ZDF.de
                Kontakt    
Suche
Erweiterte Suche
 
2003  
ZDF Jahrbuch
Aus der Programmarbeit
Thomas Bellut
Hans Janke
Hans Helmut Hillrichs
Peter Arens
Hiltrud Fischer-Taubert
Claus Beling
Marita Hübinger/Elke Heidenreich
Claus Kleber
Bettina Schausten
Norbert Lehmann
Matthias Fornoff
Eckart Gaddum

Matthias Fornoff

Go East!

 
Matthias Fornoff
Matthias Fornoff


Ständige Ost-Vertretung im ZDF: Fernsehratsvorsitzender Ruprecht Polenz und Intendant Markus Schächter mit Bernd Stegemann, Renate Krößner, Angela Elis, Stefanie Stumph, Wolfgang Stumph, Andreas Schmidt-Schaller, Marco Schreyl, Andrea Kiewel, Maybrit Illner, Jana Thiel
Ständige Ost-Vertretung im ZDF: Fernsehratsvorsitzender Ruprecht Polenz und Intendant Markus Schächter mit Bernd Stegemann, Renate Krößner, Angela Elis, Stefanie Stumph, Wolfgang Stumph, Andreas Schmidt-Schaller, Marco Schreyl, Andrea Kiewel, Maybrit Illner, Jana Thiel


Ost-Erinnerungen, präsentiert von Andrea Kiewel und Marco Schreyl
Ost-Erinnerungen, präsentiert von Andrea Kiewel und Marco Schreyl
              
 

Neues Jahr, neues Glück. Das muss das hoffnungsfrohe Motto gewesen sein, als die alte Tante Hertha (BSC Berlin) einen neuen Trainer verpflichtete. Verständlich nach dieser Vorrunde in der Fußball-Bundesliga: Niederlagen. Blamagen. Abstiegsplatz. Ein Retter musste her. Hans Meyer heißt der Mann. Der Vorgang ist branchenüblich, die Biografie des Retters eher nicht. Hans Meyer ist Ossi. Und deshalb muss er Fragen beantworten. Andere Fragen als andere Trainer.

Ob er so gerne ironisch sei, weil er aus dem Osten komme? Da habe man ja bekanntermaßen keine andere Wahl gehabt! Was sonst sei einem übrig geblieben in der DDR? Man habe ja nicht offen reden dürfen. Ob er in Mönchengladbach am Ende keinen Erfolg gehabt habe, weil er zu sehr Ossi geblieben sei?

»Man sollte meinen, die Ost-West-Thematik ist genug strapaziert worden«, pflegt Hans Meyer auf derartige Fragen zu antworten. Und er hat Recht. Irgendwie. 14 Jahre deutsche Einheit. Der Schießbefehl Geschichte, die Mauer im Museum, Hansa Rostock in der Bundesliga. Der Blick geht nach vorne und ungern zurück. Und der »Soli« ist lästig auf der Lohnabrechnung. Irgendwann muss es doch mal gut sein. Ist es aber nicht.

Die Jubel-Losung »Wir sind ein Volk!« hat immer nur im Großen und Ganzen gestimmt. Soziologen, Psychotherapeuten und Schriftsteller füllen gerade Bibliotheken mit Werken über den »kleinen Unterschied«. Warum empfinden Ossis Wessis als arrogant? Wieso finden Wessis, dass Ossis zu viel jammern? Warum reden Wessis unentwegt und Ossis bleiben scheinbar passiv? Überall lauern Fallen und Missverständnisse. Von der Länge des Blickkontakts bis zum physischen Abstand im Gespräch – gerade das Unterbewusste, scheinbar Selbstverständliche, hat sich auseinander entwickelt. Der Alltag sowieso. Wenn der Ossi morgens um sieben sein Büro aufschließt, schlummert sein West-Kollege noch selig in den Kissen. Wenn im ZDF die Sendung »heute nacht« beginnt, schaut der Wessi hin (oder könnte es zumindest), der Ossi ist in der ersten Tiefschlafphase. Das ist eine grobe Verallgemeinerung. Stimmt aber in der Tendenz. Sagen die Meinungsforscher.

Womit wir uns dem tieferen Sinn und Anlass dieses Artikels nähern. Warum sind wir Fernsehmacher der öffentlich-rechtlichen Art im Osten weniger erfolgreich als im Westen? Wir liefern Qualität. Wir informieren – auch über den Osten. Der Ossi aber guckt »Explosiv« und nimmt Kloeppel gleich mit. Ob Nachrichtensendungen oder Shows, Serien oder Magazinsendungen, das ZDF schwächelt im Osten (die ARD auch). Ausnahmen wie Sportevents, »Die Ostalgie-Show«, Russland-Reportagen etc. bestätigen die Regel. In Ostdeutschland wird mehr ferngesehen – die Privaten aber profitieren davon mehr als wir. Das ZDF hatte 2003 im Westen einen Marktanteil von 14,2 Prozent, im Osten nur 10,5 Prozent.

Das macht uns nicht glücklich. Und ist doch eine Chance. Erstens zwingt es uns, anzuerkennen, dass es Unterschiede gibt. Zweitens müssen wir fragen, welche. Und drittens die Konsequenzen für uns ziehen. Sofern das auch ohne Kakerlaken im Dschungel-Camp möglich ist.

Ein Leipziger Forschungsinstitut mit dem sinnigen Kürzel »IM« (Institut für Marktforschung) hat uns zu »zweitens«, was ist unterschiedlich, Hinweise gegeben. Wir sollten nicht vergessen, sagt »IM«, dass die Arbeitslosenquote im Osten Ende 2003 bei 17,9 Prozent lag. Im Westen bei 8,4 Prozent. Das habe Folgen für die Fernsehnutzung. Auch für die Inhalte, die dort gesucht würden (ja, auch Trash). Es gäbe einen höheren Anteil an Arbeiter- und Kleinbürgermilieus, eine Renaissance des Regionalen (was den Dritten nutzt, nicht uns) undundund. Soweit, so schicksalhaft für das ZDF. Nicht zu steuern, nicht zu ändern. Jedenfalls nicht vom Fernsehen.

Dann aber lohnt es sich, genauer hinzuhören. Der Ossi, sagt man uns, will auf Augenhöhe angesprochen werden. Alles, was altväterlich, belehrend, von oben herab daherkommt, sei verhasst. Kein Wunder. Es weckt ungute Erinnerungen. Im Übrigen erwarte man mehr Service, verstehe das Fernsehen als Anwalt gegenüber den Mächtigen und Reichen, empfinde das öffentlich-rechtliche oft als unmodern, trocken, steif, parteien- und regierungsnah. Für uns nicht sehr schmeichelhaft.

Manches an dieser Kritik ist überzogen. Hat mehr mit alten Images zu tun als mit laufendem Programm. Anderes, damit sind wir bei »drittens«, die Konsequenzen, ist ja nicht ganz falsch. Wenn wir ehrlich sind. Die Ossis legen den Finger auf die Wunde. Manches im ZDF-Programm könnte frischer wirken, origineller und lockerer sein. Weniger steif, näher dran am richtigen Leben. Den Zuschauer interessieren Sachzwänge, Gremienwünsche und lauwarme Kompromisse wenig. Aber er bemerkt sie. Und mag sie nicht. Die Antennen dafür sind fein, insbesondere im Osten.

Unsere Antennen für den Osten hingegen bieten mäßige Empfangsqualität. Wir sind, rein geographisch, weit weg (außer in den ostdeutschen Landesstudios). Weil wir weit weg sind, haben wir viel zu wenig ostdeutsche Mitarbeiter auf allen Ebenen. Kaum etwas, das den Osten betrifft, ist auf dem Mainzer Lerchenberg als bekannt vorauszusetzen. Also, auch wenn es mühsam ist, manchmal gar die Kosten steigert: Go East!

»Wetten, dass …?« in Leipzig, Boxen in Schwerin, »SOKO Wismar«, »ZDF on tour« zwischen Frankfurt/Oder und Jena – es bewegt sich was. Nachrichtensendungen und Magazine suchen Fallbeispiele in Ostdeutschland. Reportagen spielen vermehrt zwischen Rügen und dem Erzgebirge. Protagonisten in Serien und Fernsehfilmen, Moderatoren in Show und Information (Maybrit Illner und Marco Schreyl, Kristin Otto und Carmen Nebel, Angela Elis, Andrea Kiewel und andere) – ostdeutsche Biografien sind keine Seltenheit mehr im ZDF-Programm.

Und ein paar alte Zöpfe sind abgeschnitten. Großplakate mit ZDF-Programmen, Slogans und Gesichtern etwa werden jetzt auch auf dem flachen Land geklebt, nicht nur in Städten mit über 100 000 Einwohnern, die rar sind in Ostdeutschland. Und für Personalentscheidungen gilt häufig: In dubio pro Ossi!

Das ZDF muss in Ostdeutschland präsent bleiben. Impulse aufnehmen, die nicht von selbst kommen. Und klar machen, dass es zwar personell – gewollt oder nicht – bis auf weiteres ein West-Sender bleiben wird, aber alles daransetzt, Ostdeutschland nicht im toten Winkel zu sehen.

Es gibt etwas zu gewinnen und etwas zu lernen im Osten. Auch für Journalisten. Zum Beispiel, dass eine Ost-Biografie kein Stigma ist und keine alleingültige Erklärung für irgendwas. Mit Hans Meyer kann man wunderbar über Fußball reden. Und ihn an seiner Leistung messen. Ganz ohne krampfige Rückschau auf seine Biografie. Auch die kann natürlich Thema sein. Aber eins ist sie bestimmt nicht: die Erklärung für Klassenerhalt oder Abstieg von Hertha BSC Berlin.

 
 
zum Seitenanfang   
 
über das ZDF Impressum Kontakt   Erweiterte Suche © ZDF 2004
zdf.de ZDFinfokanal ZDFdokukanal ZDFtheaterkanal arte 3sat phoenix kika