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2003  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
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Hans Helmut Hillrichs
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Marita Hübinger/Elke Heidenreich
Claus Kleber
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Norbert Lehmann
Matthias Fornoff
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Norbert Lehmann

Die Alltagshelden
»ZDF.reporter«: Einblicke in die deutsche Lebenswirklichkeit

 
Norbert Lehmann
Norbert Lehmann
              
 

Das Wort »Alltag« klingt irgendwie langweilig – vor allem für TV-Journalisten, die doch so gerne in der Weltgeschichte herumreisen und dabei vor allem das sensationell finden, was besonders exotisch erscheint. Dagegen: Alltag gleich alltäglich, immer wieder das Gleiche, keine Abwechslung – gähn, Langeweile. Von wegen! Alltag ist spannend, interessant, höchst unterschiedlich, macht neugierig. Politik in Berlin und Geschichten aus aller Welt sind interessant und wichtig. Aber am meisten interessiert die Menschen das, was vor der eigenen Haustür passiert, was sie direkt berührt und betrifft, wie sich politische Entscheidungen von »denen da oben« auf »die da unten« auswirken – auf ihren Alltag, auf ihre Lebenswirklichkeit.

Alltag und Lebenswirklichkeit sind die beiden zentralen Begriffe für uns »ZDF.reporter«. Reportagen über Menschen in und aus Deutschland, erzählt an Einzelbeispielen. Die Hauptdarsteller, die Protagonisten sind meistens Menschen wie du und ich, die anderen Menschen bei ihrer Arbeit, in ihrem Alltag begegnen. Die Landärztin in Mecklenburg-Vorpommern bei ihren Patientenbesuchen, die Sozialarbeiterin in Berlin bei der Betreuung junger Mütter, die Frau vom mobilen Pflegedienst in Rentnerhaushalten, der Notarzt im Rettungshubschrauber beim Unfalleinsatz, der einsame sauerländische Bauer auf Brautschau in Polen – das sind unsere »Alltagshelden«, wie die Süddeutsche Zeitung jüngst unsere Hauptdarsteller nannte.

»ZDF.reporter« ist ein Reportage-Magazin. Unsere Berichte sind deutlich länger als die der meisten anderen TV-Konkurrenten. In 45 Minuten vier bis fünf Reportagen, manchmal sogar eine ganze Viertelstunde nur für ein einziges Thema. Wir nehmen uns Zeit, um erzählen zu können, um Menschen emotional zu öffnen, um sie dem Zuschauer näher zu bringen. Hektische Videoclips gibt es bei anderen – bei uns dominieren ruhige Kamerabewegungen und ruhiger Schnitt. Wir beobachten, lassen Menschen reden und agieren, mischen uns selten ein, bevormunden nicht.

Also: ein Reportage-Magazin, aber kein »Report«, wie aus Mainz oder München, kein Politmagazin. »ZDF.reporter« ist deshalb aber nicht unpolitisch. Im Gegenteil: Wir zeigen, wie sich die Entscheidungen der Politik auf die Menschen auswirken, wie gesellschaftliche und ökonomische Entwicklungen den Alltag hierzulande bestimmen und verändern. 2003 war das Jahr der großen politischen Reformdiskussionen – wir schauen auf die Probleme. Etwa beim Thema Rente: Schon heute leben Millionen alter Menschen am Rande der Sozialhilfe. Welche Folgen hat es, wenn dann Renten gekürzt werden? »Tiefe Teller oder flache Teller?« – fragt in einer Reportage über Klein-Rentner ein alter Mann seine Frau. Warum? Tiefe Teller bedeuten wieder einmal billiger Eintopf, flache Teller verheißen Fleisch, Kartoffeln, Gemüse, also ein bisschen »Luxus«. Die Rentenreform entscheidet über die künftige Lebensqualität von Millionen alter Menschen hierzulande – eben über tiefe oder flache Teller. Bei uns kommt kein Minister, und auch kein Bundeskanzler zu Wort. Bei uns reden die Menschen, deren Alltag, deren Lebenswirklichkeit durch die Entscheidung des Ministers oder des Kanzlers verändert wird.

Der Alltag der Menschen hierzulande ist oft spannend und manchmal auch richtig kurios – und dennoch nicht belanglos. Eine meiner Lieblingsreportagen klingt beim ersten Hören des Titels ziemlich belanglos: »Schrubben, Saugen, Ledern – ein Wochenende in Deutschlands größter Autowaschstraße«. Aber: Was man da alles erleben kann! Wie der Vater am Samstag den Wagen wäscht und dabei zugibt, mehr Zeit für des Deutschen liebstes Kind zu opfern als für seine Kinder. Oder der junge LKW-Fahrer, der seinen Truck stundenlang schrubbt und ledert – weil er Angst hat, seinen Job zu verlieren. Ein blitzblanker LKW, so sagt er, macht was her – beim Kunden, aber auch bei seinem Chef. Autowaschen für den Arbeitsplatz also. Alltagsbegegnungen, die vielsagend sind.

Die »ZDF.reporter« schauen selten ins Ausland – die Zeit rund um den Irak-Krieg war eine Besonderheit. Natürlich haben auch wir aus dem Krisengebiet, aus den USA, aus Großbritannien und natürlich auch aus Deutschland berichtet. Aber Auslandsreportagen sind und bleiben bei uns die Ausnahme, kommen nur, wenn es deutsche Bezüge gibt. Zum Beispiel: Deutsche auf Mallorca, die dort unterhalb des Existenzminimums leben. Oder deutsche Rentner, die in die Türkei umziehen, weil sie dort für weniger Geld besser leben können als hierzulande. In der Regel ist »ZDF.reporter« ein reines Deutschland-Magazin. Deshalb arbeiten wir eng mit den ZDF-Landesstudios zusammen. Denn die Kollegen dort wissen, was sich vor Ort tut, sehen Geschichten und erleben Menschen, die wir aus dem fernen Mainz nicht wahrnehmen können. »ZDF.reporter« hat mehr »Bodenhaftung« bekommen – die Inlandstudios haben einen gehörigen Anteil daran.

Geschichten aus dem Alltag heißt: Reportagen aus ganz Deutschland. Die Lebenswirklichkeit in den ostdeutschen Ländern verdient eine besondere Betrachtung. Wir wollen die Probleme der Menschen dort zeigen, aber auch ihre Chancen, ihren Mut, ihre Beharrlichkeit. Beispiel: die Reportage »Goodbye, Genschmar«. 15 Minuten über die Bewohner eines Dorfes, tief im Osten, mit der höchsten Arbeitslosigkeit Deutschlands – über 60 Prozent! Der Ort vergreist, die Jungen ziehen in den Westen, weil es keine Jobs gibt. Aber in unserer Reportage tauchen kaum »Jammer-Ossis« auf, sondern Menschen, die es trotz aller widrigen Umstände packen wollen, nicht aufgeben, den Mut nicht verlieren. Oder unsere Reportage über einen rollenden Tante-Emma-Laden in Mecklenburg-Vorpommern. Der Hauptdarsteller, unser »Alltagsheld«, fährt mit uns über das Land und zeigt uns dabei die Probleme der Menschen, die auch seine sind. Weil er als Besitzer des rollenden Tante-Emma-Ladens davon abhängig ist, was die Leute an Geld in der Tasche haben. Der Osten, seine Probleme und Chancen aus der Sicht der Menschen dort – das macht es für manchen »Wessi« einfacher, die »Ossis« verstehen zu lernen.

»ZDF.reporter« versuchen auch, jüngere Zuschauer anzusprechen. Etwa durch die Begleitung einer Gruppe Jugendlicher bei ihren »Jack Ass«-Abenteuern – bei verrückten Mutproben der modernen Art. Durch eine Geschichte über den harten Alltag der Boygroup Before Four oder durch einen Film über die Arbeit von Sozialarbeitern auf der Kieler Woche, die den Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen bekämpfen. Und wir versuchen über ein anderes, begleitendes Medium, jüngere Zuschauergruppen anzusprechen – über das Online-Angebot. Der Internetauftritt der »ZDF.reporter« ist modern, manchmal unkonventionell bis schräg. Die dreiköpfige Online-Crew versteht es, immer wieder hunderte von Usern nach unserer Sendung durch interessante Gäste in den Internet-Chat zu holen. Auf große Resonanz stoßen die Online-Sommeraktionen der »ZDF.reporter« – mit zehntausenden von Internetkontakten. Beispiel: »In 80 Tagen um die Welt« – ein Online-Reporter macht sich auf die Spuren Jules Vernes und reist einmal um den ganzen Globus, finanziert seine Tour auch durch Gelegenheitsjobs, berichtet und kommuniziert darüber täglich via Internet. Preisgekrönt wurde dieses Jahr die »ZDF.reporter«-Sommeraktion »Der Mietmensch«: Ein Online-Reporter bietet sich im Internet als Tagelöhner für alle möglichen Jobs an, die User entscheiden über das, was er wo zu machen hat. Die Arbeit wurde belohnt: mit dem Grimme-Online-Award 2003.

 
 
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