ZDF.de                 Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2010  
ZDF Jahrbuch
Programme des Jahres
Thomas Bellut
Peter Arens
Alexander Hesse
Dirk Steffens
Hiltrud Fischer-Taubert
Reinhold Elschot
Stephan Denzer
Margrit Lenssen/
Jens Ripke
Peter Frey
Theo Koll
Dunja Hayali
Michael Opoczynski
Henriette de Maizière/
Marcus Niehaves

Theo Koll, Leiter der Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen

Neue Impulse in der Politikberichterstattung
Inhaltliche Qualität und Glaubwürdigkeit

PDF 
 
Theo Koll
Theo Koll
 

Politikmüdigkeit ist passé. Ob nun bei der Schulreform in Hamburg oder dem Bahnhofs­umbau in Stuttgart – immer mehr Menschen suchen wieder die direkte politische Teilhabe. Für die Politikberichterstattung heißt das, erklärende Einordnungen zu bieten, auch mittels neuer, partizipativer Formate.

Es ist Wochenende, die Koalitionsspitzen treffen sich im Kanzleramt. Seit Monaten wird das Thema hitzig debattiert, und dann muss – einmal mehr – der Koalitionsausschuss unter Hochdruck und nach überstundenlangem Ringen tief in der Nacht einen Kompromiss gebären. Ob Bankenab­gabe, Haushalts-Sparpläne, längere Laufzeiten für Atommeiler oder neue Hartz-IV-Berechnungen – die politische Geschäftsführung der Republik ist zäh, langwierig und im medialen Schaufenster schwer verkäufliche Ware.

Einerseits erleben wir die Verdrossenheit mit den Parteien und ihrer als mangelhaft wahrgenommenen Problemlösungskompetenz, andererseits aber scheinen viele Menschen gerade jetzt die Politik für sich neu zu entdecken. Die anhaltenden Proteste in Stuttgart, der Volksentscheid gegen die Schulpläne in Hamburg oder die überraschende Mobilisierung im Bundespräsidenten-Wahlkampf – oft sind es bürgerliche Milieus ohne klare Parteienbindung oder für apolitisch gehaltene junge Leute, die sich engagieren. Die politischen Energien scheinen sich neue Wege, neue Öffentlichkeiten zu suchen, die Parteien als die klassischen Player im politischen System können von dieser neuen Form der Teilhabe kaum profitieren. Zudem sind die Umbruchsituationen unserer Gesellschaften immer weniger national definier- und lösbar: Afghanistan, Zuwanderung und Integration, Finanzkrise, Sozial- und Wirtschaftsreformen – Innen ist Außen, und Außen ist Innen.

Die Hauptredaktion Politik und Zeitgeschehen hat sich diesem integralen Politikbegriff durch die Fusion der innen- und außenpolitischen Redaktionen frühzeitig gestellt. Und versucht außerdem, mit erweiterten oder neuen Sendeformaten partizipative Wege zu bieten – um Politik unter Mitwirkung der Zuschauer zu vermitteln.

So wurden beispielsweise die »Was nun, …?«- Sendungen mit den Präsidentschaftskandidaten Wulff und Gauck als Plattform für die Fragen der Zuschauer und Netznutzer angeboten. Auf einer eigenen Internetseite konnten Fragen gestellt, Satzergänzungen vorgeschlagen und gegenseitig bewertet werden.

Zusätzlich erweitern wir derzeit das Sendungskonzept und werden künftig auch thematische Leitfragen stellen, wie »Was nun, Deutsche Bahn?«.

Noch stärker partizipativ ist das Format »ZDF log-in«. Die Spitzenkandidaten oder Generalsekretäre der fünf großen Parteien haben sich anlässlich der Wahl in Nordrhein-Westfalen jeweils eine gute Stunde lang live den Fragen der ZDF-Zuschauer und -Nutzer gestellt. Die Sendung wurde zeitgleich im ZDFinfokanal und online gesendet, Ausschnitte liefen auf YouTube.

Die Nutzergemeinde bescheinigte dem ZDF dabei eine hohe Glaubwürdigkeit und innovative Kraft. Im Zeitalter omnipräsenter Information hat sich dieses Format – wie auch schon bei der Bundestagswahl – der Herausforderung gestellt, Politik verständlich und entlang der Fragen vieler, auch junger, Wähler zu erklären.

Auch die von uns für ARTE produzierte Sendung »Yourope« nutzt diese Verbindung mit dem Zuschauer. Ein eigenes Netzwerk meinungsstarker Europäer kommt regelmäßig per Videobotschaft zu Wort.

Auf der Homepage und bei Facebook wird die Diskussion im Anschluss an die Sendung fortgesetzt. Auch Themen und Protagonisten werden gezielt im Netz gesucht. Damit wird ein Stück digitales Sozialleben in die TV-Sendung geholt. »Yourope« ist die erste Europasendung für eine globalisiert aufgewachsene Generation – für junge Europäer, die untereinander durch digitale Netzwerke verbunden sind und die ähnliche Erfahrungen und Herausforderungen teilen: Wie vereinbart man Familie und Beruf? Wie prägen Soziale Netzwerke den Alltag? Wie und wo entwickelt sich eine neue Partizipationskultur? Wie gehen Gesellschaften mit den Konflikten um knapper werdende Ressourcen um? Wo und mit welchem Erfolg regiert schonungslose Ehrlichkeit, wo Beschwichtigung? Auch der neu konzipierte »blickpunkt« rundet jeweils das Thema der Woche mit einem vergleichenden »Blick ins Ausland« ab.

Der Vorwurf an die Medien lautet landläufig, sie stürzten sich vornehmlich auf das Interessante und vergäßen das Wichtige. Konflikte und Skandale statt Aufklärung und Analyse. Komplexe Zusammenhänge, wie die schwer durchschaubaren und langwierigen Entscheidungsprozesse der Europäischen Union, entzögen sich der medialen Aufmerksamkeit. Aber gerade hier belegt »heute – in Europa« eindrucksvoll und mit großem Quotenerfolg, wie Tag für Tag der aufklärende Blick hinter die europäischen Kulissen gelingen kann. Und auch das »auslandsjournal« bietet mit seinen XXL-Ausgaben diese vertiefenden Einblicke, setzt erkennbar eigene Schwerpunkte – vom globalen Fußball-Kommerz bis hin zum Krieg in Afghanistan.

Und dann war da noch die Chance der Fußball-Weltmeisterschaft. Natürlich stand das sportliche Ereignis im Vordergrund. Wie aber sollte es möglich sein, den Zuschauern hier in Deutschland Land und Leute wirklich näherzubringen? »24 Stunden Südafrika« war die Antwort. 24 Stunden eines spannenden und wunderbaren Landes im Spiegel seiner Menschen. Die längste Afrika-­Dokumentation aller Zeiten – 24 Stunden nonstop auf dem Infokanal und in Ausschnitten mehrmals im ZDF-Hauptprogramm. »24 Stunden Südafrika« – weniger eine Sendung als vielmehr ein Ereignis, das auf eine ganz eigene Weise leuchtete und ein Land beleuchtete.

Aber – jede Fußball-WM ist etwas Einmaliges – die Koalitionsrunde im Kanzleramt kommt als politische Routine, immer verbunden mit der Frage: Was ist wichtig, was ist nur Wichtigtuerei? Und wie wird das am besten vermittelt?

Eine wirklich überzeugende Antwort können politische Sendungen nur dann geben, wenn sie Altbewährtes mit Neuem verbinden: Inhaltliche Qualität und Glaubwürdigkeit mit innovativer Präsentation und der Fähigkeit, Bedürfnisse der Zuschauer kreativ umzusetzen.
 
 
zum Seitenanfang