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2010  
ZDF Jahrbuch
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Thomas Bellut, Programmdirektor des ZDF

»Sieh’s mal neo!«
Rückblick auf das erste Jahr

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Thomas Bellut
Thomas Bellut



Die »Mad Men« aus der preisgekrönten Serie: Pete Campbell (Vincent Kartheiser), Harry Crane (Rich Sommer), Don Draper (Jon Hamm), Salvatore Romano (Bryan Batt), Roger Sterling (John Slattery) und Paul Kinsey (Michael Gladis)
Die »Mad Men« aus der preisgekrönten Serie: Pete Campbell (Vincent Kartheiser), Harry Crane (Rich Sommer), Don Draper (Jon Hamm), Salvatore Romano (Bryan Batt), Roger Sterling (John Slattery) und Paul Kinsey (Michael Gladis)


Maite Kelly und Theo West entlarven die Tricks der Industrie:»Da wird mir übel«
Maite Kelly und Theo West entlarven die Tricks der Industrie:»Da wird mir übel«


Serkan Cetinkaya ist Mittelpunkt der schrägen Migrantencomedy »Süper Tiger Show«
Serkan Cetinkaya ist Mittelpunkt der schrägen Migrantencomedy »Süper Tiger Show«
 
 

Eine unserer dringlichsten aktuellen und zukünftigen Aufgaben ist es, den drohenden Generationenabriss aufzuhalten. Bei der behutsamen Verjüngung des ZDF-Hauptprogramms haben wir an einigen Stellen schon erkennbare Erfolge erzielt, jedoch reichen diese noch keineswegs aus. Wir müssen die Verjüngung weiterführen, vorantreiben und ausbauen, um das ZDF bei jüngeren Zielgruppen als bedeutenden und relevanten Sender zu stärken. Aber die Erkenntnis, dass es zunehmend schwierig wird, mit einem Haupt- und Vollprogramm alleine alle Publikumsschichten zu erreichen, führte zu einer weiteren Maßnahme in der strategischen Neuausrichtung des ZDF für die digitale Fernsehzukunft: Unser neuer Digitalkanal ZDFneo ging am 1. November 2009 an den Start.

Die Ziele waren sportlich: ein junges Publikum zwischen 25 und 49 Jahren zu begeistern, neue Zuschauerschichten für die ZDF-Familie und ihr Programm zu erschließen, Innovationsmotor für das Hauptprogramm zu sein und eine attraktive öffentlich-rechtliche Alternative zu den kommerziellen Sendern zu bieten. Mit großem Pioniergeist machte sich das neo-Team rund um Norbert Himmler und Simone Emmelius ans Werk, wohl wissend, dass die Positionierung eines neuen Kanals im unüberschaubaren Senderdschungel der deutschen TV-Landschaft nicht einfach werden würde. Gleich zu Beginn hagelte es Kritik seitens der kommerziellen Sender, die ZDFneo als Bedrohung sahen – ein Zeichen für uns, dass wir mit unserem Vorhaben einen durchaus erfolgversprechenden Weg eingeschlagen hatten. Viel Lob gab es von der Presse: »Klein, aber neo – witzig, cool, europäisch«, »In dubio pro neo« oder »Fernsehen für junge TV-Gourmets« sind nur drei Beispiele für die zahlreichen positiven Schlagzeilen zum Start des Senders.

Eine Aufbruchsstimmung wehte durch die Flure: Die neo-Plakate an der Einfahrt sorgten für kontroverse Diskussionen. Konzeptideen, die bislang nicht zum Sender, zur Zielgruppe oder zum Sendeplatz passten, fanden ihren Weg auf die Redaktionstische. Überall spürte man den Optimismus und die Hoffnung, dass das ZDF durch ZDFneo ein Stück weit bunter, moderner, flexibler und mutiger werden würde.

Ein Jahr nach dem Launch kann man mit Stolz sagen: Wir haben schon sehr viel erreicht! Im ersten Jahr hat ZDFneo seine Zuschauerresonanz kontinuierlich erhöht. Im Oktober 2010 erreichte der Digitalkanal erstmals 0,3 Prozent Monatsmarktanteil, sowohl bei allen Zuschauern als auch bei den 14- bis 49-Jährigen. Somit hatte sich der Marktanteil im Vergleich zum Startmonat verdreifacht – und damit das Quotenziel für das erste Jahr (0,2 Prozent) übertroffen. Besonders erfreulich daran ist, dass das Ziel, mit ZDFneo jüngere Zuschauer zu begeistern, aufgegangen ist. So erreichen wir eine deutlich ausgeglichenere Zuschauerstruktur als im ZDF – und das zu einem beträchtlichen Teil mit Übernahmen aus dem Hauptprogramm, die im modernen Programmumfeld von ZDFneo offenbar auch andere und jüngere Zuschauergruppen ansprechen.

Im Digitalmarkt, also den Haushalten, die ZDFneo empfangen können, erzielte der erfolgreichste öffentlich-rechtliche Digitalkanal 0,7 Prozent bei allen Zuschauern und 0,6 Prozent bei 14- bis 49-Jährigen. Damit ist es ZDFneo in vergleichsweise kurzer Zeit gelungen, länger etablierte Sender wie Das Vierte oder Comedy Central hinter sich zu lassen. Besonders erfolgreich lief ZDFneo in der Primetime ab 21 Uhr mit Krimis wie »Inspector Barnaby«, »Das Duo« oder »Wilsberg«, wo Marktanteile bis zu 1,7 Prozent erreicht wurden. Doch auch im Tagesprogramm führte die Umstellung von horizontaler auf vertikale Blockprogrammierung zu merklichen Zugewinnen. Hier hat sich gezeigt, dass es für kleine Sender sehr viel einfacher ist, Zuschauer mit einer attraktiven Programmfolge so lange wie möglich zu halten, als sie täglich zur gleichen Zeit zum Einschalten zu bewegen.

ZDFneo verdankt seinen Erfolg einer anspruchsvollen und spannenden Kombination der Genres Dokumentation/Reportage/Factual, Comedy/Show/Musik/Talk und Fiktion (Fernsehfilm, Spielfilm, Serie). Die Factual-Entertainment-Formate im ersten ZDFneo-Jahr waren ungewöhnlich, innovativ und nah an der Lebenswirklichkeit der Zuschauer: Menschen am Rande der Gesellschaft gründeten in Berlin einen »Straßenchor«, junge Leute verwirklichten mit originellen Geschäfts-ideen ihren »Plan B«, »Da wird mir übel« riskierte einen erschreckenden Blick auf die industrielle Lebensmittelproduktion, Heide Simonis und Gülcan Kamps wetteiferten als »Promi-Pauker« um den besten Unterricht, ein Hotel wurde nur mit Recyclingmaterialien komplett renoviert. Hier ist es gelungen, ein Genre, das bislang vornehmlich den kommerziellen Anbietern vorbehalten war, mit Anspruch und doch unterhaltsam für das öffentlich-rechtliche Fernsehen zu erschließen. Neben diesen Angeboten bot ZDFneo ein breites Angebot an Reportagen und Dokumentationen. Hier nenne ich stellvertretend für viele weitere Eigenproduktionen die Dokumentation »Brief an die Eltern« – ein berührender Film, für den die junge Autorin mit dem Axel-Springer-Nachwuchspreis ausgezeichnet wurde.

Im Innovationsfeld Comedy und Musik hat ZDFneo – den Interessen der jüngeren Zuschauer folgend – ebenfalls besondere Anstrengungen unternommen: Das »Comedy Lab« mit Klaus Jürgen »Knacki« Deuser bot begabten, aber noch unbekannteren Comedians ein Versuchslaboratorium. Mit der »Süper Tiger Show« holte ZDFneo ein Format aus dem Internet auf die »große Bühne« des Fernsehens und machte den deutsch-türkischen Comedian Serkan Cetinkaya zum Mittelpunkt einer halbstündigen, schrägen Migrantencomedy aus einem Kreuzberger Hinterhofkeller. Unter dem Label »neoMusic« haben wir den Grundstein für ein attraktives, zuverlässig auffindbares Musikangebot gelegt, dessen Spektrum von der Übertragung von Konzertmitschnitten über eine Chartshow bis hin zum Musiktalk reicht. Marta Jandová, schlagfertige Leadsängerin der Band »Die Happy«, ist die Gastgeberin und das Musikgesicht von ZDFneo.

Sicherlich waren nicht alle neuentwickelten Formate Quotenerfolge und sicherlich hat nicht jedes Konzept auf Anhieb wunschgemäß funktioniert. Dennoch wurde hier von allen Beteiligten extrem viel Entwicklungsarbeit geleistet. Wir haben einiges ausprobiert, Mut bewiesen, viele Erfahrungen gesammelt und unsere Kompetenz in Genres ausgebaut, die bislang nicht zu den ZDF-typischen zählten. Eine Investition in die Zukunft und eine erfreuliche Steigerung unserer Innovationsfähigkeit.

Viel Aufmerksamkeit und positives Feedback hat sich ZDFneo durch seine fiktionalen Angebote erworben. Die internationale Kaufserie nach langer »Durststrecke« wieder ins ZDF zu holen – das war schon lange ein großes Anliegen von mir. Mit ZDFneo war das nun möglich, und bei Serienfans ist der Sender mittlerweile zu einer festen und beliebten Adresse geworden. Wir sind stolz, unter anderem die mit mehreren Emmys und Golden Globes ausgezeichneten Serien »30 Rock« und »Mad Men« als Free-TV-Premieren zu präsentieren. Neben weiteren amerikanischen und britischen Serien konnte und kann sich ZDFneo zudem auf ein breites Fundament erstklassiger Fernsehfilme und Spielfilme des Hauptprogramms stützen. Krimis wie »Nachtschicht« und »Inspector Lynley«, aber auch Komödien wie »Bella Vita« oder »Schade um das schöne Geld« erzielten in der neo-Primetime hervorragenden Zuspruch in allen Zielgruppen.

Ohne die Mitarbeit und Unterstützung vieler Abteilungen des Mutterschiffs ZDF ist ein Projekt wie ZDFneo nicht zu stemmen. So hat beispielsweise die Hauptabteilung Kommunikation ein eigenes Marketingteam geschaffen, das mit bunten, originellen und manchmal auch anregend-kontroversen Kampagnen die Etablierung des Kanals vorangetrieben hat. Mit einem Eigenetat von 30 Millionen Euro einen kompletten Kanal zu bestücken, ist schier unmöglich, und trotz höchstem Engagement bei allen neo-Kolleginnen und -Kollegen ist auch im personellen Bereich Unterstützung durch die Redaktionen der Programmdirektion vonnöten. »Synergie« ist das oft missbrauchte, hier aber hundertprozentig zutreffende Stichwort. Sowohl finanziell und personell als auch inhaltlich arbeiten ZDFneo und Hauptprogramm eng zusammen. Es war schön zu beobachten, wie die gesamte Programmdirektion an einem Strang zog, um dem neuen Digitalkanal zum Erfolg zu verhelfen – allen finanziellen Einbußen und Mehrbelastungen zum Trotz. Für alle ein großer Kraftakt, der sich rückblickend auf das erste neo-Jahr aber eindeutig gelohnt hat.

ZDFneo profitiert vom Hauptprogramm, seinen vielen attraktiven und hochwertigen Fernsehfilmen und Unterhaltungsformaten, den Hochglanz- »Terra X«-Dokumentationen und auch den Kultserien, die bei vielen jungen Zuschauern Kindheitserinnerungen und frühe Fernseherlebnisse wieder aufleben lassen. Und auch das Hauptprogramm profitiert von ZDFneo: Formate können hier probiert werden, Erfahrungswerte gesammelt, Protagonisten getestet werden. Das positive Image, das ZDFneo bei jungen Zuschauern hat, wirkt sich spürbar positiv auch auf den Hauptsender aus. Mein Wunsch und mein Bestreben ist es, zukünftig dieses für beide Seiten gewinnbringende Wechselspiel noch weiter auszubauen, zu befördern und zu vertiefen – den Blick ganz klar nach vorn auf Innovation, Verjüngung und Zukunfts­fähigkeit gerichtet.
 
 
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