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2003  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Hans Janke
Hans Helmut Hillrichs
Peter Arens
Hiltrud Fischer-Taubert
Claus Beling
Marita Hübinger/Elke Heidenreich
Claus Kleber
Bettina Schausten
Norbert Lehmann
Matthias Fornoff
Eckart Gaddum

Peter Arens

»Unsere Besten - Wer ist der größte Deutsche?«
Die ZDF-Zuschauer verhindern den Untergang des Abendlandes

 
Peter Arens
Peter Arens


Wer sind nun »Unsere Besten«?
Wer sind nun »Unsere Besten«?


Wer sind nun »Unsere Besten«?
Wer sind nun »Unsere Besten«?
              
 

Es fing an mit einem liebenswürdigen Eklat. Dass auf der ZDF-Vorschlagsliste zu den größten Deutschen im August 2003 auch Wolfgang Amadeus Mozart vertreten war, sorgte in Österreich für Furore: »Jetzt wollen’s uns auch noch unseren Wolfi wegnehmen«, giftete die Wiener Kronenzeitung. Historisch war die Einstufung Mozarts als Deutscher allerdings korrekt, gehörte das Fürstbistum Salzburg, wo Mozart 1756 geboren wurde, doch damals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Außerdem sah sich der geniale Komponist als Bürger von »Teutschland«, seinem »geliebten vatterland«. Wie auch immer im Verlaufe des Monats August die Argumente über die Alpen hin und her flogen, ein Gewinner stand bereits fest: das Bewusstsein für Geschichte.

Schon im Vorfeld der großen ZDF-Aktion »Unsere Besten« war dem Projektteam aus den Bereichen Kultur und Wissenschaft, Zeitgeschichte und Show klar gewesen, dass die Suche nach dem wichtigsten Deutschen, dem größten Vorbild, der bedeutendsten Persönlichkeit, keine leichte Sache sein würde. Während die Briten mit ihrer Jahrhunderte langen Kolonialvergangenheit nicht gerade von Selbstzweifeln geplagt sind, wenn es um ihre Weltgeltung geht, und auch Franzosen und Spanier zu freimütigem Chauvinismus neigen, sieht die politische Kultur der Deutschen komplizierter aus. Wir haben mehrere Vergangenheiten, einmal das Deutschland vor und nach dem Dritten Reich, dazu das geteilte Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Da zu »Unseren Besten« schlechterdings keine Diktatoren oder Massenmörder zählen konnten, waren Hitler und weitere NS-Schergen von der Wahl ausgeschlossen. Englische Zeitungen wie der Guardian und die Sunday Times, die aufgrund des BBC-Vorbilds die ZDF-Aktion gespannt verfolgten, waren über unser schlechtes Verhältnis zu den Nazis richtiggehend enttäuscht. Um es an dieser Stelle einmal zu sagen: Adolf Hitler hätte es nicht unter die ersten 100 geschafft, Erich Honecker übrigens rangierte am Ende um Platz 400.

Trotz der Fallstricke unserer Geschichte war die Beteiligung der Zuschauer fulminant: Innerhalb von sechs Wochen bis zum 15. September beteiligten sich rund 90 000 Zuschauer per Internet, Telefon, Postkarte und SMS an der Nominierung der 100 wichtigsten Deutschen, was dem Projekt eine gigantische Datenmenge bescherte. Bis zur großen Auftaktshow am 7. November musste das Ergebnis geheim gehalten werden. Daher wussten nur wenige Eingeweihte, dass sich die Kulturnation gegen die Spaßkultur durchgesetzt hatte: Auf den ersten zehn Plätzen waren die großen Namen vertreten, von Adenauer über Luther bis zu Einstein – die Klassiker deutscher Geschichte und Kultur. Noch amtierende Prominenz wie Steffi Graf oder Thomas Gottschalk hatte zwar respektabel abgeschnitten, bei der Berufung der Top 10 allerdings keine Chance. Damit würde es leider nicht zum spektakulärsten aller Matches kommen können, das sich die Projektgruppe so sehr gewünscht hatte: Johann Sebastian Bach gegen Dieter Bohlen. Insgesamt landeten fünf Widerstandskämpfer unter den ersten 100 (Geschwister Scholl, Graf von Stauffenberg, Elser, Schindler, Bonhoeffer), sechs Schriftsteller (Goethe, Schiller, Thomas Mann, Hesse, Heine, May) und immerhin vier Philosophen (Marx, Kant, Albertus Magnus, Nietzsche).

Da das ZDF nur in eklatanten Fällen in den Abstimmungsprozess eingegriffen hätte (Blockvoting durch Internethacker, verdeckte Telefondauerwahl oder dergleichen), waren organisierte Gruppenvotings erlaubt: So schaffte es Adolph Kolping mit Hilfe des Kolpingwerks auf Rang elf, Robert Bosch durch die Unterstützung der engagierten Boschbelegschaft auf Rang 14, und der im Jahr 2003 unvermeidliche Daniel Küblböck auf den Schultern seiner Fans auf Rang 16. »Unsere Besten« war auch ein Spiel, und eins wollten wir auf keinen Fall: Maulkörbe verteilen und den Zuschauern vorschreiben, wen sie wählen sollten. Es ging demokratisch zu. Also, Daniel, Glück gehabt.

Die Auftaktshow mit dem Countdown der Top 100 wurde von über fünf Millionen Menschen verfolgt. Johannes B. Kerner hatte Alice Schwarzer, Hans-Dietrich Genscher, Barbara Schöneberger und Boris Becker als Kommentatoren hinzugeladen, Steffen Seibert lieferte die Hintergrundanalysen. Für die filmische Präsentation der 100 Besten waren in den ZDF-Filmarchiven über 1 000 Bänder mit mehr als 200 Stunden Material gesichtet worden. Uwe Seeler auf Platz 100, die Trümmerfrauen auf Platz 88, Dieter Bohlen, viele hatten Schlimmeres befürchtet, »nur« auf Platz 30. Unsere Top-Frauen waren Alice Schwarzer (Platz 23) und Regine Hildebrandt (Platz 22) – mit Königinnen und Herrscherinnen wie Elizabeth I. oder Margret Thatcher kann zwar die britische, nicht aber die deutsche Geschichte aufwarten. Hier, so eine zentrale Erkenntnis der Programmaktion, muss in Deutschland noch etwas passieren.

Die fünf folgenden Doku-Shows über jeweils zwei große Deutsche der Top 10 waren die größte Herausforderung, weil die richtigen Paten gefunden und eingeschworen werden mussten: die Biologin Nina Ruge für Einstein, Theaterintendant Peter Sodann für Goethe, Focus-Chef Helmut Markwort für Bismarck, Rechtsanwalt Gregor Gysi für Marx, ZDF-Historiker Guido Knopp für Adenauer, Ex-WDR-Intendant Friedrich Nowottny für Brandt, Bischöfin Margot Käßmann für Luther, Nachrichtenprofi Wolf von Lojewski für Gutenberg, der Musiker und Entertainer Götz Alsmann für Bach und last but not least Alice Schwarzer für die Geschwister Scholl, die wohl größte Überraschung in den Top 10. Während die bestens präparierten Paten für ihre Favoriten eintraten, unterstützt von kurzen, einprägsamen Filmplädoyers, konnten die Zuschauer live von zu Hause über Telefon ihre Wahl treffen, was zu sensationellen Mitmachzahlen führte. Vor dem Finale hatten sich bereits 1,5 Millionen Zuschauer an der Abstimmung beteiligt, allein in der Schlusssendung riefen noch einmal 1,8 Millionen für ihre Favoriten an, bei einer Gesamtseherschaft von 3,3 Millionen also jeder zweite.

Gewonnen hat schließlich Konrad Adenauer vor Martin Luther und Karl Marx, der in allen neuen Ländern die Nummer eins war. Eine subtile Rache des Ostens am großen westlichen Bruder? Ein konservativer Deutscher, verfolgt von zwei Rebellen, ein reizvolles und nicht von allen erwartetes Ergebnis. In sieben Sendungen haben wir im Schnitt jeweils drei Millionen Zuschauer erreicht, in Tageszeitungen und Zeitschriften eine Gesamtauflage von 330 Millionen Exemplaren, was einer gemittelten Reichweite von über 800 Millionen Lesern entspricht, dazu besuchten fünf Millionen User die »Unsere Besten«-Internetseite des ZDF.

»Unsere Besten« ist damit eines der meistdiskutierten Programme, die das ZDF jemals ausgestrahlt hat. Bei aller aufgeregten Diskussion über die Feldbuschs, Bohlens und Küblböcks unserer gierigen Boulevardkultur: Die Menschen haben ein feines Gespür dafür, was ihre Klassiker wert sind, auch wenn sie Einsteins Relativitätstheorie vermutlich nicht verstehen, nicht alle Dramen Goethes kennen, Marx’ Kapital nie gelesen haben.

Was lehrt es uns, wenn fast drei Millionen Menschen zu bester und kostbarster TV-Primetime Martin Luther und Johannes Gutenberg, Otto von Bismarck und Karl Marx sehen wollen? Wir stehen auf einem Berg von Geschichte und wissen es zum Glück oder ahnen es zumindest, welche Schätze unter uns verborgen liegen. Hinzu kommt die Erkenntnis, dass das Bildungsinteresse unserer Gesellschaft stärker ist, als viele glauben, und dass in neuen Fernsehformaten Unterhaltung und Information eine attraktive Allianz eingehen können – als ein Fernsehen der Zukunft.

Die zehn »Besten«

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