ZDF.de                 Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2010  
ZDF Jahrbuch
Themen des Jahres
Markus Schächter
Kurt Beck
Carl-Eugen Eberle
Christoph Hamm
Dennis Wiese
Claudia Ruete/
Peter Wagner
Matthias Haedecke
Ariane Vuckovic/
Kristina Keppler
Hans Joachim Suchan
Ruprecht Polenz
Eckart Gaddum
Karin Müller

Karin Müller, Hauptredaktion Neue Medien, Redaktion zdf.de

Fernsehen und Online wachsen zusammen
Das neue Wissensformat

PDF 
 
Karin Müller
Karin Müller



Der Zuschauer als Schildkröte ...
Der Zuschauer als Schildkröte ...


... oder als Weißer Hai im Kelpwald
... oder als Weißer Hai im Kelpwald


... oder auch als Thunfisch
... oder auch als Thunfisch


Schwarzer Raucher in der Tiefsee
Schwarzer Raucher in der Tiefsee


Buckelwal im Atlantischen Ozean
Buckelwal im Atlantischen Ozean


Anaglyphe 3D-Darstellung eines Schwarzen Rauchers
Anaglyphe 3D-Darstellung eines Schwarzen Rauchers


Zum Erkennen der räumlichen Tiefe ist eine Rot-Cyan-Brille erforderlich
Zum Erkennen der räumlichen Tiefe ist eine Rot-Cyan-Brille erforderlich


Hauptmenü mit Auswahl der Habitate
Hauptmenü mit Auswahl der Habitate


Ein Buckelwal schwimmt am Tauchboot vorbei
Ein Buckelwal schwimmt am Tauchboot vorbei
 

Der Transformationsprozess im ZDF basiert auf der Erkenntnis, dass die bimediale Nutzung von Fernsehen und Online eine immer bedeutendere Rolle spielen wird. Ein neues Wissensformat als Beispielprojekt zur Förderung des »360-Grad-Blicks« beschreibt im Folgenden Karin Müller aus der Hauptredaktion Neue Medien.

Die kleine Schildkröte schwimmt um ihr Leben. Sie muss sich ihren Weg durch den Kelpwald in den freien Ozean bahnen, Nahrung finden und den Gefahren, die überall lauern, ausweichen. Plötzlich nähert sich von rechts ein weißer Hai – wird die Schildkröte ihm entkommen können? Was nach einer spannenden Tierdoku klingt, ist noch viel mehr. Denn der Internetnutzer betrachtet das Treiben unter Wasser nicht einfach nur am Bildschirm, er selbst ist die Schildkröte.

Aus ihrer Perspektive oder der eines anderen Meeresbewohners erlebt der Nutzer vor dem Bildschirm das größte Ökosystem der Erde hautnah. Dieser interaktive Zugang ist der Kern des Onlinebegleitangebots zum Dreiteiler »Terra X: Universum der Ozeane – Mit Frank Schätzing«. Mit einer aufwändigen 3D-Unterwasserwelt sorgte die Redaktion zdf.de Anfang Oktober für Aufsehen. Sie ermöglichte es den Internetnutzern, auf eine faszinierende virtuelle Tauchfahrt zu gehen und fünf verschiedene Lebensräume zu erkunden. Mit einer passenden 3D-Brille ist die Erfahrung sogar noch intensiver: Mit dem räumlichen Sehen kommt beim Zuschauer das Gefühl hinzu, tatsächlich unter Fischen zu sein und hautnah die Faszination und die Gefahren der Meere zu durchleben. Ganz nebenbei lernt der Online-User Schwarmverhalten, Lebensräume und Lebenszyklen unterschiedlichster Tiere in den Weiten der Weltmeere kennen. Schnell vollzieht sich der Rollenwechsel vom Jäger zum Gejagten: Eben noch steuert man die kleine Schildkröte, schon geht man als hungriger Hai auf Beutefang. So anregend und fast beiläufig kann Wissensvermittlung im Internet sein, inhaltlich gestützt von einer Hochglanzdokumentation im TV-Programm.

Für die Redaktion zdf.de bedeutete dieses Projekt, bekannte Wege der Aufbereitung von TV-Inhalten im Internet zu verlassen und völliges Neuland zu betreten, sowohl technisch als auch inhaltlich. Immer begleitet von der Frage, ob dieses Angebot sein Publikum findet und ein narrativ-unterhaltender Ansatz überhaupt der richtige Weg ist. Ein Risiko, das es in jedem Fall Wert war einzugehen. Wir konnten bei diesem Projekt Erfahrungen sammeln, die in vielerlei Hinsicht wertvoll waren: Angefangen vom Umgang mit stereoskopem 3D über Programmierung und Entwicklung einer komplexen Unterwasserwelt bis hin zur Zusammenarbeit mit der stoffführenden TV-Redaktion. Dabei hat sich beispielsweise gezeigt, dass die Einbindung von Online in ein solches Produkt eigentlich viel früher stattfinden muss, als es hier der Fall war. Im Idealfall sollte dies bereits in der Konzeptionsphase geschehen, um Synergien bei der Produktion nutzen zu können.

Unsere Erfahrungen beim Schätzing-Projekt fließen nahtlos ein in eine Fragestellung, die uns schon länger beschäftigt: Wie können sich die Kompetenzen in der Wissensvermittlung von TV und Online auch abseits solcher aufwändigen Produktionen ergänzen? Wie kann dauerhaft ein Angebot aus einem Guss entstehen? Dieser Herausforderung stellt sich das Transformations-Projekt »Wissensformat«, an dem Vertreter aus allen Bereichen des Senderverbundes mitarbeiten: Die Hauptredaktion Kultur und Wissenschaft, 3sat, die Redaktion Umwelt, die Hauptredaktion Kinder und Jugend, der ZDFinfokanal, die Hauptredaktion Aktuelles, die Formatentwicklung, das Geschäftsfeld Bildgestaltung und die Hauptredaktion Neue Medien. Seit drei Jahren ist »Transformation« das beherrschende Schlagwort in der strategischen Ausrichtung des ZDF. Viele Kollegen arbeiten daran, Fernsehen und Online immer enger zusammenzubringen. Das geplante Wissensformat ist eines der drei »inhaltlichen Beispielprojekte«.

Hilfreich für uns: Ein Kernansatz der Transformation ist in der Redaktion zdf.de in vielen Projekten gelebter Alltag. Neben dem Schätzing-Projekt haben bereits die Sendungen »ZDF log-in« und »Was nun, …?« eindrücklich aufgezeigt, wie redaktionsübergreifende crossmediale Arbeit aussehen kann. Während »ZDF log-in« als neuartiges Gemeinschaftsprojekt des »Länderspiegels«, des ZDFinfokanals und der Redaktion zdf.de politische Entscheidungsträger unmittelbar und live mit Fragen und Meinungen aus dem Internet konfrontierte, zeigten die »Was nun, …?«-Sendungen rund um die Bundespräsidentenwahl, wie ein bewährtes Format ganz selbstverständlich und unaufgeregt durch Fragen aus dem Netz bereichert werden kann.

Beides sind gelungene politische Formate, bei denen die Meinung des Publikums unmittelbar in die Diskussion im TV zurückfloss – aber kann das auch bei Wissensthemen funktionieren? Wer genau hinschaut, findet sehr schnell auch hier spannende Kontroversen: »Grippeimpfung – ja oder nein?« oder »Atomkraft – Fluch oder Segen?«. Ganz zu schweigen von Gentechnik, Stammzellenforschung und Präimplantationsdiagnostik – die Themenfülle ist gigantisch und bietet Stoff für viele spannende Sendeminuten im TV und Online. Beide Plattformen werden von Anfang an bedacht. Das Wissensformat soll über alle technischen Grenzen hinweg erkennbar sein und gleichzeitig die Stärken, aber auch die medialen Eigenheiten von TV und Online beachten. Hinzu kommt: Für TV zu entwickeln heißt heute auch die Bespielung der Digitalkanäle mitzudenken, so wie ein erfolgreiches Onlineformat über die eigenen Seiten zdf.de und heute.de hinaus immer auch auf YouTube, Twitter und die Sozialen Netzwerke wie Facebook schauen muss. Keine leichte Aufgabe.

Im Vorfeld musste geklärt werden, mit welcher Art von Wissen wir uns überhaupt beschäftigen wollen. Gut zu wissen ist schließlich auch die Zusammensetzung der Bundesregierung oder der aktuelle Tabellenplatz von Mainz 05.

Wissen, das war schnell klar, braucht für das neue Format einen wissenschaftlichen Bezug. Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge sollen erklärt werden. Damit das Format richtig gut wird, braucht es aber mehr als die trockene Erklärung: Kontrovers, relevant, infektiös, unterhaltend, ehrlich, einordnend und immer mit Wow-Effekt soll das Ergebnis sein. Die Zielgruppe: 20- bis 50-Jährige, mehrheitlich eher männlich, formal höher gebildete (Abi plus), aktive, technikaffine Zuschauer/Nutzer. Soweit die Rahmenbedingungen.

Das Herzstück des Wissensformats soll der so genannte bimediale Beitrag sein. Im Klartext: Der TV-Beitrag wird im Internet mit weiterführenden Informationen ergänzt. Und zwar zielgenau dort, wo diese Infos benötigt werden. Spricht ein Experte über den CO2-Abbau durch Meeresalgen, wird im Internet genau an der Stelle eine Infografik zu Photosynthese und CO2 angeboten. Ganz praktisch läuft das so ab, dass beim Klick auf ein kleines Vorschaubild der Beitrag stoppt und die Erklärgrafik erscheint. Verlässt man die Grafik, läuft der Beitrag weiter. Um das zu schaffen, braucht man ein völlig neues Erzählen, sozusagen ein bimediales Storyboard.

Kein Herz funktioniert ohne ein ausgeklügeltes Netz an Venen und Arterien. Rund um den bimedialen Beitrag werden weitere Formatelemente entwickelt. Um im Bild zu bleiben: Die Arterien (führen das Blut vom Herzen weg) sind originelle Videos, die sich gut im Internet verbreiten lassen und im Idealfall zum Selbstläufer werden. Sie sollen die Idee des gesamten Formats nach außen tragen. Die Venen (führen das Blut zum Herzen) sind die Interaktion mit dem Nutzer. Sie führen dem Herz des Formats neue Inhalte zu: Das Thema der Sendung wird vorab im Onlineangebot diskutiert, die Reaktionen werden in einem TV-Beitrag aufgenommen oder in einem Videoblog aufgegriffen. Nach der Ausstrahlung im TV wird die Diskussion im Netz weitergeführt. So fließt der Blutkreislauf ständig weiter. Eine Redaktion steuert als Herzschrittmacher den Verlauf der Diskussion, hält ihn eng am Thema und empfiehlt weiterführende Links zu Internetseiten, Foren und Blogs.

Wie die Wissenschaft lebt auch Crossmedia vom Experiment. Auch wir forschen weiter. Profitieren werden TV und Online gemeinsam – vor allem aber die ZDF-Zuschauer, die – wie schon im Beispiel unserer 3D-Unterwasserwelt – ihr Wissen erweitern und sich selbst einbringen können.

 
 
zum Seitenanfang