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2003  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Hans Janke
Hans Helmut Hillrichs
Peter Arens
Hiltrud Fischer-Taubert
Claus Beling
Marita Hübinger/Elke Heidenreich
Claus Kleber
Bettina Schausten
Norbert Lehmann
Matthias Fornoff
Eckart Gaddum

Claus Kleber

Vom Handwerk des Nahebringens
Das »heute-journal«: zwischen Breaking News und kritischer Analyse

 
Claus Kleber
Claus Kleber


Schaltzentrale »Café Bagdad« im ZDF Sendezentrum
Schaltzentrale »Café Bagdad« im ZDF Sendezentrum
              
 

An einem Märzmorgen dieses Jahres erwachen wir zum Klang der Nachricht, dass die Deutschen auf der Beliebtheitsskala des US-Verteidigungsministers ganz unten angekommen sind. Donald Rumsfeld hat über Nacht vor dem Senat in Washington erklärt, nur drei Mächte seien unbelehrbar und unter allen Umständen gegen ein militärisches Eingreifen im Irak: Libyen, Kuba – und eben Deutschland.

Die überraschende Gleichsetzung beherrscht den Nachrichtentag und natürlich auch die morgendliche Redaktionskonferenz des »heute-journals«. Wer abends fundiert berichten will, muss schon jetzt entscheiden, wie in der Sendung die Gewichte verteilt werden. Wir fragen uns, wie ernst wir die offenbar spontane Äußerung des Ministers nehmen sollen.

Im Jahr zuvor hat Donald Rumsfeld begrifflich »altes« gegen »neues« Europa gestellt und damit auch der deutsch-amerikanischen »Irak-Krise« eine neue Dimension gegeben. Hat die Bemerkung aus der letzten Nacht ähnliche Sprengkraft oder ist sie eine Entgleisung, die keine große Aufmerksamkeit verdient? Die Diskussion in unserem engen, fensterlosen Konferenzraum wird heiß. Ein Teil der Redaktion ist überzeugt: In dem kurzen Satz manifestiert sich die Haltung der Bush-Regierung gegenüber Andersdenkenden so deutlich, dass wir einen Schwerpunkt zu diesem Thema brauchen. Andere halten dagegen: Dem bekanntermaßen impulsiven Minister sind die Pferde durchgegangen, der Satz lässt kein strategisches Konzept erkennen, er verblasst gegenüber der »alt/neu«-Teilung Europas. Wir sollten die Sache nicht zu hoch hängen. Am Ende setzt sich diese Auffassung durch. Wir bitten unseren Kollegen Christhard Läpple um eine Spurensuche in Berlin.

Abends beginnt die Sendung mit dem Satz: »US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat uns heute auf eine Stufe gestellt mit Libyen und Kuba – von dem Schock müssen wir uns erst noch erholen. Bis zum Ende der Sendung. Guten Abend.« Es folgen innenpolitische Themen, die sehr viel näher am Alltag unserer Zuschauer sind als die Frage, was Mr. Rumsfeld in einen Topf wirft. Erst das Schlussstück kommt auf ihn zurück. Mit einem Feuerwerk aus Salsa-Schritten, Cohiba-Schwaden und Mojito-Mix in Berlins Havanna-Bar. Das augenzwinkernde Fazit des »heute-journals«: Es gibt nicht zu viel, es gibt zu wenig kubanischen Einfluss im kalten Berlin. Das ist alles zu diesem Thema.

Bei der »Flurschelte« im Großraumbüro, gleich nach der Sendung, sind wir recht zufrieden mit uns selbst. Das »journal« hat mal wieder gezeigt, dass es seinen eigenen Charakter hat, immer bereit, aus dem Nachrichtenfluss auszuscheren.

Natürlich warten wir an solchen Tagen besonders gespannt auf den Beginn der ARD-»Tagesthemen«. Sie widmen sich der Geschichte ernsthafter und ausführlicher. Ein Korrespondentenbericht, ein Schaltgespräch, der Kommentar. Das Thema Rumsfeld beherrscht die Sendung. Am nächsten Morgen geht unsere Diskussion weiter: Auch so konnte man das machen, aber wir glauben, dem näher gekommen zu sein, was unsere Zuschauer vom »heute-journal« besonders an so einem Tag erwarten: Einen anderen, originellen, manchmal auch journalistisch riskanten Blick auf das Top-Thema des Tages.

Es wird im Laufe des Jahres weitere solcher Beispiele geben, aber am 21. März endet zunächst einmal jede Chance auf originell-leichte Einstiege in ein aktuelles Nachrichtenmagazin: Mit Bombenangriffen auf die großen Städte des Irak beginnt der Golfkrieg 2003. »Shock and Awe« – »Schreck und Ehrfurcht«, nennt die US-Luftwaffe diese erste Phase der Kriegshandlungen. Mut beweisen jetzt nicht mehr Redakteure zu Hause, sondern die Korrespondenten am Ort.

Natürlich ist der Krieg das Nachrichtenereignis des Jahres. Das ZDF beweist seine Kompetenz durch schnelle Reaktionen auf die aktuellen Ereignisse, mit flächendeckender Berichterstattung und zahllosen Sondersendungen. Ulrich Tilgner in Bagdad, Eberhard Piltz in Washington, die Korrespondenten in London und Berlin und viele andere Kolleginnen und Kollegen, die den Zuschauern als zuverlässige Journalisten vertraut sind, liefern mit ihren Berichten und Liveanalysen Orientierungshilfe. Unentbehrlich in einer Zeit, in der sich die Wahrheit nur schwer aus dem Gebräu von Information und Propaganda herausfiltern lässt.

Wir im »heute-journal« arbeiten eng mit den Kollegen aus der Hauptredaktion Außenpolitik zusammen – Synergie im eigentlichen Sinn des Wortes. Jeder, der in solchen Situationen schon einmal als Korrespondent »draußen« war, weiß, wie mangelnde Abstimmung und Koordination zu Hause die Arbeit »an der Front« schwierig oder sogar unmöglich machen können. Jede Redaktion hält die eigene Sendung für die wichtigste, die Bestellungen doppeln oder widersprechen sich. Dagegen bauen Außenpolitik und Aktualität ein Bollwerk.

In einem fensterlosen Zimmer im zweiten Stock des Sendebetriebsgebäudes (woher kommt nur die Leidenschaft des ZDF für muffige Innenräume?): »Café Bagdad«, die Informations- und Entscheidungszentrale für alles, was mit dem Krieg zu tun hat. Da traf man zu jeder Tages- und Nachtzeit die Chefs und Moderatoren der beteiligten Sendungen und alle Entscheidungsträger vom Produktionsleiter und CvD (Chef vom Dienst) über Chefredakteur und Programmdirektor bis zum Intendanten. Die Abstimmung funktioniert so gut, dass die Korrespondenten noch Monate später davon schwärmen. Für uns »Insider« eine der er- staunlichsten Nachrichten des ganzen Krieges. Wir im »journal« stellen fest, dass die Zuschauer trotz all der Sondersendungen gerade in solchen Zeiten am Ende des Tages Zusammenfassung, Analyse und die Einordnung durch das »heute-journal« suchen. Die Zahlen belegen es. Das Kriegsgeschehen bleibt auch in den Nachtstunden dynamisch. So müssen wir den Spagat schaffen zwischen Breaking News und distanzierter Analyse. Eine gewaltige Kraftanstrengung für alle Beteiligten. Die Reaktionen zeigen, dass es uns an den meisten Abenden gelingt.

Wir bleiben – länger als andere – am Geschehen im Irak, nachdem die Statuen gefallen sind und Präsident Bush das Ende der »wesentlichen Kampfhandlungen« verkündet hat. Auch Afghanistan lassen wir nicht aus den Augen. Natalia Cieslik und Hans-Ulrich (Uli) Gack aus der »journal«-Redaktion ergänzen mit eigenen Reportagen die Arbeit der Korrespondenten. Wir zeigen auch an Tagen, in denen die Nachrichten kein »Kriegs-Stück« diktieren, den Alltag der Menschen in den Konfliktgebieten.

Ab dem Sommer schaut Deutschland wieder mehr auf sich selbst. Die Reform-Agenda 2010 soll Wirklichkeit werden – in welcher gerupften Form auch immer. Das »heute-journal« besinnt sich in diesen Monaten wieder neu auf seine Tugenden. Politik wird nicht über Politikerköpfe erklärt (die allerdings allesamt zu geeigneten Zeitpunkten in Liveinterviews auftauchen und oft Nachrichten machen), sondern den Menschen buchstäblich »nahe gebracht«. Entscheider und Betroffene erzählen ihre eigene Geschichte. An einem Tag, an dem Berlin über die Zukunft des Standorts Deutschland debattiert, startet das »heute-journal« mit einer Reportage aus einer Fabrik im Ruhrgebiet, deren Inventar nach China versteigert wird, während die Arbeiter über ihre düstere Zukunft nachdenken. Wenn über Haushaltsdefizite in Milliardenhöhe geredet wird, zeigen wir auch die Nöte von Familien, die an ein paar hundert Euro Ratenzahlungen im Monat zerbrechen. Ständig balancierend auf dem unausweichlichen Grat zwischen abgehobenem Polit-Journalismus und einem Abgleiten in unreflektiert-banale »Betroffenheit«. Beides ist gleichermaßen gefährlich.

Am Ende des Jahres trifft es sich, dass die Marktforscher vom Monheimer Institut die Stellung unserer Sendung im Bewusstsein der Zuschauer gründlich untersuchen. Die Präsentation ihrer Ergebnisse wird erfreulich für unser Team. Die (noch zahlreicher gewordenen) »Kunden« des »heute-journals« erklären den Befragern spontan, dass das »journal« zu ihrem Leben gehöre, weil es eine klare und verständliche Sprache spreche, weil es keine Angst habe, auch mal eine Meinung zu äußern, und weil es die Welt und die große Politik mit ihren Augen sehe – und sie trotzdem weiterbringe. Und die Zuschauer mögen die Moderatoren auch deshalb, weil sie das Gefühl haben, dass sich da keine »Stars« produzieren, sondern ein Team seine gemeinsame Leistung vorstellt.

So ist es doch auch. Wir, die Redaktion des »heute-journals«, fühlen uns ein bisschen bestätigt, vor allem aber angespornt für 2004.

 
 
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