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Stephan Denzer, Hauptredaktion Show, Teamleiter Kabarett & Comedy

Lachen lohnt sich
Die neue Lust auf Kabarett & Comedy

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Stephan Denzer
Stephan Denzer



Ausgezeichnet! Die »heute-show«-Moderatoren Oliver Welke und Martina Hill
Ausgezeichnet! Die »heute-show«-Moderatoren Oliver Welke und Martina Hill


Das Personal der »heute-show«: Christian Ehring, Ulrich van Heesen, Tina Hausten und Oliver Welke
Das Personal der »heute-show«: Christian Ehring, Ulrich van Heesen, Tina Hausten und Oliver Welke


Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig (rechts) ist neuer Partner von Urban Priol in der Politsatire »Neues aus der Anstalt«
Frank-Markus Barwasser alias Erwin Pelzig (rechts) ist neuer Partner von Urban Priol in der Politsatire »Neues aus der Anstalt«
 

Die Krise ist vorbei – bankrotten Staaten und hilflosen Banken wurde geholfen, Deutschland gewinnt den Eurovision Song Contest 2010, der Aufschwung ist da und das ZDF wird Humor-Meister. Satiresendungen wie »Neues aus der Anstalt« und die »heute-show« setzen neue Benchmarken für Kabarett und Comedy im Fernsehen, der Glaube an intelligente Unterhaltung wächst wieder, die Freude ist groß, die Menschheit gerettet – wir sind Papst und wir sind lustig.

Ja, wir müssen uns immer noch an all die Ironie, Heiterkeit, den Biss und manche Albernheit gewöhnen. Jahrelang fiel uns die leichte Muse besonders schwer – wir wollten ernst sein, während andere Spaß hatten. Unsere Hilfs- und Mutlosigkeit drückte der in Blei gegossene Satz »Das ZDF hat ein Humordefizit« aus. Technokratisches Deutsch, verbales Botox, das menschliche Lachmuskeln für Monate lähmen konnte. Draußen in der Welt des Humors rief man also: »Yes, we can!«, drinnen klang es zu oft »Yes, we gähn!«.

Das Jahr 2007 brachte dann eine erste humorvolle Erfrischung. Nach einigen Versuchen mit fiktionalen Comedys beschloss der ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut, ein politisches Kabarettformat zu starten. Schon sieben Sendungen später erhielten Urban Priol und Georg Schramm für »Neues aus der Anstalt« den Deutschen Fernsehpreis, begleitet von einem durchweg positiven Medienecho. Die wichtigsten Erfolgsfaktoren des Programms waren zwei herausragende Protagonisten, ein Budget, das gute Produktionsbedingungen und damit gutes Fernsehen ermöglichte, sowie viel Mut, gepaart mit Gelassenheit, um das scharfzüngige, bissige Kabarett Monat für Monat auszuhalten. Die völlig normale Anstalt ZDF hatte plötzlich eine Anstalt von scheinbar Wahnsinnigen, die respektlos kein Blatt vor den Mund nahmen. Hinter der gespielten Gestörtheit steckte fast immer die bittere Wahrheit und eine bisweilen hochkonzentrierte Dosis Moralin Forte. In der Kantine und auf den Fluren des »Sendezentrums eins« wollte man nicht glauben, dass dies so ganz ohne großen Ärger ging. Das Gefühlspektrum der Kollegen reichte von Zuspruch und Freude über Neugier bis hin zu Mitleid, es klang in etwa wie das Raunen auf Mainzer Fastnachtssitzungen – »Uiuiui« und »Auauau« – nur nüchtern.

Heute ist »Neues aus der Anstalt« eine starke Programm-Marke des ZDF, eine Trumpfkarte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und zugleich quantitativer wie qualitativer Marktführer im politischen TV-Kabarett. Nach dem Ausscheiden von Georg Schramm begann die Sendung im Oktober 2010 einen neuen Lebensabschnitt in einer neuen Partnerschaft. Mit Frank-Markus Barwasser in seiner Figur »Erwin Pelzig« konnte ein herausragender Kabarettist und Journalist mit einer unverwechselbaren Hut- und Handtaschenmode für die Sendung gewonnen werden. Damit erschlossen sich ganz neue Krankheitsbilder rund um den zerzausten Anstaltsleiter Urban Priol und sein kleines Ensemble von konsequent eigentümlichen und chronisch kritischen Anstaltsinsassen.

Nun gut? Keineswegs! Das ZDF muss und will etwas gegen den Verlust von jungen Zuschauern tun. Darüber hinaus haftet dem Sender seit Jahren ein Image an, das einen chronischen Mangel an Spaß, Heiterkeit und Leichtigkeit aufweist. Da der Humor der unter 50-Jährigen jenseits des ZDF seit zwei Jahrzehnten weitgehend durch Comedy geprägt wurde und diese Zuschauer ein großes Interesse an Programmen zum Lachen haben, lag es nahe, aufbauend auf dem Erfolg von »Neues aus der Anstalt«, auch eine jüngere Zuschauergruppe anzuvisieren. Zum Glück waren wir aus heutiger Sicht offensichtlich vom Wahnsinn oder der Euphorie unserer kabarettistischen Nervenklinik befallen, sonst hätten wir ein derart schwieriges Programm wie die »heute-show« wohl kaum gewagt. Wie sollte man jüngere Zuschauer für ein politisches Programm gewinnen? Wie konnte man dem von Kritikern gefeierten Vorbild der »Daily Show« aus Amerika gerecht werden? Wir hatten gerade mal ein sehr gutes Fahrrad gebaut, nun standen wir vor den Konstruktionsplänen eines Humor-Boliden und fragten uns, wo die Pedale hin sollten. Heute fährt in punkto Programmqualität die »heute-show« in der höchsten Gewinnerklasse: Deutscher Comedypreis 2009, Adolf Grimme Preis 2010, Deutscher Fernsehpreis 2010 und Deutscher Comedypreis 2010. Dazu erklingen nahezu hymnische Lobeslieder in der Presse. Qualitativ ist die Satiresendung mit ihrem Anchor Oliver Welke also ohne Zweifel ein großer Erfolg, quantitativ übt sie sich im Bezug auf die Einschaltquoten noch in Bescheidenheit. Die Analyse ist leicht: Der Humor der »heute-show« zielt auf jüngere Zuschauer, die mittlerweile dem ZDF zahlreich den Rücken kehren. Zweitens schwindet seit Jahren das Interesse an Politik und somit die Grundlage für eine breite Akzeptanz der Sendung. Schließlich stellen der Sendeplatz, die Formatlänge und die weit weniger anspruchsvollen Konkurrenzprogramme die wohl größte Herausforderung dar. Also Schluss mit lustig?

Würden wir die »heute-show« deshalb aufgeben, wir würden eine immer noch sehr lebendige Hoffnung begraben, wieder mehr junge Menschen für Politik interessieren und gewinnen zu können. Wir gäben eine Sendung auf, die kreativ und innovativ den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag verkörpert. Denn inmitten eines Marktes von banaler Lachware positioniert sich die ZDF-Nachrichtensatire als ein heiteres, werteorientiertes Informations- und Comedyprogramm oder, kurz gesagt, als Format mit Public Value. Und noch mehr: Die »heute-show« setzt einen Akzent hin zu einem frischeren, jüngeren Image, sie ist damit trotz ihrer noch ausbaufähigen Quotenbilanz im Hinblick auf die mittelfristigen Unternehmensziele des Senders wichtig.

Der Prozess der Verjüngung unserer Programme scheint hier also wieder einmal so schwer wie der Stein des Sisyphos – mit dem großen Unterschied, dass die Sendung mit ihrem Moderator Oliver Welke und seinem Team aus exzentrischen Reportern uns bei der Arbeit lachen und Spaß haben lässt. Es entstand hier ein (kleiner) Raum für die in Deutschland oft nicht messbare Qualität der Eigenironie. Der Humor der »heute-show« zielt nämlich nicht nur auf die Schwächen von Politikern oder Wählern, er macht auch vor unseren eigenen ZDF-Sendungen, -Gremien oder -Moderatoren, sogar vor unschuldigen, süßen Mainzelmännchen nicht halt: Sich selbst nicht so ernst nehmen, über die eigenen Schwächen schmunzeln – vielleicht eine Art Lachtherapie, die viele Kraftanstrengungen der Zukunft leichter erscheinen lässt. Oder mit den Worten der Süddeutschen Zeitung: »Wenn Welke und seine Mannschaft gut in Form sind, dann knallt es richtig am späten Freitagabend, dann bekommen fast alle ihr Fett weg, dann kann sich so mancher als bissig eingestufter Kabarettist ein ordentliches Scheibchen bei den Satirikern vom öffentlich-rechtlichen Dienst abschneiden.«

Die Zeitung attestiert der Satiresendung damit ein weiteres wesentliches Qualitätsmerkmal: ihren Mut. Auf diese Tugend sollten wir uns besinnen, wenn wir den Prozess der Innovation und Modernisierung fortsetzen wollen. Das lernen wir an »Neues aus der Anstalt« und auch von der »heute-show«. Wir müssen mehr Mut als bisher beweisen. Qualitativ hochwertige Comedy hat im ZDF nicht nur eine Daseinsberechtigung, sondern eine Schlüsselfunktion im Hinblick auf die dringend notwendige Imagekorrektur des Senders. Keine doofe Lachware, keine derben Schenkelklopfer, sondern gut gemachte Sendungen mit Humor brauchen wir, quer durch alle Genres. Die Spaßgesellschaft der 90er Jahre hat sich überlebt, die Lust am Lachen bleibt aber auch in Zukunft ein zutiefst menschliches Grundbedürfnis. Der Kabarettist und Comedian Dieter Nuhr drückt es etwas bissiger aus: »Das wirklich Komische ist, dass diejenigen, die das Ende der Spaßgesellschaft fordern, immer so aussehen, als ob sie noch nie Spaß gehabt hätten.«

Wie aber können Comedy oder Kabarett im ZDF in der Zukunft aussehen? Erstes, unverzichtbares Kriterium: Die Sendungen und Humorformen brauchen eine herausragende Qualität innerhalb ihres jeweiligen Genres. Über Nichts lässt sich so sehr streiten, wie über die Frage, was »lustig« oder »humorvoll« ist. Die damit verbundene zutiefst subjektive Debatte bringt schnell und unreflektiert immer wieder das Urteil »niveaulos« hervor. Oft genug wurden so Künstler oder Sendeformate von Kritikern zerrissen, die sie Jahre später mit gezielt eingesetztem Gedächtnisverlust lobten. Dieser subjektiv-geschmacklichen Betrachtungsweise können wir zuerst durch das Feedback der Zuschauer in der Medienforschung und dann erst durch Preise oder ein positives Presseecho begegnen.

Zweitens müssen wir Comedy- und Humorformate finden, die heiter, schräg und gerne auch wild die Themen und Werte eines öffentlich-rechtlichen Senders vertreten. Hier kann der 2011 startende Kabarett-Talk mit Erwin Pelzig einen weiteren Beitrag leisten. Es bleiben darüber hinaus breite Spielmöglichkeiten, zum Beispiel bei Sitcoms, Serien, Comedy-Events, Wissenssendungen, Late-Night-Formaten. Zudem lassen sich Satire oder Comedy-Elemente in die bestehenden Sendungen mit Erfolg integrieren. Gelungene Beispiele wie die Rubrik »Toll!« in »Frontal 21« belegen dies seit Jahren. Zuletzt ist die Erkenntnis wichtig, dass jede Form von Programminnovation immer auch zuerst eine Investition sein wird.

Die Entwicklung von erfolgreicher Comedy ist besonders risikoreich, langwierig und kostenintensiv. Sie lohnt sich aber, weil jeder Erfolg Zuschauer durch das Lachen gewinnen und sie in besonderer Weise binden kann.
 
 
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