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2003  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Hans Janke
Hans Helmut Hillrichs
Peter Arens
Hiltrud Fischer-Taubert
Claus Beling
Marita Hübinger/Elke Heidenreich
Claus Kleber
Bettina Schausten
Norbert Lehmann
Matthias Fornoff
Eckart Gaddum

Hans Janke

Von geradezu existenzieller Bedeutung
Zum Stellenwert des Fiktionalen

 
Hans Janke
Hans Janke


»Tod im Park«: Die Kriminalpsychologin Hannah Schwarz (Barbara Rudnik) und ihr Kollege Fuchs (Harald Schrott) hoffen, im Polizeiarchiv fündig zu werden
»Tod im Park«: Die Kriminalpsychologin Hannah Schwarz (Barbara Rudnik) und ihr Kollege Fuchs (Harald Schrott) hoffen, im Polizeiarchiv fündig zu werden


»Geht nicht gibt’s nicht«: Conny (Bernadette Heerwagen) und ihr Freund Mike (Sebastian Ströbel)
»Geht nicht gibt’s nicht«: Conny (Bernadette Heerwagen) und ihr Freund Mike (Sebastian Ströbel)


»Und tschüss, Ihr Lieben«: Barbara (Ulrike Kriener) mit ihrer Schwiegermutter (Eva Pflug, rechts)
»Und tschüss, Ihr Lieben«: Barbara (Ulrike Kriener) mit ihrer Schwiegermutter (Eva Pflug, rechts)


Die furchtbare Diagnose für Judith (Anja Kling) lautet: Brustkrebs. Szene aus »Liebe Schwester«
Die furchtbare Diagnose für Judith (Anja Kling) lautet: Brustkrebs. Szene aus »Liebe Schwester«


»Liebe und Verlangen«: Jeanne (Natalia Wörner) und Puppa (Katja Flint) fühlen sich zueinander hingezogen
»Liebe und Verlangen«: Jeanne (Natalia Wörner) und Puppa (Katja Flint) fühlen sich zueinander hingezogen


Kriminalpsychologe Martin Bach (Christoph Waltz) und Staatsanwältin Julia Stein (Susanne Schäfer) rollen einen Justizskandal auf. Szene aus »Der Mörder ist unter uns«
Kriminalpsychologe Martin Bach (Christoph Waltz) und Staatsanwältin Julia Stein (Susanne Schäfer) rollen einen Justizskandal auf. Szene aus »Der Mörder ist unter uns«
              
 

Als das Jahr 2003 begann, stand es ums Fiktionale im Fernsehen reichweitenerweislich zum Aller- besten, und als es endete, augenscheinlich auch. Der ZDF-Vierteiler »Napoleon« faszinierte im Januar bis zu neun Millionen Zuschauer, und zwölf Monate später fehlte in keiner der Meldungen über den Ruck-zuck-Rauswurf des SAT.1-Geschäftsführers Martin Hoffmann der Hinweis auf jenes »Wunder von Lengede«, mit dem ein Fernsehfilm (zwei Mal 90 Minuten) dem Sender eben erst Höchstquoten beschert hatte. Und war es nicht auch sonst und zum Glück wie immer? Mit den Krimi- serien zum Beispiel, die (man studiere nur den täglichen 18-Uhr-Termin oder den Freitagabend im ZDF), beständig durch und durch, ihr Publikum finden. Mit »Traumschiffen« und (längst geflügelt: pilcheresken) Fernseh-Romanen, die offenbar umso lieber, umso dankbarer entgegengenommen werden, je weiter sie sich vom Schwierigundschönalltäglichen entfernen. Mit dem »Starken Team« und »Bella Block« und »Wilsberg« und »Stubbe« und »Sperling« und dem »Duo« und »Rosa Roth«, die sonnabends (wichtig) auch bei den Jüngeren noch mehr Zulauf fanden als 2002. Mit einzelnen Fernsehfilmen schließlich, die – Sujets und Genres und Spielarten souverän variierend – Geschichten so erzählten, dass ihre Chance beim Publikum zur Chance fürs Publikum wurde, nämlich substanziell unterhalten zu werden. Meine Top Ten 2003 darunter: »Geht nicht gibt’s nicht«, »Nachtschicht – Amok!«, »Ein Albtraum von 3 ½ Kilo«, »So schnell du kannst«, »Liebe Schwester«, »Tod im Park«, »Und tschüss, Ihr Lieben«, »Der Mörder ist unter uns«, »Gefährliche Gefühle«, »Liebe und Verlangen«, »Mord im Haus des Herrn«. Ein schöner Strauß, der wie manche (preisgekrönte) Produktion mehr – von »Unter Verdacht« bis »Berlin is in Germany« beispielsweise – zeigt, dass und wie sehr diese Spezies blüht.

Alles in Ordnung also und, um einen alten summarischen Begriff zu verwenden, das Fernseh-Spiel in fabelhafter Verfassung und ergo die Selbstverständlichkeit selbst? Nein, so leicht können wir uns den Freispruch nicht machen – leider und glücklicherweise. Binsenbanal, dass zum Kanon eines jeden Programms, das auf sich hält, Fernsehfilm und Fernsehserie gehören. Beider Spezifik entspricht ja in hohem Maße dem Medium, das sie hervorbringt, und zugleich der Erwartung, die das Publikum diesem Medium gegenüber hegt. Da trifft sich folglich etwas, perfekt geradezu. Und der Stoff, aus dem die Fernsehfiktion kommt, geht gewiss so wenig aus wie die Möglichkeiten seiner Bearbeitung und wie das Talent dazu. Die hübsche Aussicht, gerade mit dem Fiktionalen, wenn es nur genügend originell und vor allem originär in Erscheinung tritt, einen ganzen Sender überzeugend mitzuprofilieren, tut ein Übriges, und alles Regelmäßige und Repertoiretüchtige, programmplanerisch wie programmwirtschaftlich natürlich enorm belangvoll, kommt geradewegs bedeutungssichernd hinzu.

Dennoch ziehen sich leichte Risse durchs derart imponierende Bild, und ein Schatten legt sich darauf, der sich nicht einfach mal überpinseln lassen will. Die Quellen dieser (hoffentlich produktiven) Verunsicherung sind ökonomischer und, denke ich, durchaus auch fernsehrezeptorischer (vielleicht gar gesellschaftlicher) Natur. Fernsehfilme sind (legt man den schnöden, tendenziell teuflischen »Tausenderkontaktpreis« zu Grunde) ziemlich teure Produkte. Ihre Programmpremiere jedenfalls ist extrem kostspielig (und erst Wiederholungserfolge lindern diesen Kosten-Schmerz gelegentlich bis zur schieren Wonne). Sie haben zudem jene konkurrenzverursachte verrückte Verteuerung noch immer nicht gänzlich hinter sich, noch immer nicht vollends eingefangen (vor zwei Jahren noch brachten es ARD, ZDF, RTL, SAT.1, ProSieben auf zirka 350 einschlägige 90-Minuten-Produktionen), die nun aber flagrant quersteht zu dem aktuell-akuten Erfordernis, dramatische Einnahmerückgänge und wenig erbauliche Etatlagen nach Kräften auszugleichen durch eine Programmbeschaffung frei von Großzügigkeiten jeglicher Art .

»Mehr für weniger!«, heißt die Devise. Andersherum betrachtet: Wer jetzt ein großes oder noch größeres Geld auf fiktionale Produktionen setzt, bleibt von (mitunter angstvoller) Übererwartung nicht frei – er muss unter allen Umständen ans Ziel kommen, dorthin also, wo Attraktion und Akzeptanz eins werden und der gewünschte Wirkungsüberschuss in Gestalt überdurchschnittlicher Marktanteile und ebensolcher öffentlicher Beachtung und/ oder verbriefter Relevanz zuverlässig eintritt.

Zum anderen – Stichwort: Fernsehgewohnheiten – lässt sich der unbehagliche Eindruck so leicht nicht wegbringen, womöglich gar empirisch bestätigen, wonach die Fiktion im Fernsehen teils inflatorisch geschwächt (es war des Guten zumal im weniger Guten eben zuviel), teils präferenzüberlagert (regelmäßig besetzt bekanntlich ein bestimmtes Quiz die ersten Plätze), teils um seine Alleinstellung gebracht erscheint (von Leben und Tod, von Liebe und Leid, vom Tragischen und Komischen handeln schließlich längst und überdies in sehr konsumablen Portionen tägliche Soaps und tägliche Talks, der allgegenwärtige Boulevard und das sich ausbreitende Docutainment und Comedy/Dramedy sowieso). Singularität ist unter solchen Umständen schwer zu haben und noch schwerer zu behaupten – auch im Doppelsinn notabene: Es kommt ja heute auch sehr darauf an, mit welchem Image von Erfolgsinteressantheit ein Stück Fernsehen auftritt, was ihm also nachgesagt, zugesprochen und – infolgedessen! – zugetraut wird. Da gibt es, Medienmacher wie -beobachter wissen es, ziemliche Konjunkturen (und auch die sprichwörtlichen Ritter fehlen beiderseits nicht).

In diesem Getümmel, diesem Gemenge, in diesem nie abgeschlossenen Prozess hat sich die Fernsehfiktion immer noch einmal kraftvoll und selbstbewusst sowohl zu positionieren wie voranzubewegen. Die Kraft kommt aus dem (künstlerischen) Vermögen, worüber Autoren, Regisseure, Darsteller, Dramaturgen und Produzenten zuverlässig verfügen; das Selbstbewusstsein aus dem unbestritten eindrucksvollen programmgeschichtlichen Großkapitel, das sich mit dem Geschichtenerzählen als fernsehkultureller Errungenschaft seit je und bis heute verbindet, und – nun neuerlich von geradezu existenzieller Bedeutung – aus einem öffentlich-rechtlich approbierten Verständnis von Qualität im Fernsehen, die sich in vielen einzelnen Produktionen manifestiert, und so insgesamt in einer Programmarbeit non profit, aber von fraglos gebührlichem Wert.

 
 
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