etappenzielen steht die Gesamtausrichtung auf die hoch komplexe digitale Welt. Für den Weg dorthin sind unsere Wegweiser neu und leserlich beschriftet.
 
 
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