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Dirk Steffens, Redaktion Naturwissenschaft und Technik, Moderator verschiedener Wissenschaftssendungen im ZDF

Miles & More
Bildungsfernsehen für alle

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Dirk Steffens
Dirk Steffens



»Steffens entdeckt«: Ein halb betäubtes, wildes Nashorn wird für den Transport vorbereitet
»Steffens entdeckt«: Ein halb betäubtes, wildes Nashorn wird für den Transport vorbereitet


Gymnastik mit einem Faultier. Dreharbeiten zu »Supertiere – mit Dirk Steffens« im Frankfurter Senckenbergmuseum
Gymnastik mit einem Faultier. Dreharbeiten zu »Supertiere – mit Dirk Steffens« im Frankfurter Senckenbergmuseum


Einträchtig schwimmen Dirk Steffens und ein Kartoffel-Zackenbarsch nebeneinander her. Szene aus »Steffens entdeckt«
Einträchtig schwimmen Dirk Steffens und ein Kartoffel-Zackenbarsch nebeneinander her. Szene aus »Steffens entdeckt«


Dirk Steffens zeigt schickes Schuhwerk
Dirk Steffens zeigt schickes Schuhwerk
 

Wissensvermittlung im Fernsehen kann viele Wege gehen. Der von »Faszination Erde« führt in jeder Staffel rund um den ganzen Planeten. Das kostet Zeit, Geld und Nerven. Warum also machen wir das eigentlich?

Es ist gut gelaufen: Ein Dutzend gebrochene Gesichtsknochen in Griechenland, ein rätselhaftes Tropenfieber in Ruanda, ein Bärenangriff in Alaska, ein gefräßiger Darmparasit in Indonesien und Montezumas Rache in Mexiko. Nach fast drei Jahren als reisender »Terra X«-Moderator, vor allem für »Faszination Erde«, aber auch für »Expedition Erde«, habe ich meinen Job so richtig lieben gelernt. So was kann passieren, die Ganz-weit-weg-Doku birgt halt ganz besondere Gefahren. Aber ebensolche Chancen.

Insbesondere »Faszination Erde« kann aus einem Themenpool schöpfen, der so groß ist wie die Welt. Buchstäblich. Das Format ist eine Art naturwissenschaftlicher Reiseführer, der die Zuschauer in die entlegensten Winkel unseres Planeten mitnimmt und ihnen fakultätsübergreifend erstaunliche Zusammenhänge erläutert: Polynesische Entdecker, die dank des El-Niño-Effektes die halbe Welt umsegeln; Spinnen, die im Jetstream tiefgefroren neuentstandene Inseln anfliegen; tektonische Plattenkollisionen und Erdauffaltungen, denen die japanische Küche ihre ausgefallenen Rezepte verdankt.

Dass »sowas von sowas« kommt, scheint das Publikum genauso zu faszinieren wie uns, die Macher des Programms. Die Resonanz ist erfreulich, hervorragend sogar, auch die beim jüngeren Publikum. Wissenschaft macht Quote! Dabei pflegen die zuständigen Redakteurinnen und Redakteure ein geradezu anachronistisches Berufsverständnis: Sie führen endlose Diskussionen über Inhalte, Fakten und Forschungsergebnisse, weigern sich standhaft, die Realität zu »scripten« und schöpfen ihre Themenideen nicht aus BILD und Gala, sondern aus biologischen, historischen oder geologischen Wissenschaftspublikationen. Es gibt ein Wort für diese Art der Fernsehmacherei, und es ist kein schönes. Sprechen wir es dennoch aus: Wir machen Bildungsfernsehen! Igitt! Und weil es so fürchterlich klingt, gleich nochmal, und jetzt bitte jede einzelne Silbe betonen: Bil-dungs-fern-se-hen! Das hört sich so sexy an wie Zahnschmerz oder Fußpilz, so zielgruppentauglich wie Treppenliftwerbung oder Heizdeckenreklame; es klingt nach staubigem Schulfernsehen, langweiliger Besserwisserei und professoraler Überheblichkeit. Deshalb müsste das Konzept von »Faszination Erde« – die Verknüpfung wissenschaftlicher Erkenntnisse verschiedener Fakultäten in einem regionalen Rahmen – eigentlich ein sicherer Garant für immer neue Abschaltrekorde sein. Ist es aber nicht. Dafür gibt es sicher verschiedene Gründe, etwa die Einbettung in die Erfolgsreihe »Terra X«, aber drei Zutaten, die im Rezeptbuch der Formatköchinnen und -köche stehen, möchte ich besonders hervorheben, weil sie unsere exotische Dokumentationsreihe schmackhaft und bekömmlich machen:

Authentizität
Nach zwei Jahrzehnten »Globetrotting« weiß ich: Reisen bildet nicht! Aber man lernt eine Menge. Zum Beispiel, wie man die Kotztüte in einem Kleinflugzeug benutzt, während der übermütige Buschpilot die Gesetze der Flugphysik empirisch überprüft (gar nicht!); dass die Seekrankheit tatsächlich grün im Gesicht macht (auch gelb!); wie eine auf offenem Feuer gegrillte Vogelspinne schmeckt (wie Shrimps!); oder wie man den Geruch von Tigerpipi aus dem Moderationshemd entfernt (verbrennen!). So was lernt man. Jede Menge nutzloses Zeug also. Wer sich tatsächlich bilden möchte, darf sich keinesfalls aufs Reisen beschränken. Recherche ist gefordert. Man muss dafür lange Wege gehen, viele Leute treffen und noch mehr Fragen stellen. Das ist meistens lästig, oft anstrengend, manchmal zermürbend. Aber es lohnt sich immer.

Natürlich ist die Frage berechtigt, ob es eigentlich vernünftig ist, so viel Zeit und Geld in aufwändige Drehs vor Ort zu stecken. Wir leben ja schließlich in einem Jahrzehnt, in dem jede Doktorarbeit, jeder Forschungsbericht, jedes Studienergebnis nur einen Mausklick weit entfernt ist; in dem Webcams Wildtiere auf den heimischen Schreibtisch zaubern und Wikipedia zu allem und jedem die nötigen Informationen bereithält. Warum sollte man also in dieser modernen und vernetzten Welt endlose Stunden in Flugzeugen, Kleinbussen und Booten verbringen? Warum reiben sich die Kollegen auf im Kampf mit fernen Bürokratien, beschaffen Drehgenehmigungen, führen Übergepäckverhandlungen, kümmern sich um Impfungen, Expeditionsvorbereitungen, Dolmetscher und Stringer? Warum gehen sie das Risiko ein, mit ihrem Dreh zu scheitern, weil Wetterkapriolen, politische Unruhen, Flugausfälle, Reifenpannen, wilde Tiere, Krankheiten, Überfälle, Vulkanausbrüche oder ein korrupter Zollbeamter jede auch noch so akribische Vorbereitung in einer einzigen Sekunde zunichte machen könnten?

Ich bin davon überzeugt, dass Zuschauer ihre Entscheidung, ob sie einem Programm und auch dessen Präsentator vertrauen, ob sie ihm ihre Zeit schenken, überwiegend emotional treffen. Vermitteln muss sich daher unter anderem das Gefühl: Diese Sendung, dieser Film und auch dieser Moderator, die nehmen mich ernst. Die belehren nicht, die interessieren sich. Und vor allem: Die wissen auch wirklich, wovon sie reden, die sind da, vor Ort, die haben nachgefragt und das alles nicht nur »gegoogelt« (das kann der Zuschauer nämlich selbst!). Die sind tatsächlich auf den Vulkan gestiefelt, haben die Schlange wirklich in der Hand gehalten, sind mit Haien getaucht, in die Gletscherspalte gekrochen und auf den riesigen Baum im Regenwald geklettert. Deshalb wissen die, wie heiß es da oben ist, wie giftig die Injektion, wie bissig der Raubfisch, wie brüchig das Eis und wie unerforscht das Blätterdach ist. Und deshalb können sie dieses Wissen auch noch mit persönlichen Erfahrungen anreichern. Das schafft Authentizität und damit Glaubwürdigkeit. Das ist unersetztlich.

Kompetenz
Ich leide regelmäßig unter dem Gefühl, ein bisschen dämlich zu sein. Nun sind Selbstzweifel grundsätzlich ja nichts Schlechtes, aber wenn man Moderator einer Wissenschafts-Dokumentationsreihe ist, dann darf sowas auch nicht überhandnehmen. Schuld an meiner Verunsicherung sind natürlich die lieben Kollegen in München: Ich kann zum Beispiel nicht erschöpfend aus dem Stegreif erklären, warum der durch Vulkanismus hoch gehaltene Phosphorgehalt des Serengeti-Grases die jährliche Wanderung von anderthalb Millionen Gnus triggert; wie genau das Ortungssystem im Gehirn der Meeresschildkröten funktioniert, mit dessen Hilfe die Tiere auch Jahrzehnte nach ihrer Geburt noch exakt an den Strand zurückfinden, an dem sie einst aus dem Ei geschlüpft sind; oder in welcher Form der siebenjährige Rhythmus des Klimaphänomens »El Niño« die Besiedlungsgeschichte Ozeaniens durch die Polynesier beeinflusst haben könnte. Sorry, aber ich muss sowas erstmal nachschlagen. Und wenn Sie das vor einer Themenkonferenz von »Faszination Erde« nicht tun, dann ist das Mist, das kann ich Ihnen sagen!

Denn wenn Sie sich ohne solche Kenntnisse dorthin wagen, dann sehen Sie nach ein paar Minuten ziemlich alt aus, alle verdrehen genervt die Augen und fangen an, mit Ihnen zu sprechen wie mit einem Vorschulkind: »Schau mal Dirk, es ist doch ganz einfach zu verstehen ....«. Das wissen die doch nur, weil sie es gerade selbst irgendwo gelesen haben, versuche ich mich dann zu beruhigen. Aber eigentlich ist das schnuppe, denn wichtig für die Sendung ist nur, dass sie es wissen – und nicht seit wann! So ein Faktenhunger führt letztlich zu einem wahren Fakten-Feuerwerk in der Sendung. In einem einzigen Halbsatz von »Faszination Erde« werden manchmal Gedanken versendet, über die man auch einen kompletten Wissenschaftsfilm drehen könnte. Das kann man kritisieren, man kann es aber auch loben, denn es ermöglicht uns, zwei Rezeptions-Niveaus gleichzeitig zu bedienen. Zum einen erlauben die wuchtigen Bilder dem am Sonntagabend vielleicht noch durch Braten und Kuchen beschwerten Publikum eine eher lässige Rezeption, geprägt von einer trägen Verdauung und einem leichten Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Sie genießen einfach den schönen Film und das Gefühl, anstrengungsfrei vielleicht sogar noch den ein oder anderen Wissenshappen aufzuschnappen. Gleichzeitig können aber auch die hyperaufmerksamen und wissensdurstigen Datenschlucker befriedigt werden, die mit viel Vorwissen einschalten und keine Lust haben, ihre Zeit mit Belanglosigkeiten zu verplempern. Diese Zielgruppe kann ziemlich anstrengend sein, und ich bin ausgesprochen froh darüber, eine Redaktion an der Seite zu haben, in der lauter kompetente Naturwissenschaftler die Themen abklopfen, bevor sie den Weg in unsere Sendung finden. Würden wir pfuschen, liefen uns die »Datenschlucker« davon. Natürlich lassen sich Fehler nie ganz vermeiden. Aber offenbar sind es nicht besonders viele, denn das Format wird akzeptiert, es wird als kompetent und glaubwürdig wahrgenommen. Ein Verdienst der Kolleginnen und Kollegen in der Redaktion Naturwissenschaft und Technik. Danke, Leute! Und versprochen: Ich bereite mich auf die nächste Themenkonferenz wirklich ganz pedantisch vor!

Unterhaltung
Bernhard Grzimek, der für seinen in den 50er Jahren gedrehten Film »Serengeti darf nicht sterben« als erster Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg einen Oscar erhielt, hatte als Erfolgsrezept für Dokumentationen die Formel 70/30 formuliert. 70 Prozent Unterhaltung und 30 Prozent Information! Nicht umgekehrt! So viel zu dem immer wieder vorgetragenen Sermon, früher seien die elektronischen Medien viel ernsthafter und glaubwürdiger gewesen. Das mag in der persönlichen Erinnerung des Einzelnen so scheinen – korrekt ist es aber nicht. Das ZDF war damals noch gar nicht gegründet, die »Tagesschau«, eine filmische Boulevardsendung ohne Sprecher, und investigative Reportagen, gab es gar nicht. Die Frühzeit der Wissenschafts- und Naturdokumentation war vor allem geprägt von dem ungebremsten Willen zu unterhalten, um ein möglichst großes Publikum vor die Mattscheiben oder in die Kinos zu locken. Hans Hass inszenierte seine komplette Reise mit der »Xarifa« wie einen Spielfilm, Walt Disney ließ die Wildnis zu lustiger Musik wild sein, Bernhard Grzimek verpackte seine Tiergeschichten in Spielszenen, in denen er und sein Sohn Michael als Hauptdarsteller fungierten.

Dies folgt der Erkenntnis, dass es nicht aus­reicht, einfach nur möglichst viele Fakten in eine Dokumentation zu quetschen. Man muss diese Fakten auch verdaubar aufbereiten, daher ist die Form der Wissensvermittlung von elementarer Bedeutung. Eine Sendung, die es nicht schafft, gleichzeitig informierend und emotional ansprechend zu sein, hat im modernen TV-Markt nur geringe Chancen. Das kann man bejubeln oder bejammern – ändern lässt es sich nicht.

Grzimek baute in seine Filme bereits Re-Enactment-Elemente ein, als es diesen Begriff noch gar nicht gab. Heute ist »Terra X« im deutschen Fernsehmarkt führend darin, dieses Stilmittel zielgerichtet einzusetzen. Bei seiner später ausgestrahlten Reihe »Ein Platz für wilde Tiere« brachte der Frankfurter Zoodirektor immer ein Tier mit ins Studio und setzte ganz bewusst darauf, dass sich seine »Komoderatoren« während der Livesendung keineswegs an irgendein Drehbuch hielten, sondern jede Menge Unsinn verzapften. Genau diese Unberechenbarkeit machte den Reiz aus. Sie war unterhaltend! Ich kann mich noch heute lebhaft daran erinnern, wie begeistert ich als Kind-Zuschauer jedes Mal war, wenn der Schimpanse nach seiner Brille grabschte oder während der Moderation eine Raubkatze über den Schreibtisch schlich. Grzimeks Konzept war genauso einfach wie genial – und es reichte für drei Jahrzehnte und 175 Folgen.

Natürlich können wir diese alten Ideen nicht einfach kopieren, wir müssen uns schon selber etwas einfallen lassen. Aber das Prinzip bleibt gültig: Ein leichter, ein unterhaltender Rahmen ist die vielversprechendste Form, Bildungsfernsehen massenkompatibel zu gestalten – und das ist schließlich unser Programmauftrag: Bildungsfernsehen für alle! Oder zumindest für möglichst viele. Unterhaltung kann dabei viele Formen annehmen: Sie kann sich als Humor manifestieren oder als formale Flappsigkeit. Sie kann in pompösen Bildern, mit symphonischer Musik, in rasanten Schnitten, exklusiven Einstellungen und digitalen Animationen auftauchen. Sie kann aber auch als gewollte Spannung daherkommen, wie in einem Actionfilm. Das alles ist erlaubt, so lange wir die journalistischen Grundtugenden achten. »In der Form anarchisch, beim Inhalt pedantisch« – so gefällt mir persönlich Bildungsfernsehen am besten.

Bei »Faszination Erde« ist im Idealfall jede Moderation auch eine Aktion, in der ich stellvertretend für die Zuschauer Erfahrungen, Eindrücke und Erkenntnisse sammle. So soll Wissen sinnlich werden. Deshalb blickt mir beim Moderieren manchmal ein Grizzly über die Schulter, deshalb erklären wir die Physik einer Magmakammer auf dem rauchenden Vulkan und die aerodynamischen Fähigkeiten eines Kondors während eines Gleitschirmfluges über den Ebenen Patagoniens. Authentizität, Kompetenz und Unterhaltung – dieser konzeptionelle Glaubens-Dreisatz steht hinter unseren zahlreichen Wissensdokus. Bei »Faszination Erde« ist das so, aber auch bei anderen Formaten, an denen ich mitwirken darf oder durfte. »Expedition Erde« zum Beispiel, die »Supertiere«, »Steffens entdeckt« oder »Natürlich Steffens!«.

Denn wir wollen populär sein und bleiben, wir müssen es sogar, denn sonst wird es für dieses Genre in Zukunft noch schwieriger, sich gegen die wachsende Programmkonkurrenz zu behaupten.

Und was wäre öffentlich-rechtliches Fernsehen ohne Wissenschaftsdokumentationen?
 
 
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