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2003  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Hans Janke
Hans Helmut Hillrichs
Peter Arens
Hiltrud Fischer-Taubert
Claus Beling
Marita Hübinger/Elke Heidenreich
Claus Kleber
Bettina Schausten
Norbert Lehmann
Matthias Fornoff
Eckart Gaddum

Marita Hübinger/Elke Heidenreich

Telefonate über das »Lesen!«
Ein Auszug

 
Marita Hübinger
Marita Hübinger


Elke Heidenreich
Elke Heidenreich


Elke Heidenreich im Gespräch mit Marcel Reich-Ranicki
Elke Heidenreich im Gespräch mit Marcel Reich-Ranicki


Belesene Gäste: Joschka Fischer bei Elke Heidenreich
Belesene Gäste: Joschka Fischer bei Elke Heidenreich
              
 

Mittwoch, 5.11., Marita ruft an

M: Na, bist du zurück aus Beirut?
E: Ja, und ich bin gar nicht zum Lesen gekommen, war so anstrengend.
M: Noch haben wir ja Zeit. Hast Du den Halbbruder gelesen?
E: Wann sollte ich denn?
M: Weil du immer zuviel machst. Du sollst lesen.
E: Ich hab Louis Begley gelesen. Das ist richtiger Altherrenmist.
M: Ich finde Louis Begley toll.
E: Hast Du Schiffbruch gelesen?
M: Nein, aber …
E: Dann lies Schiffbruch. Du wirst schon sehen.
M: Gut, wir telefonieren morgen wieder. Polgar ist klar?
E: Polgar ist klar.

Donnerstag, 6.11., Elke ruft an

E: Na? Hast du Schiffbruch gelesen?
M: Hab ich. Du hast Recht. Fürchterlich. Machen wir nicht. Hast du den Halbbruder gelesen?
E: Der hat achthundert Seiten oder so, wann sollte ich denn?
M: Denk mal nach über Leon de Winter.
E: Warum soll ich denn über Leon de Winter nachdenken?
M: Ich lese gerade Malibu, das ist wirklich gut.
E: Ich lese gerade Der Tänzer von Colum McCann, das ist Weltklasse.
M: Nurejew. Soll ich das lesen?
E: Aber sofort.
M: Polgar ist klar?
E: Polgar ist klar.

Montag, 10.11., Marita ruft an

M: Na, schönes ruhiges Wochenende gehabt?
E: Der Tänzer ist grandios. Das nehmen wir.
M: Hast du Charles Simmons gelesen?
E: Ich hab Lebensfalten und Salzwasser gelesen und dann Das Venus-Spiel in die Mülltonne geschmissen. Alte Männer und Sex, das ist furchtbar, siehe Begley. Nun auch Simmons.
M: Nein, du sollst Belles Lettres lesen, das ist eine Satire auf den Literaturbetrieb.
E: Das nehmen sie uns wieder übel, wenn wir so was machen. Ist aber egal.
M: Hast du den Halbbruder gelesen?
E: Nein, aber den Schädlich. Schönes Buch, aber das ist nichts für unsere Zuschauer.
M: Lies mal den Halbbruder.
E: Du ewig mit deinem Halbbruder.
M: Es ist ja nun nicht mein Halbbruder.
E: Freuen wir uns eigentlich über das Bambi oder ist das peinlich?
M: Freuen. Immer freuen. Und lies mal Véronique Olmi.
E: Meeresrand?
M: Nein, Nummer sechs.
E: Das wäre schon wieder Kunstmann. Aber so was muss uns egal sein.
M: Ja, ist es auch. Lies mal. Ist schön.
E: Und du liest mal den Tänzer.
M: Polgar ist aber klar, oder?
E: Polgar ist klar.

Donnerstag, 13.11., Marita ruft an

M: Der Tänzer ist großartig. Aber hast du nicht Bedenken mit dem Schwulenkapitel? Das ist hart, oder?
E: Das ganze Leben ist hart. Sex ist hart. Aber hier ist wenigstens nichts schmierig und lüstern. Ich sage nur Simmons und Begley. Kennst du Updikes Brasilienroman?
M: Furchtbar. Magst du eigentlich Lolita?
E: Natürlich nicht. Ich liebe Nabokov, aber Lolita finde ich scheußlich.
M: Den Tänzer machen wir.
E: Finde ich auch. Und die Olmi ist gut. Hab ich gelesen.
M: Machen wir auch. Lies endlich Simmons.
E: Ich habe William Trevor gelesen. Ich bin unentschlossen. Hat was Zähes.
M: Aber Polgar ist klar?
E: Polgar ist klar.

Samstag, 15.11., Elke ruft an

E: Malibu ist gut. Zäh am Anfang, aber dann gut.
M: Finde ich auch. Ist zwar schon vom Frühjahr, sollten wir aber machen.
E: Balzac ist aus dem 19. Jahrhundert und ist immer noch gut. Das ist alles kein Kriterium.
M: Hast du den Halbbruder
E: Jetzt hör doch mal auf mit deinem Halbbruder!
M: Ist der neue Makine gut oder Kitsch?
E: Eher Kitsch.
M: Dann lies jetzt mal den Simmons.
E: Ich lese aber gerade Barbara Gowdy.
M: Trist, was?
E: Wenn Frauen zu viel lieben.
M: Machen wir als Hörbuch Roger Willemsen?
E: Machen wir. Karneval der Tiere, Roger im Frack, das passt zu Weihnachten.
M: Polgar ist okay, oder?
E: Polgar ist okay, schon wegen Senta. Wien.
M: Dann lies jetzt den Simmons.
E: Oder den Halbbruder.
M: Den schaffst du doch schon nicht mehr.
E: Pah. Was weißt du, was ich schaffe.

Und so geht das weiter, Tag für Tag. Und wir lesen, und draußen saust das Leben vorbei, und wir telefonieren, und der Halbbruder liegt immer noch da. Ich lese Simmons und amüsiere mich königlich, Senta Berger sagt zu, mit dem Polgar-Lesebuch in die Sendung zu kommen. Wir verlieben uns in die liebevolle Ausgabe von Marlene Dietrichs Adressbuch, in rotem Samt bei Transit erschienen, und langsam wächst die Sendung zusammen. Die ersten Buchhändler rufen ungeduldig an: Welche Bücher macht ihr? Wir wollen erst ganz sicher sein.

Eine Woche vor der Sendung schreiben wir es ins Internet: Wir machen Colum McCann, Der Tänzer, Charles Simmons, Belles Lettres, Véronique Olmi, Nummer sechs, Hörbuch von Willemsen, wir erwähnen Leon de Winter und Marlene Dietrich; und Polgar, ja, Polgar ist sowieso klar. Und dann geht es an die nächste Sendung. Herrlich. Bloß der Halbbruder, tja, der ist jetzt »durch«.

 
 
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