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Eckart Gaddum, Hauptredaktionsleiter Neue Medien

Die »Anarchos« wollen noch mehr
Online 2010 fordert vom linearen TV mehr Mobilität, mehr Flexibilität und vor allem »Marke«

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Eckart Gaddum
Eckard Gaddum
 

Das ZDF ist »drin« – im Netz. Seit 2010 mehr denn je. Politisch haben wir eine nicht heiß geliebte, aber tragfähige Ordnung bekommen. In den Köpfen der Mitarbeiter nistet sich crossmediales Denken ein. Mitten im unruhigen Strom der Entwicklungen im Internet bereiten wir den nächsten Sprung in eine gute Zukunft vor. Und es gibt ein Zauberwort für unseren Erfolg: die »Marke« – im Netz erst recht.

Ein paar Tage im Oktober 2010. Die Welt schaut auf einen Fleck im chilenischen Nirgendwo. Zehn Kameras der EBU (European Broadcasting Union) fangen selbst das unterirdische Gefängnis ein, in dem 33 Bergkumpel seit Wochen gefangen sind. In der Schaltkonferenz der Chefredaktion entscheiden wir, das EBU-Angebot als schlichten Stream ins Netz zu stellen. Nackte Livebilder aus einem Wüstenort am anderen Ende der Welt, mit spanisch sprechenden Menschen – ohne Kommentar, ohne Übersetzer. Kein Mensch im ZDF hätte Vergleichbares als Fernsehübertragung angeboten. Aber der Livestream findet im Netz am Ende mehr Zuspruch als der Stream der dazugehörigen »ZDF spezials« oder die legendäre »Obama-Netz-Nacht« vor zwei Jahren. Ein schöner quantitativer Erfolg. Aber mehr als das: Der Entschluss der Redaktion dokumentiert, dass in diesem Sender »online gedacht« wird. Wir sind »drin« – im Netz sowieso, aber nicht weniger in den (meisten) Köpfen unserer eigenen ZDF-Programm-Macher. Das ist die Standortbeschreibung 2010.

Es gibt viele erfolgreiche Onlineprojekte, die dieses Fazit untermauern könnten. Die Preise, die das ZDF im vergangenen Jahr für seine Online-Ideen und deren Umsetzung bekam, belegen das (siehe Kasten) ebenso, wie die ständig steigende Nutzung der Mediathek und der anderen Portale. Dass wir dabei in der Konkurrenz der Informationsangebote im Mittelfeld liegen, spornt uns nur an. Im Übrigen sind wir nachrichtlich schneller als die meisten Konkurrenten. Wir begleiten TV-Großprojekte wie das »Terra X«-Produkt »Universum der Ozeane« mit einem vielfach beachteten 3D-Auftritt im Netz. In der Selbstverpflichtung für die Jahre 2011/2012 sagt das ZDF mehr »Interaktivität« und »Crossmedialität« zu. Mit anderen Worten: Wir versprechen, das Netz ernst zu nehmen.

 

Online-Preise für das ZDF
 

Eckart Gaddum

Dabei spielen die Sozialen Netzwerke eine entscheidende Rolle. Sie sind die Diskussionsräume der Moderne. Wir generieren deshalb längst ganze Fernsehsendungen nur aus Online und organisieren einen interaktiven »Dialog« zwischen TV und Sozialen Netzwerken. Menschen, die im Begriff sind, sich medial von dem klassischen Informationsmedium Fernsehen zu verabschieden, schickt heute.de zwei Mal am Tag politische und gesellschaftlich relevante Fragen auf ihren Facebook-Account. So organisieren wir auch fernab von Fernsehgerät und Startseite Meinungsaustausch über Rente, Hartz IV oder Integration. Und als ZDF-Korrespondent Stephan Hallmann Mitte des Jahres in eindringlichen Reportagen aus dem pakistanischen Katastrophengebiet berichtete, fanden seine täglich mehrfach verschickten, knappen Twitter-Botschaften eine zusätzliche, eigene Netzöffentlichkeit. »Eine neue Form von Journalismus!«, rief dem ZDF-Mann das mediale Echo zu. Eines der vielen Beispiele für die wachsende Selbstverständlichkeit, mit der sich das ZDF auf die Netzöffentlichkeit einlässt. Mit anderen Worten: Wir sind »drin« – mit unseren Inhalten und unserem gesellschaftlichen Auftrag, der im Netz mehr denn je Geltung haben muss.

Wir sind »drin«! Das lässt sich seit 2010 auch als gesicherte Zukunftsperspektive ausrufen. Möge niemand von Redakteuren Begeisterung für Telemedienkonzepte, Drei-Stufen-Tests und Depublizierung erwarten! Sie kosteten Geld, das man lieber ins Angebot gesteckt, Zeit, die man lieber dem Nutzer geschenkt und Kreativität, die man lieber ins Erstellen statt ins Unsichtbarmachen von Inhalten investiert hätte. Lange Listen von Artikeln zu Sport, Politik, aber auch Kinderthemen, mussten zum großen Teil händisch aus dem Schaufenster des Angebots entfernt und zugleich möglichst intelligente Automatismen zum künftigen Umgang mit neuen Stoffen implantiert werden. Nicht nur die Onlinejournalisten des ZDF, auch viele Nutzer empfanden den Drei-Stufen-Test als eine Versündigung an der Grundidee des Netzes, Inhalte frei und wann immer nutzen zu können – gebührenfinanzierte allemal. Zuschriften und Protestmails aus der Netzgemeinde belegen ein weit verbreitetes Unverständnis. Und dennoch kann man unter dem Strich sagen: Jetzt wissen wir, woran wir sind. Mit dem Regelwerk zur Verweildauer und erlaubten Inhalten können wir ein glaubwürdiges und konkurrenzfähiges Angebot im Web machen. Die aufgeregte Diskussion um Sein oder Nichtsein der Öffentlich-Rechtlichen im Netz hat eine wichtige und entscheidende Etappe genommen. Das Jahr 2010 hat eine, wenn auch nicht heiß geliebte, so doch akzeptable Ordnung gebracht.

Wir sind »drin«! Das heißt auch: mitten im stets unruhigen Strom der Entwicklung im Netz. Dieses Medium lebt von ständiger, nervöser Bewegung. Onliner sind ohne ordentlich linearen Programm-ablauf unterwegs – das macht uns zum Dauer-Anarcho in einem sonst durchstrukturierten Medienhaus. Unsere User verfolgen eine Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika auf mehreren Plattformen zeitgleich – Livestream, Twitter, Facebook, Chat –, das muss Einkanalplaner irritieren. Selbst die agile ZDF-Medienforschung hat noch nicht alle Winkel der Spezies »User« auszuleuchten vermocht. Das macht Unberechenbarkeit zu dem einzig verlässlichen Charakteristikum dieses Mediums. Für das Jahr 2010 gilt es zwei Strömungen zu beachten:

Die Markterfolge von iPads und Apps legen interessante Facetten zum Nutzungsverhalten offen. Das iPad lädt die Nutzer ein, sich mit Zugriff auf (vom Hersteller) begrenzte Inhalte zufrieden zu geben. Apps sortieren die schwer überschaubare Netzwelt in leicht konsumierbare Häppchen. »Das (offene) Netz ist tot«, mutmaßte einmal mehr die amerikanische Zeitschrift Wired. Andere prophezeien die organisierte geistige Verarmung durch den Schleusenwärter Apple. Wie auch immer: Beide Innovationen sind erfolgreich, auch weil sie ganz offensichtlich ein Bedürfnis nach Vorsortierung und Orientierung erfüllen.

Der Anteil der Nutzer, die ein Onlineangebot wie eine Zeitung »durchblättern«, geht zurück. Längst kommt mehr als jeder dritte Besucher unserer Angebote über gezielte Google-Anfragen, nicht über die Startseiten von heute.de oder ZDF.de. Das in sich geschlossene Design einer Site verliert gegenüber einer klaren, leicht zu erfassenden Struktur für Seiteneinsteiger in unsere Inhalte an Bedeutung. Suche, Auffindbarkeit und Mobilität von Inhalten werden Schlüsselbegriffe von ernst zu nehmen.

 

Das ZDF und das World Wide Web
 

Eckart Gaddum

Wie begleiten wir den Nutzer auf seinem Weg in dieses sich verändernde mediale Konsumverhalten? Die technischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist das Eine. Vor allem aber kann die Antwort auf beide Strömungen nur heißen, dem Nutzer die Zuverlässigkeit, Qualität und Vertrautheit anzubieten, die er aus der linearen Welt kennt. Die »Marke« ist der entscheidene Träger dieser Eigenschaften. Das ZDF hat viele davon. Es muss sie nur konsequent netzgerecht konfektionieren.

Mag sein, dass Text dabei nach wie vor ein zentraler Anker beim Konsum von Netzinhalten ist. Doch die Zukunft gehört dem Bewegtbild, auf das wir unsere Entwicklung ausrichten müssen. Alle Zahlen, alle Perspektiven technischer Entwicklung für mobile und andere Plattformen belegen das. Wenn wir es richtig anstellen, arbeitet die Zeit für uns.

Schließlich: Wir sind »drin« – in der Strukturdebatte. Die richtige Arbeitsorganisation ist mehr als ein lächerliches Spielfeld strukturverliebter Bürokraten. Eingefahrene Apparate sind mächtig, zäh und schlucken viele gute Ideen effektlos weg. Sie blockieren Zukunft. Wer das ZDF deshalb inhaltlich zukunftsfähig aufstellen will, muss es strukturell modernisieren. Online hat ein vehementes Interesse daran. Dazu gehört, dass sich die verantwortliche Hauptredaktion Neue Medien selbst als eine Struktur des Übergangs begreift. Das Ziel, in integrierten, crossmedial ausgerichteten Redaktionen aufzugehen, gehört zum Selbstverständnis der Hauptredaktion. Genauso müssen sich TV-Redaktionen in Organisation und Know-how neu erfinden. Im Jahr 2010 ging eine Arbeitsgruppe »tivi.de/Kinder und Jugend« an den Start. Sie soll beide Einheiten zu einer zusammenführen. Es gibt weitere Initiativen, die auf gemeinsame redaktionelle Verantwortung für Online- und TV-Inhalte abzielen. Die Richtung, in die es geht, zeichnet sich ab.

 
 
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